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Die Stille nach der Katastrophe

Der Schock sitzt tief, nachdem der sechsjährige Ali beim Zusammenstoß mit einem Auto in Dresden sein Leben verlor. Mancher musste das mit ansehen.

Von Henry Berndt
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Biryar aus Kurdistan (l.) und Karid aus dem Libanon kannten Ali gut. Nun trauern sie gemeinsam.
Biryar aus Kurdistan (l.) und Karid aus dem Libanon kannten Ali gut. Nun trauern sie gemeinsam. © Christian Juppe

Dresden. Er betete gerade, als er den Knall hörte. Raif Ismail zuckte zusammen. Seine drei Kinder rannten ans Fenster und sahen unten an der Haltestelle ein Kind auf dem Bauch liegen. „Überall war Blut“, sagt seine 19-jährige Tochter. Die Kinder hätten sofort angefangen zu weinen und konnten nicht länger hinsehen.

Die Familie wohnt im dritten Stock eines Hauses an der Budapester Straße, direkt an der Stelle, wo am Samstagabend der sechsjährige Ali von einem Mercedes erfasst und durch die Haltestellen-Scheibe geschleudert wurde. Der syrische Junge starb wenig später im Krankenhaus. Inzwischen hat sich der Verdacht erhärtet, dass sich der Mercedes-Fahrer ein illegales Autorennen mit einem BMW-Fahrer geliefert haben könnte.

An der Unfallstelle hinterließen Passanten zahlreiche Kuscheltiere, Blumen und Kerzen.
An der Unfallstelle hinterließen Passanten zahlreiche Kuscheltiere, Blumen und Kerzen. © Christian Juppe

„Sonst hätte er die Kinder doch stehen sehen“, sagt Raif Ismail, der selbst vor drei Jahren mit seiner Familie aus Syrien nach Dresden flüchtete. „Es ist eine Tragödie.“ Wenn er in den Discounter auf der anderen Straßenseite einkaufen geht, dann läuft Ismail direkt an der Haltestelle über die große Straße, so wie es hier fast jeder Hausbewohner tut. An der Fußgängerampel, etwa 100 Meter entfernt, warte man oft ewig auf Grün, sagen viele. Und dann sei die Grünphase auch noch außergewöhnlich kurz.

Auch Ali wollte am Samstagabend, gemeinsam mit seinem Bruder und einem Freund, den direkten Weg zu seinem Hauseingang nehmen. Doch er schaffte es nicht. 

An der Unfallstelle erinnerten am Montag viele Kuscheltiere, Blumen und Kerzen an das Unglück vom Samstag. Auf einem Zettel steht in Kinderschrift: „Ruhe in Frieden, kleiner Junge. Möge Allah dir die höchste Stufe im Paradies geben.“ Dazu sind bunte Muscheln aufgeklebt.

Eine Frau mit weißem Kopftuch macht mit ihrem Handy ein Foto und beginnt zu weinen. Ihr kleiner Sohn sagt, sie hätten Alis Familie gekannt und wüssten auch, wer der Fahrer gewesen sei. Er habe schon mal damit geprahlt, 150 Kilometer pro Stunde zu fahren. Dann steigen die beiden in den Bus. Immer wieder kommen Menschen, Deutsche und Syrer, und halten an der Unfallstelle inne. „Unfassbar traurig“, sagt eine ältere Frau zu ihrem Mann, bevor sie einen Strauß weißer Nelken dazulegt. „So jung.“ Dann gehen die beiden wortlos weiter. 

Von seinem Fenster blickt Raif Ismail direkt hinunter auf die Haltestelle, an der das Unglück geschah.
Von seinem Fenster blickt Raif Ismail direkt hinunter auf die Haltestelle, an der das Unglück geschah. © Christian Juppe

Zwei Jungen knien sich vor die Kuscheltiere. Karid aus dem Libanon und Biryar aus Kurdistan kannten Ali gut und haben oft mit ihm im Hof gespielt. „Er ist immer auf meinen Rücken gesprungen und wir haben Spaß gemacht“, sagt Karid. „Und jetzt wurde er einfach totgefahren.“

Friseurin Kerstin Dressler hat ihr Geschäft gleich um die Ecke. Sie habe viele Gerüchte über den Unfall gehört in den letzten Tagen, „aber hier erzählt jeder was anderes“. Fakt sei, dass die Kreuzung Budapester Straße /Schweizer Straße äußerst gefährlich sei. Immer wieder gebe es hier Unfälle. Ganz in der Nähe sei bereits einer ihrer Kunden auf dem Fahrrad von einem Auto erfasst und getötet worden. 

Die zweispurige Strecke wirkt und fährt sich wie eine Stadtautobahn. Tatsächlich gilt hier aber Tempo 50. Die Polizei sagt, sie wisse bislang nichts von illegalen Autorennen in Dresden oder Routen, auf denen besonders gerast werde. Viele Anwohner an der Budapester Straße haben da allerdings andere Erfahrungen gemacht. Einige sagen, sie hätten vor allem nachts oft das Dröhnen von Autos und Motorrädern in den Ohren. Das könne einem den Schlaf rauben.

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