Kommt das Wasser, oder kommt es nicht - über den Rand meiner Gummistiefel? Noch fünf Zentimeter, dann flutet es die Schäfte. Mehr und mehr Leute steigen in den Stollen ein. Je mehr Leute, desto höher der Wasserstand, bemerkt Uwe Löser süffisant. Man sollte langsam laufen, sagt er, mit möglichst geraden Beinen, "wie ein Storch".
Ein gutes Dutzend Störche in Stiefeln und Wathosen stakst am ersten Samstag im Januar hinter dem ehrenamtlichen Naturschützer Uwe Löser her. Der Fledermausexperte aus Sebnitz ist unterwegs, um die Winterwohnungen der Flattertiere in der Sächsischen Schweiz zu kontrollieren und ihre Nutzer zu zählen. Weitere Ehrenamtler und Leute vom Nationalpark helfen ihm dabei.
Löser macht diese Touren seit Jahrzehnten. Quartierskontrollen dienen zum Monitoring des Fledermausbestands. Von den 25 Arten, die in Deutschland vorkommen, sind 20 in der Sächsischen Schweiz heimisch. Etliche stehen auf der Roten Liste. Deshalb wollen die Naturschutzbehörden wissen, wie es ihnen geht. "Wenn wir immer an denselben Stellen schauen", sagt Uwe Löser, "sehen wir genau die Veränderungen."
Eine Wiese mit Tiefgeschoss
Zu diesen Stellen gehört Zeschnig. Das einstige Bergwerk liegt unter einer Wiese bei der Hohnsteiner Hocksteinschänke. Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurde hier Kalkstein abgebaut, entstanden, als noch die Dinos über die Erde stapften. Gearbeitet wurde anfangs im Tagebau, später untertägig. Bis zum Ende der Förderung 1888 sind nach Schätzungen des Freiberger Oberbergamts zwischen 25.000 und 50.000 Kubikmeter Material aus dem Berg geschafft worden.
Die Höhlungen dienen nun den Fledermäusen zum Überwintern. Sie sind ideale Schlafplätze, frostfrei und ausreichend feucht. Da die Tiere den Winter über kaum fressen und trinken, jedoch weiter atmen, würden sie sonst vertrocknen. Den Energiebedarf der Schläfer deckt ein kleiner Fettvorrat, der nicht unnötig angegriffen werden darf. Um Störungen auszuschließen, ist Zeschnig für die Allgemeinheit ganzjährig Sperrzone.
Die Meister des Versteckspiels
Das Gittertor zu öffnen, ist selbst für Uwe Löser, der einen Schlüssel hat, nicht einfach. Etwa fünf Minuten und einige Verrenkungen hat er gebraucht, den Zugang aufzusperren. Nun watet er dem Trupp voran, durch ein Gewölbe aus Sandsteinquadern, während Lampe und Blick die Ritzen und Risse ringsherum abtasten.
Für gewöhnlich stellt Löser hier drei bis fünf Fledermausarten fest, insgesamt zwischen zehn und zwanzig Tiere. Sie sind Meister des Versteckspiels. Deshalb findet man bei Weitem nicht alle. In Fachkreisen spricht man davon, dass die gesichtete Zahl mal zehn genommen dem tatsächlichen Bestand nahekommt.
Kaum einige Meter sind zurückgelegt, da gibt es die erste Entdeckung. An der Gewölbedecke, in einer kaum fingerbreiten Ritze, klemmt ein flauschiges Etwas. Es ist eine Wasserfledermaus. Sie schnappt ihre Beute im Flug über stillen Gewässern. Ihre großen Hinterfüße können selbst kleinere Fische packen.
Die Fischerin unter den Fledertieren hätte jeder Unbedarfte wohl übersehen. Anders verhält es sich mit dem nächsten Fund, weil er frei an der Wand baumelt, wie eine Birne am Ast: die Kleine Hufeisennase. Seit sie zum Maskottchen des Zanks um die Dresdner Waldschlösschenbrücke wurde, ist sie Sachsens berühmteste Fledermaus.
Berühmt und gefährdet. In Sachsen galt die Art zeitweise als vom Aussterben bedroht. Verantwortlich gemacht für den Rückgang des Bestands wurden vor allem Holzschutzmittel und Insektizide, auch die Beseitigung von Quartieren durch rigide Gebäudesanierung sowie der Verlust insektenreicher Jagdgründe als Folge menschlicher Landnutzung.
Der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ist Hufis Hotspot in Sachsen, speziell die südlichen Täler der Elbzuflüsse. Auch in Zeschnig geht es aufwärts mit der Art. Während noch Ende der 1980er allenfalls Einzelfunde auftraten, sind jetzt um die zehn Hufeisennasen normal, was die Mehrzahl der Sichtungen bedeutet. Uwe Löser vermutet, dass das auch am Klimawandel liegt, denn Hufi mag es eher warm.
Luftschutzbau für das Ministerium
Entwarnung für die Stiefel: Das Wasser sinkt, der Storchengang hört auf. Etwa sechzig Meter sind geschafft, da ist auch das enge Gewölbe zu Ende. Taschen- und Stirnlampen blinzeln in eine schwarze Weite hinein. Der Dom aus Fels mag sechs Meter Höhe haben. Seine Enden sind gar nicht abzusehen. Sie liegen irgendwo gute sechzig Meter entfernt in der Tiefe des Raums.
Es ist der Raum, wo die Hauer des 19. Jahrhunderts den Kalkstein brachen. Während die Einen nun ausschwärmen, ihn auf Getier zu untersuchen, zieht ein anderer die Kamera hervor. Der Pirnaer Fotoamateur Norbert Kaiser interessiert sich für Zeschnig vor allem wegen der Bergbaugeschichte. Alte Gruben und Schächte abzulichten, zählt zu seinen Leidenschaften, eine Art Droge, wie er sagt. "Wenn du einmal davon probiert hast, kommst du nicht mehr los."
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Kaiser ist studierter Geograf. Das Kalkwerk findet er spannend, weil hier die sogenannte Lausitzer Überschiebung, ein kreidezeitlicher Bruch in der Erdkruste, aus nächster Nähe zu besichtigen ist: Granit schrammt über Sandstein, dazwischen, an der Kontaktstelle, die zerriebenen und zerquetschten Trümmer beider Gesteine.
Schon viele Fotos hat Norbert Kaiser hier unten gemacht. Darauf sind auch Dinge zu sehen, die mit Altbergbau nichts zu tun haben: Stromkabel, Lampen, ein Erweiterungsstollen, direkt in die Überschiebung getrieben und schwer mit Stahl gesichert, ein senkrecht nach oben strebender Notausgang mit Telefonanschluss.
Uwe Löser hat gehört, dass diese Veränderungen in der DDR-Zeit passierten, aus Sicherheitsgründen, um das Bergwerk für Forschung und Lehre nutzen zu können. Die Akten des Bergamts bieten auch eine andere Erklärung: Das Bergwerk sei 1982 gesichert und saniert worden für "die geschützte Unterbringung von Personen".
Bauherr war das Ministerium für Wissenschaft und Technik der DDR. Mutmaßlich habe die Anlage Luftschutzzwecken dienen sollen. Heute schützt sie bedrohte Tiere, und das zuverlässig, wie Kontrolleur Uwe Löser feststellt: Zwei Wasserfledermäuse, zwei Große Mausohren, ein Braunes Langohr und vierzehn Kleine Hufeisennasen wird er heute in sein Notizbuch eintragen.