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Warum Spediteur Tino Bauer für 130.000 Euro eine Schienenweiche kauft

Der Spediteur Tino Bauer hat nicht nur ein "lebendiges Lager" mit viel Bewegung bei Glauchau. Sein Railport Chemnitz sorgt dafür, dass schwere Waren per Bahn statt per Lastwagen nach Sachsen kommen.

Von Georg Moeritz
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Jeden Tag 120 Paletten hinein und ebenso viele hinaus: das "lebendige Lager" der Spedition Bauer in Callenberg bei Glauchau.
Jeden Tag 120 Paletten hinein und ebenso viele hinaus: das "lebendige Lager" der Spedition Bauer in Callenberg bei Glauchau. © SMWA/Jürgen Lösel

Chemnitz. Tino Bauer kennt die Preise für Eisenbahnmaterial, und damit meint er keine Spielzeugschienen: Eine Weiche kostet 130.000 Euro, ein Kilometer Gleis etwa zwei Millionen Euro. Der Spediteur aus Callenberg bei Glauchau hat eine Weiche und einen Gleisanschluss in Chemnitz gekauft. Bauer besitzt auch 60 Lastwagen, aber mit seinem Güterbahn-Anschluss spart er Diesel und Kohlendioxid.

Acht bis zehn Güterwaggons rollen täglich in Bauers Railport Chemnitz, eine lange Halle über Schienen. Vor allem große Stahlrollen (Coils) und Papier werden dort abgeladen. Das schwere Material kommt zum Beispiel vom Hamburger Hafen mit der Bahn nach Sachsen. Der Spediteur rechnet vor: Etwa 500 Tonnen Ware schlägt sein Railport am Chemnitzer Südbahnhof täglich um. Von dort aus übernehmen zwar Diesel-Lastwagen den Weitertransport zu den Kunden, den Weiterverarbeitern im Umland. Doch für die lange Strecke davor entlastet der Güterzug die Autobahnen und vermeidet Klimagase.

Jeder Güterwaggon mit 50 Tonnen Nutzlast ersetzt laut Bauer etwa zwei Lastwagen. Bis zu zwei Drittel des Kohlendioxid-Ausstoßes für den Ferntransport würden damit eingespart, pro Tag bei guter Auslastung fast neun Tonnen CO₂. "Fast alle großen Stahlhersteller sind bei uns", sagt Bauer. Jüngst habe er auch einen Holzlieferanten gewonnen. Im Jahr 2013 sei er für verrückt erklärt worden, als er den eingestellten Schienengüterverkehr in Chemnitz wiederbeleben wollte. Doch er setzte sich durch. Nach zwei Jahren Betrieb sei sein Railport ausgelastet gewesen, zweimal habe er die Hallen dort schon verlängert.

Schwere Waren kommen per Bahn nach Sachsen

Der Spediteur betont, dass seine Verladeanlage auch von anderen Unternehmen genutzt werden dürfe. Der Standort am Chemnitzer Südring sei "super", auch wegen der Bundesstraße nach Tschechien. Dort hat die Spedition Bauer auch eine Niederlassung, in Usti nad Labem. Schienen liegen dort allerdings nicht. In Tschechien fehle es am Willen, ein solches Projekt voranzutreiben, in Deutschland gab es Fördergeld aus dem europäischen Efre-Fonds.

Auch in Sachsen gebe es aber nur wenige Railports mit Kränen, die Ware zwischen Güterwaggon und Lkw bewegen. Die bekannteste Station: der Alberthafen in Dresden. Damit will Bauer seinen Railport Chemnitz nicht vergleichen: Der sei viel kleiner, könne aber dafür das Umladen unter dem schützenden Dach der Halle erledigen. Die Stadt Bautzen prüft gerade Möglichkeiten, ein neues Gewerbegebiet im Süden der Stadt mit Gleisanschluss auszustatten.

Noch ist der Umlade-Effekt in Chemnitz allerdings recht einseitig: Schwere Waren kommen in Sachsen an, aber es fehlt an Ladung für die Gegenrichtung. Die mittelständischen Unternehmen im Erzgebirge lieferten eher kleine Mengen aus, sagt Bauer. "Für 25 Tonnen Produktion am Tag brauchst du keine Eisenbahn."

Spediteur Bauer: "Es gibt Rückverlagerung auf die Straße"

Er sei mit Schweizern im Gespräch darüber, ihre Waren-Importe aus Sachsen zu bündeln. Mit der Deutschen Bahn und großen Logistikern spreche er darüber, Ganzzüge abzuwickeln und einen Linienverkehr aufzubauen. Doch in den vergangenen zwei Jahren seien die Preise für den Transport beim großen Transporteur DB Cargo stark gestiegen. "Es gibt jetzt wieder eine Rückverlagerung auf die Straße."

Warenlager mit Nummern und Strichcodes: Spediteur Tino Bauer zeigt Sachsens Wirtschafts-Staatssekretärin Ines Fröhlich die Stellplätze für Verpackungsmaterial.
Warenlager mit Nummern und Strichcodes: Spediteur Tino Bauer zeigt Sachsens Wirtschafts-Staatssekretärin Ines Fröhlich die Stellplätze für Verpackungsmaterial. © SMWA / Juergen Loesel

Bauer hat schon Pläne, den Railport Chemnitz um die nächste Halle zu erweitern. Er richte sich aber nach der Wirtschaftsentwicklung: "Derzeit sieht es grottenschlecht aus." Die jüngste Konjunkturumfrage der sächsischen Industrie- und Handelskammern zeigte, dass die meisten Verkehrsunternehmen schlechtere Geschäfte erwarten.

Zudem ärgert sich der Spediteur, der im Bundesverband Spedition und Logistik DSLV einen Fachausschuss leitet und auch mit Sachsens Wirtschaftsministerium Kontakte pflegt, dass die Umstellung auf Elektro-Lastwagen derzeit nicht gefördert werde. Als Staatssekretärin Ines Fröhlich den Betrieb vorige Woche besuchte, sagte Bauer, zwar werde im Zuge der Energiewende viel Geld für die Elektrifizierung in Deutschland ausgegeben. "Aber die letzte Meile im Transport wird weiter mit Diesel bedient."

Die Anfänge: Strumpfhosen nach Westen, Saft nach Osten

In den vergangenen Jahren hat Bauer in seine Zentrale in Callenberg im Kreis Zwickau investiert. Neue Fotovoltaik-Anlagen auf seinen Dächern in Chemnitz und Callenberg liefern Strom. Eine "vollbiologische Waschanlage" mit geschlossenem Kreislauf nutze als Nachschub Regenwasser sowie die Energie vom Dach.

Für die Bauer Spedition GmbH mit ihren 15 Millionen Euro Umsatz im vorigen Jahr arbeiten heute 120 Menschen. Mit einem einzelnen Lastwagen hat Tino Bauer 1989 angefangen. Vor der Wende war er "in den Westen gegangen" und hatte für die Mannheimer Spedition Ristelhueber gearbeitet. Sie ist heute Teilhaber von Bauer. Nach der Wende fuhr Bauer Esda-Feinstrumpfhosen in den Westen und Orangensaft in den Osten.

Inzwischen besorgen Tino Bauer und sein Sohn und Prokurist Tommy Bauer nicht nur den Transport, sondern bieten den sächsischen Unternehmen auch Lagerflächen an. Hinter dem Büro in Callenberg warten Gabelstapler in Hallen darauf, beladene Holzpaletten in die Höhe zu heben und abzusetzen - ganz nach Bedarf für einen Tag oder fünf Wochen. Das "lebendige Lager" bekommt laut Tino Bauer pro Tag 120 Paletten Zufuhr, etwa ebenso viel wird hinausgefahren.

Spedition übernimmt Lagerhaltung für Fabrik

Die Beschriftungen im Lager zeigen Kartons für Frühstücksmüsli von Nordgetreide und Spirituosen von Underberg, dazu Recyclingpapier aus Freital-Hainsberg. Das Unternehmen Mugler habe seine Produktionsfläche erweitert, dafür Lagerhaltung an Bauer übertragen. Tino Bauer spürt, dass viele Betriebe nach den Erfahrungen mit gestörten Lieferketten "wieder mehr Vorräte" anlegen.

Der Spediteur arbeitet mit 400 Mitgliedern im Netz Palletways zusammen, das den palettierten Warenversand zu koordinieren versucht. Zur Organisation der Lastwagenflotte nutzt er die Software des Kesselsdorfer Unternehmens Yellowfox: Ein Disponent in der Bauer-Leitstelle erklärt anhand seiner beiden Bildschirme, dass er auf der Europakarte die genauen Standorte der Lastwagen sehen und in Tabellen viele Details kontrollieren kann.

Der Bildschirm zeigt, dass ein Bauer-Lastwagen in Norwegen mit Ziel Trelleborg unterwegs ist und noch 2:03 Stunden bis zur nächsten Pflichtpause bleiben. Die Fahrer bekommen Anweisungen über den Bildschirm. Freie Parkplätze ließen sich leider noch nicht mit dem System finden oder reservieren, bedauert Bauer. Doch die Digitalisierung habe vieles erleichtert. Manchmal sind die Disponenten selbst von Lieferungen abhängig: Als die Staatssekretärin gerade die Leitstelle besichtigt, bringt ein Lieferant zehn Kartons mit warmer Pizza in den Betrieb.