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Warum Pferdeschweiß zu den Weinaromen zählt

Weine schmecken nicht nur nach Pfirsich, Kirsche oder Apfel. Sie können auch Fehlaromen enthalten, die schon am Geruch zu erkennen sind. Mancherorts werden sie sogar geschätzt.

Von Silvio Kuhnert
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Nur riechen, schmecken und ausspucken, nicht runterschlucken – Winzer Karl Friedrich Aust (l.) trainiert mit Praktikantin Nele Keller und Azubi Andreas Petzold die Geruchs- und Geschmacksinne. In den Tanks reift in der neuen Kellerei der erste Jahrgang.
Nur riechen, schmecken und ausspucken, nicht runterschlucken – Winzer Karl Friedrich Aust (l.) trainiert mit Praktikantin Nele Keller und Azubi Andreas Petzold die Geruchs- und Geschmacksinne. In den Tanks reift in der neuen Kellerei der erste Jahrgang. © Norbert Millauer

Radebeul. Eine Holzkiste, auf der Aromabar zu lesen ist, steht vor dem Radebeuler Winzer Karl Friedrich Aust. Aus dieser holt er einen kleinen Flakon. Nichts weiter als eine Nummer ziert das Fläschchen. Der Weinbauer öffnet den Verschluss und lässt seinen Auszubildenden Andreas Petzold an der Öffnung riechen. Sofort verziehen sich seine Gesichtszüge bei dem unangenehmen Duft.

"Was hast Du gerochen?", fragt Aust seinen Lehrling. Dieser blickt etwas skeptisch und lächelt etwas ungläubig, weil er seine Assoziationen im Kopf nicht mit einem Weinaroma in Verbindung bringen kann. "Es riecht wie Elefantenscheiße", sagt der Azubi schließlich, der sich bei dem Geruch an einen Zoobesuch erinnert.

Zum Training gehören auch Flakons aus der Aromabar. In dem Köfferchen sind Aromen, Gewürze und Fehlernoten enthalten, die ein Winzer kennen sollte.
Zum Training gehören auch Flakons aus der Aromabar. In dem Köfferchen sind Aromen, Gewürze und Fehlernoten enthalten, die ein Winzer kennen sollte. © Norbert Millauer

Der Auszubildende im ersten Lehrjahr liegt knapp daneben. Die Duftnote in dem Flakon stammt nicht von einem Elefanten. Sie riecht vielmehr wie in einem Pferdestall. "Es ist Pferdeschweiß", drückt sich Aust vornehmer aus. Und was nicht zu glauben ist, dieses Aroma ist eins von rund 60 Aromen, die im Wein zu finden sind. "Es gibt Spezialitäten und Fehldüfte", informiert Aust.

Hefestamm verursacht Fehler im Rotwein

Worunter Pferdeschweiß zählt, daran scheiden sich die Geister. Die teerige, lederne bis muffige Geschmacks- und Geruchsnuance wird durch einen Hefestamm verursacht. Brettanomyces heißt die Hefe, die besonders in mehrfach gebrauchten Holzfässern und einer alkoholischen Umgebung gut gedeiht. Das Aroma ist ein Weinfehler, der abgelehnt bis geduldet wird. "Es gibt Länder, die diesen Fehler schätzen", berichtet Aust.

Wie einem Online-Weinlexikon zu entnehmen ist, verleiht das "Pferdeschweiß"-Aroma in geringer Menge einem Rotwein eine rauchige oder exotisch-würzige Note, die an Gewürznelken erinnert. In zu hoher Konzentration und wenn der Wein nach der Zeit im Fass und abgefüllt in Flaschen weiter reift, führen die durch Brettanomyces, kurz "Brett" genannt, entstehenden Ethylphenole jedoch zu ausgesprochen unangenehmen, stechend animalischen Noten. Wie nach altem Gaul halt.

Die Aromaschulung ist Bestandteil der Ausbildung. Winzer Aust baut einen Exkurs ab und an in Verkostungen mit ein. So stellt er manchmal zur Jungweinprobe auch Gläser mit verschiedenen Inhalten auf. Darin sind Aromen, die man aus dem Alltag kennt, wie Orange, Zimt, Wiesengras, und Apfelstückchen oder Rosinen.

Unerwünschte Duft- und Geschmacksnoten

Zu Schnuppern aus dem Köfferchen der Aromabar gibt es auch angenehme Düfte wie Ananas, Pfirsich, Apfel, Erdbeere oder Zitrone. Nuancen von Muskat ist beispielsweise im Müller-Thurgau zu finden, Lakritz dagegen im Rotwein.

Nimmt der Weintrinker jedoch das Aroma von Akazienblüte war, deutet dies auf Alterungserscheinungen, die untypisch und nicht gewünscht sind. Zu den Fehltönen gehören auch bitter und muffig sowie der Böckser. Letzterer bezeichnet einen Weinfehler. Das unangenehme Aroma kann an Knoblauch, Zwiebeln, gekochten Kohl oder Fäulnis, insbesondere an faule Eier erinnern. Der Fehler entsteht bei der Hefelagerung. "Wie lange lasse ich den Wein auf der Hefe? Wann kippt er um?", sind Fragen, die sich Winzer bei jedem Jahrgang aufs Neue stellen müssen, wie Aust berichtet. Weinfehler lassen sich im Weinkeller auch korrigieren.

Bei einer Übung während der Aromaschulung müssen die Probanden sich die Nase zuhalten. In die Hand bekommen sie ein Glas, darin befindet sich eine kristalline Substanz. Sie nehmen sie in den Mund. Nur einen süßen Geschmack nehmen sie wahr. Erst als sie die Nase wieder öffnen, gesellt sich Zimt dazu. "Über unsere Zunge können wir nur wahrnehmen, ob etwas bitter, süß, sauer, oder salzig schmeckt", sagt Aust. Auch Umami zählt dazu – jene Sinnesqualität, die in Stoffen zu finden ist, die bei uns Menschen Wohlbefinden auslösen. In der Tomate ist dieser Geschmack beispielsweise drin. Die Wahrnehmung der Aromen wie Erdbeere, Apfel oder Pfirsich entsteht erst im Gaumen und Nase.

Kaffeetrinker nehmen weniger Bitterstoffe wahr

Wie Aust weiter berichtet, verfügt unsere Zunge über 21 Rezeptoren für Bitter. Neun von ihnen werden vom Kaffee belegt. Kaffeetrinker können somit weniger Bitterstoffe schmecken. Vor einer wichtigen Verkostung verzichtet er schweren Herzens auf seine morgendliche Tasse. Dann gibt es nur Wasser. Parfüm ist tabu. Raucher müssen ihre Finger von Glimmstängeln lassen. Denn Zigaretten und der Duft nach Deo und Seife beeinflussen die Wahrnehmung.

Azubi Petzold lernt bei seiner Aromaschulung, dass in einer Zitronenpflanze nur Zitronensäure entsteht und in einem Apfelbaum nur Apfelsäure. Weinreben sind dagegen in der Lage, verschiedene Säuren zu bilden und diese in den Trauben einzubinden. "So kann ein Rotwein nach Kirsche und ein Weißwein nach Kiwi schmecken", sagt Aust. Die Rebsorte Traminer sei ein Strauß voller Blüten, was die Fülle an Aromen betrifft.

Für rund eine Million Euro hat Winzer Aust auf seinem Weingut einen neuen und modernen Weinkeller gebaut. Nach rund zwölfmonatiger Bauzeit konnte er die neue Kellerei im vorigen Herbst in Betrieb nehmen. Zu ihr gehört auch ein kellereieigenes Wein-Labor, wo er und sein Team ihre Geruchs- und Geschmackssinne trainieren. "Wein ist sozusagen sehr vielseitig oder vielschichtig. Daher gibt es ja auch viele Hunderte Rebsorten, die alle etwas anders schmecken", so Aust.

Jeder wisse auch, was er riecht. "Meistens ist es aber eben wie ein Gefühl und es fällt schwer, die Empfindung oder den Geruch auf ein Gewürz oder eine Frucht einzugrenzen. Noch schwerer ist es dann, auch noch genau diese Frucht zu nennen." Zur Schulung nutzt er daher den Aromakasten. In diesem sind Fruchtaromen, Gewürze und Fehlernoten enthalten, die ein Winzer kennen sollte, um sie zu erkennen.