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Ein Kanzler auf Kurzvisite bei Sachsens Handwerk

Nach seinem Auftritt bei Infineon trifft Olaf Scholz in der Dresdner Kammer andere Handwerker – und beantwortet Fragen der Basis.

Von Michael Rothe
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Olaf Scholz (alle SPD, l-r), Bundeskanzler, Dirk Panter, Fraktionsvorsitzender Landtag Sachsen, und Martin Dulig, Wirtschaftsminister von Sachsen, kommen zum Zukunftsforum "Wirtschaft Arbeit 2030" der Handwerkskammer Dresden.
Olaf Scholz (alle SPD, l-r), Bundeskanzler, Dirk Panter, Fraktionsvorsitzender Landtag Sachsen, und Martin Dulig, Wirtschaftsminister von Sachsen, kommen zum Zukunftsforum "Wirtschaft Arbeit 2030" der Handwerkskammer Dresden. © dpa

Deutschlands Oberhandwerker Jörg Dittrich braucht eigentlich keinen Termin in Dresden, um mit dem Bundeskanzler zu sprechen. Vom Büro des Präsidenten des Zentralverbands ZDH in Berlin, das er im Januar als erster Ostdeutscher bezogen hat, ist es selbst zu Fuß keine halbe Stunde ins Kanzleramt – vorausgesetzt Olaf Scholz hat Zeit.

Die Frage stellt sich am Dienstag nicht. Scholz ist wegen des 1. Spatenstichs für Infineons 4. Chipfabrik ohnehin in der Landeshauptstadt, da passt ein Abstecher zur Dresdner Handwerkskammer, die Dittrich seit 2012 als Präsident führt. Zudem hatte dort die Landtagsfraktion seiner Genossen in Kooperation mit der Kammer zum „Zukunftsforum Wirtschaft-Arbeit-2030“ geladen. Die Organisatoren hatten den Ablauf der kaum einstündigen Visite exakt vorbereitet – bis zur detaillierten Beschreibung seiner Ankunft im Bildungszentrum: „Weg: Foyer-Tür Saalseite (nicht Drehtür!), Foyer, Gang Saal, 3. Saaltür im Saal, Platzierung Reihe 1“. So steht es im Plan.

Zur Erwärmung der Gäste aus Handwerk, Politik, Gewerkschaften, Verbänden gibt es zuvor eine Diskussion mit dem Dresdner Dachdeckermeister Dittrich und dem SPD-Landtagsabgeordneten Henning Homann. „Auch wenn alle Krisen weg wären – der furchtbare Ukraine-Krieg, Lieferkettenprobleme, Inflation – das Fachkräfte-Thema würde bleiben“, sagt Dittrich, der auch Präsident der Dresdner Kammer ist.

Homann fordert Lohnangleichung

Dem müsse sich das Handwerk stellen, so Dittrich. Der 53-Jährige plädiert für „echte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung“, Berufsorientierung an Gymnasien, mehr Wertschätzung. Die Gesellschaft dürfe „nicht unterscheiden zwischen guter und schlechter Arbeit, auch Handwerk hat einen Wert“. Immerhin gebe es in Sachsen, anders als in Deutschland insgesamt, ein Plus an Lehrverträgen.

Homann betont die Wichtigkeit der „Bestandspflege“ bei den Arbeitskräften – „noch ehe wir über Zuwanderung reden“. Noch immer verdiene man im Osten im Schnitt 700 Euro weniger als im Westen. Das müsse sich ändern. Der Politiker plädiert zudem für mehr Investitionen in Schulen, Kitas, Infrastruktur, statt das Geld wie in Sachsen auf die hohe Kante zu legen.

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Jörg Dittrich, Sprachrohr von allein in Sachsen 56.000 Handwerksbetrieben mit 320.000 Beschäftigten und 6.000 Lehrlingen, beklagt einmal mehr ausufernde Bürokratie. Homann räumt ein, dass Entbürokratisierung in den Wahlprogrammen aller Parteien stehe, man aber zu langsam sei – auch „wegen des Konflikts zwischen einfach und gerecht“. „Wir haben Forderungen an die Politik, aber auch wir müssen uns bewegen“, appelliert Dittrich an anwesende Berufskolleginnen und -kollegen.

Scholz stellte sich auf der Veranstaltung den Fragen der Handwerker.
Scholz stellte sich auf der Veranstaltung den Fragen der Handwerker. © dpa

Dann betritt mit Olaf Scholz der Vater des Begriffs „Zeitenwende“ das Podium. Er verweist auf die Krisen, die Deutschland gut bewältigt habe, aber nicht stehenbleiben dürfe. „Wir werden Vorschriften abschaffen, die im Wege stehen“, verspricht er. Statt nur auf zeitaufwendige Gutachten solle mehr auf berufliche Qualifikation wie den Meisterbrief gesetzt werden. Die Bundesregierung wolle Schwarzarbeit, etwa im Friseurhandwerk, bekämpfen – auch durch niedrigere Beiträge zur Sozialversicherung für Löhne unter 2.000 Euro.

Scholz: "Wir werden einen Aufbruch zustande kriegen"

„Dass Kohle, Öl und Gas billig bleiben, ist eine Hoffnung, für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt“, sagt Scholz und begründet die CO2-Bepreisung mit dem Ziel der Energiewende, „vor die Welle zu kommen“. Andere Kostentreiber müssten billiger werden, Deutschland mehr selbst produzieren, statt sich abhängig zu machen, so der Kanzler.

Der Ex-Anwalt für Arbeitsrecht sieht die Mitbestimmung, etwa bei der Ausbildung, noch nicht ausgeschöpft, stellt Betriebsräten eine Vergütung in Aussicht, verspricht, den Titel des Meisters zu verteidigen und kündigt ein Vergabegesetz des Bundes an. Hingegen könne man weder Fleischer durch Vorgaben zur Ernährung schützen, noch Tarifbindung verordnen, reagiert er auf Fragen. Nach Tarif zu bezahlen sei aber ein gutes Marketinginstrument. „Wir werden einen Aufbruch zustande kriegen – und das ist kein Anlass zu schlechter Stimmung“, schließt Scholz und geht. Sein Flieger wartet.

Nachdem Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), noch euphorisiert vom Erlebnis bei Infineon, die Chancen des Freistaats bei der Transformation herausstellt, hat Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Dresdner Kammer, das letzte Wort. Fazit: Der Kanzler habe sich nicht um Fragen herumgemogelt. Und der Tag sei für Dresden deshalb ein guter gewesen sei, „weil es zwei Veranstaltungen gab“.