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Wir haben ja munter mitgelogen

Zwei Journalisten aus zwei Generationen streiten über ihren Beruf. Wie frustrierend war es zu DDR-Zeiten? Und was motiviert in der heutigen Welt?

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Die Gesprächspartner: Franziska Klemenz und Uwe Peter von der Sächsischen Zeitung.
Die Gesprächspartner: Franziska Klemenz und Uwe Peter von der Sächsischen Zeitung. © (c) Christian Juppe

Alt und jung prallen immer wieder mal aufeinander, in Familien, im Leben, im Beruf – auch in unserer Redaktion. Zwei SZ-Redakteure haben ihr Gespräch aufgezeichnet. Das sind Auszüge ihres langen Gesprächs:

Franziska: Du bist 1974 Volontär in Dresden geworden. Wer zu DDR-Zeiten als Journalist gearbeitet hat, macht sich aber verdächtig, der Regierung nach dem Maul geredet und die Leser verarscht zu haben – zu Recht?

Uwe: In der Zeit noch zu Unrecht. Ich wollte unbedingt Journalist – genauer: Sportreporter – werden. Was da alles dran hängt, hab' ich erst später begriffen: Als ich gemerkt habe, wie sehr wir uns das Land schönschreiben sollten oder als mir der Parteisekretär des SZ-Hauses den Weg zum Studium verbauen wollte. Zum Glück gab es auch weniger Verkniffene.

Uwe: Und was bringt jemanden wie dich dazu, seine berufliche Zukunft in einer sterbenden Branche zu suchen?

Franziska: Idealismus und Neugier. Mit 15 fing ich an, mir bewusster zu werden, was alles auf der Welt passiert – von Tierquälerei bis zu hungernden Kindern in Afrika. Daran wollte ich unbedingt was ändern und dachte, es gibt drei Einflussmöglichkeiten: Politik, Wirtschaft, Medien. Letzteres war für mich die einzig infrage kommende Option. Es geht zwar nicht so schnell mit dem Weltverbessern, wie ich hoffte, aber auch ein noch so winziges Zahnrad kann was bewegen. Und Neugier, weil ich ganz verschiedene Menschen kennenlernen und Fragen stellen darf, für die ich sonst wohl wegen Stalkings angezeigt werden würde.

Franziska: War dir nicht bewusst, dass bei euch die Partei den Journalismus kontrolliert?

Uwe: Ich dachte, im Sport kann ich mich raushalten. Mein Vater wusste es besser – er meinte, mit meiner Einstellung würde ich Probleme kriegen. Er kannte meine Ansichten. Schon in der Schule gab es ja für eher flapsige Sprüche gelegentlich Ärger. Und je mehr man später verstand von Land, Leuten und Gesellschaft, umso skeptischer, kritischer wurde man.

Franziska: Aber du warst SED-Mitglied.

Uwe: Ja, seit dem Studium. Mehr aus Einsicht als aus Überzeugung, weil viele wichtige Informationen über Parteikanäle liefen und, klar, auch wegen möglicher späterer Westreisen. Und letztlich mit der Illusion, von innen heraus etwas verbessern zu können. Das blieb aber eine Illusion.

Uwe: Was treibt dich heute ausgerechnet in einer Region, in der das Wort Lügenpresse am lautesten geschrien wird?

Franziska: Ich bin nicht Journalistin geworden, um viele Fans zu haben. Dann wäre ich Rockstar geworden. Und eine Region, wo so laut Lügenpresse gerufen wird, hat vielleicht auch den größten Bedarf an Verbesserung. Aber bei allen ideologischen Differenzen: Schockierend finde ich, dass wir als Feinde betrachtet werden – Feindschaft hat nur mit Emotionen zu tun, nichts mit sachlicher Auseinandersetzung. Sicher ist im Osten vieles passiert, was noch aufgearbeitet werden müsste. Vielleicht ist es deshalb auch eine journalistisch besonders spannende Region.

Franziska: Als Journalist musstest du systemtreu sein. Wie passt das mit deiner angeblichen Skepsis zusammen?

Uwe: Als mir das klar wurde, hatte ich die Wahl, entweder auszusteigen oder mitzuspielen. Ich habe mich für Mitspielen entschieden. Weil ich den Beruf unbedingt wollte und die Hoffnung hatte, Zeitung anders und besser machen zu können.

Franziska; Was hat dich am meisten gestört?

Uwe: Vor allem das Wie. Wie man mit Leuten umging, versuchte, ihnen Meinung zu diktieren, zu bestimmen, was sie lesen dürfen und was nicht. Beim Studium bin ich von Sport auf Außenpolitik umgeschwenkt, weil mich das dann mehr interessiert hat. Und es war einer der Bereiche, wo man weniger reingeredet hat – wobei leuchtende Berichte aus dem Kapitalismus natürlich auch nicht erwünscht waren.

Uwe: Dein Berufsleben wird wohl online ablaufen. Ist das nicht eher ein Abfallprodukt des Zeitungsjournalismus?

Franziska: Erst mal ist es nur eine andere Plattform – es kommt wohl mehr auf diejenigen an, die sie befüllen. Die müssen gut sein – und es müssen genügend sein, um gute Geschichten auch ausreichend recherchieren zu können. Qualitätsjournalismus wird immer einen Platz haben und es wird auch immer Leute geben, die dafür bezahlen, weil er für sie wichtig ist. Der Zeithorizont hat sich aber geändert: Es reicht nicht mehr – wie zu deinen Zeiten – 24 Stunden später Bescheid zu wissen.

Uwe: Nach vielen Jahren der Erfahrung, dass es alle Informationen online umsonst gibt, glaubst du wirklich, dass da noch jemand dafür bezahlen will?

Franziska: Ich hoffe darauf, dass Menschen lernfähig sind. Bei Musik, ob beim Konzert, als CD oder im Stream, bezahlen wir inzwischen ja auch, sonst gäbe es die meisten Bands nicht mehr. Die Medien sind selbst mit schuld, wenn heute viele glauben, dass es Journalismus kostenlos gibt. Da müssen wir wohl geduldig daran arbeiten.

1993 als Korrespondent vor dem zerschossenen Weißen Haus, dem damaligen Parlamentssitz, in Moskau.
1993 als Korrespondent vor dem zerschossenen Weißen Haus, dem damaligen Parlamentssitz, in Moskau. ©  privat

Franziska: Der Stasi hast du dich im Gegensatz zur SED verweigert, wie konntest du da noch Korrespondent werden?

Uwe: Die Stasi hat bei mir drei Mal angefragt, ob ich für sie arbeiten will. Ich habe drei Mal abgelehnt. Mir ist nichts passiert, ich durfte trotzdem studieren, in den Westen reisen und als Korrespondent arbeiten. Von meinen Kollegen in Moskau haben aber einige nebenbei für die Stasi gearbeitet und Berichte über uns geschrieben, wie ich später erfahren habe. Wie sehr die Stasi anderen geschadet hat, habe ich erst 1989 realisiert, als Polizei und Stasi teilweise extrem brutal gegen alles Oppositionelle vorgingen. Das hat mich schockiert.

Franziska: Wolltest du nie abhauen?

Uwe: Ich war ab Anfang der 1980er-Jahre mehrfach im Westen. Ich bin zurückgekommen, weil ich hier Familie hatte. Und weil ich dort, wo ich war, auch gesehen habe, dass Kapitalismus echt scheiße sein kann – zum Beispiel für streikende Bergarbeiter in Wales in der Ära von Margaret Thatcher. Da willst du im Zweifelsfall nicht hin. Das war ein Aha-Erlebnis.

Franziska: Im Westen durfte man aber immerhin auch die eigene Politik kritisieren.

Uwe: Stimmt, das war bei uns sehr eingeschränkt. Kritisch über den Westen und rosig über den Osten – so hatte man es am liebsten. „Gewehrt“ haben wir uns mit Texten, wo man vieles zwischen den Zeilen lesen konnte, was die Leser damals auch verstanden haben. Es saß zwar kein Zensor in der Redaktion. Aber es gab die Schere im Kopf: Wir wussten genau, was geht und was nicht. Außerdem habe ich damals fest daran geglaubt, dass der Sozialismus die bessere und sozial gerechtere Gesellschaft ist.

Franziska: Wann hast du den Glauben daran verloren?

Uwe: Bis heute nicht ganz. Aber als ich nach der Wende ältere „Aktuelle Kameras“ gesehen habe, war ich schon entsetzt darüber, was ich damals alles geglaubt habe, und nicht öfter gestutzt habe. Das ist es auch, was ich aus dieser Zeit gelernt habe: Alles zu hinterfragen und die Frage „Warum?“ lieber einmal zu oft zu stellen. Ach ja – und mich von jeder Partei fernzuhalten.

Franziska: Nervt die Skepsis manchmal?

Uwe: Nö, hat mich eher befreit. Dumm sein ist manchmal einfacher, aber nicht hilfreicher. Das gilt privat wie beruflich.

Franziska: Warst du nicht wütend, als du gemerkt hast, wie gelogen wurde?

Uwe: Wir haben ja munter mitgelogen. Wütend war ich eher auf mich selbst, auch schon zu DDR-Zeiten. Und später noch viel mehr. Auch weil ich wegen einiger Dinge, an die ich geglaubt habe, den Rest oft unkritisch übernommen habe. Klar haben wir versucht, Wirklichkeit in Beiträge zu packen, ohne das gleich in der Überschrift anzusprechen. Das hatte ein bisschen Ventil-Funktion.

©  Christian Juppe / SZ

Uwe: Können junge Leute heute eigentlich noch zwischen Fake News und seriösen Informationen unterscheiden?

Franziska: Ich weiß nicht, was dich auf die Idee bringt, dass ältere Menschen eher dazu imstande sind? Jüngere haben den Vorteil, dass sie das Internet meist besser beherrschen und gegen zu checken, was in einem Artikel steht. Da fällt schon auf, wenn ein Medium dauerhaft mit falschen Fakten arbeitet. Und ich kriege zu meinen Beiträgen viel mehr Rückmeldungen von Jüngeren, die weitere Informationen zu meinem Thema gefunden haben.

Franziska: Wart ihr damals nicht viel privilegierter als andere DDR-Bürger?

Uwe: Wir hatten mehr Informationen als andere, wussten mehr, als wir schreiben durften. In der Redaktion hatten wir auch Westzeitungen. Verdient haben wir nicht so üppig, 850 Ostmark waren normales Einstiegsgehalt nach dem Studium. Aber einige von uns durften eben hin und wieder auf Dienstreisen in den Westen.

Franziska: Wie konntest du erst so spät merken, was abgeht?

Uwe: Man hat natürlich bei Vorgängen in der DDR genauer hingesehen und mehr hinterfragt. Das hat mich aber nicht zum Dissidenten gemacht – dafür fehlte mir der Mut. Das Angebot, nach Moskau zu gehen, kam mir da 1986 gerade recht. Die DDR-Politik wurde immer hartleibiger. Da habe ich gedacht: Erst mal raus hier. Und mit Gorbatschow ist Moskau im Moment vielleicht gar nicht mehr so schlimm.