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Das Pirnaer Frühchen ohne Bruder ist schon ein Jahr

Die Dauschs haben drei Kinder verloren. Vor einem Jahr bangten sie um das vierte Frühchen. Heute geht es ihm gut und die Familie hat viel zu erzählen.

Von Heike Sabel
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Voriges Jahr war Ubbe die Mütze viel zu groß, jetzt ist sie schon zu klein. Für seine Eltern Katharina und David Dausch kein Problem, nächstes Jahr gibt es eine neue.
Voriges Jahr war Ubbe die Mütze viel zu groß, jetzt ist sie schon zu klein. Für seine Eltern Katharina und David Dausch kein Problem, nächstes Jahr gibt es eine neue. © privat

Weihnachten zu Hause. Für die meisten der größte Wunsch. Vor einem Jahr bangten Katharina und David Dausch bis einen Tag vorher darum. Erst am 23. Dezember war klar, ihr kleiner Sohn Ubbe darf endlich die Klinik verlassen und nach Hause. Nach einem Vierteljahr an Schläuchen, Sorgen um sein Leben und nach dem Tod von Ubbes Zwillingsbruder war Weihnachten zu Hause in Pirna das größte Geschenk.

Dieses Jahr verbringt die Familie, zu der noch zwei Jungs gehören, die Advents- und Weihnachtszeit sehr bewusst miteinander. Oft erinnern sie sich an die Meilensteine vor einem Jahr. Das erste Mal allein geatmet, die erste Nahrung, das erste Lächeln. Nun liegt ein Jahr voller neuer "erste Male" hinter der Familie.


"Ubbe hat gefühlt jeden Tag etwas Neues dazu gelernt, er ist ein sehr aufmerksames, wissbegieriges, lebensfrohes und energiegeladenes Kind", sagt Katharina Dausch. Im Mai am Geburtstag des großen Sohnes drehte sich Ubbe zum ersten Mal auf den Bauch, im Juli begann er langsam zu robben, im September zu krabbeln und im Oktober aufzustehen. Entwicklungsschritte eines jeden Kindes. Doch Ubbe ist nicht nur ein frühgeborener Zwilling ohne Zwillingsbruder, sondern für Katharina und David Dausch das einzige Kind, das von zwei Zwillingspaaren überlebte.

Zu den Sorgen aller Eltern kamen für die Dauschs die, die mit Ubbes Folgen der Frühgeburt zu tun haben. So hatte er große Probleme mit dem Reflux: spuckte ohne Ende und hatte zu viel Magensäure. Mit einer Spezialnahrung wurde das etwas besser. Sie kostet 21 Euro für drei Tage und wird von der Krankenkasse nicht bezahlt. Der Antrag für Mehrbedarf war kräftezehrend und brachte 28,50 Euro im Monat. "Das ist mehr als lächerlich", sagt Katharina. "Wir haben in diesem Jahr mehr mit den Behörden gekämpft als alles andere und hatten oft das Gefühl, dass sich keiner zuständig fühlt."

Das erste Breigläschen als Geschenk

Aber es gab auch viele Menschen, die den Dauschs halfen. Dazu gehörte die Kinderärztin und Physiotherapeutin in Heidenau, die Nähfrauen aus Berggießhübel, Pirna und Radebeul, die Ubbes ganz kleine Kleidung nähten; gute Seelen, die Behördenanrufe übernahmen, und die Fotografen-Freunde, mit denen man einfach mal wandern ging. "Das waren ganz unterschiedliche Hilfen, und jede war und ist sehr wertvoll."

An Ubbes erstem Geburtstag im September lösten seine Eltern ein Versprechen ein. Sie besuchten die Intensivstation der Dresdner Uniklinik, wo Ubbe das erste Vierteljahr seines Lebens verbrachte und Katharina jeden Tag bei ihm war. Die Geschenke an die Mitarbeiter waren neben Blumen ein aus den Stoffen der Inkubatordecken beider Kinder genähter Heißluftballon und ein Glas mit Blumensamen - das Glas war Ubbes erstes Breigläschen. "Es war sehr emotional für uns alle", sagt Katharina. "Der Tag galt aber nicht nur Ubbe, sondern auch Fjell, seinem Zwillingsbruder." Auch die Geburtstagsgäste bekamen ein kleines Glas mit Blumensamen. "Neues soll entstehen, das war unser Gedanke dabei", sagen Katharina und David.

Luftballons am Grab von Zwillingsbruder Fjell

Fjell ist und bleibt Teil der Familie. Der Grabstein für ihn war Katharina und David sehr wichtig. Es sollte ein Berg werden, denn Fjell bedeutet Berg. Jemanden zu finden, der diese Vorstellung umsetzt, war schwierig. Ein Torgauer Holzkünstler schließlich fertigte den Berg an, ein Dresdner Steinmetz setze ihn am Grab. Viele Spenden auch von sächsische.de-Lesern machten das möglich. Katharina besucht Fjells Grab jede Woche. Am ersten Geburtstag der Zwillinge sowie an Fjells Todestag hat die ganze Familie am Grab Luftballons in den Himmel steigen lassen. "Das sind für uns sehr wichtige Rituale, sie helfen uns und auch den großen Kindern sehr."

Nach dem Verlust selbst Sternenkind-Fotografin

Im Alltag der Dauschs mit fünf Personen gibt es nach wie vor viel Trubel, er hat sich aber im Laufe des Jahres wesentlich entspannt. "Die großen Geschwister freuen sich jeden Tag darauf, nach Hause zu kommen und mit Ubbe spielen zu können", sagt Katharina. Sie hat seit November eine neue Aufgabe. Als Hobbyfotografin hat sie sich bewusst entschieden, Teil der „Dein Sternenkind“-Fotografen zu werden. "Heute, so denke ich, haben unsere Kinder Fjell, Freya und Freyr mit ihrem Verlust dazu beigetragen. Ohne sie hätte ich diese Organisation niemals kennengelernt."

Weihnachten werden die Dauschs dieses Jahr mit der ganzen Familie in Thüringen, der Heimat von Katharina, verbringen. Die großen Kinder wünschen einen Familienurlaub in den Bergen. "Diesen wollen wir ihnen irgendwann erfüllen", sagen Katharina und David. Für 2023 wünschen sie sich vor allem Gesundheit - und ein aufregendes Familienleben.