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Zweifel am Plan fürs Obdachlosenheim

Das Ölwerk hat gute Gründe, sich gegen die Ansiedlung der Einrichtung in der Nachbarschaft zu stellen, sagt ein Insider. Auch ein Experte sieht das Projekt kritisch.

Von Eric Weser
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In dem derzeit leeren, ehemaligen Schulungsgebäude an der Speicherstraße soll eigentlich das Obdachlosenheim sein neues Domizil bekommt. Das benachbarte Ölwerk hat schon vor Längerem Widerspruch gegen die dafür erteilte Baugenehmigung eingelegt.
In dem derzeit leeren, ehemaligen Schulungsgebäude an der Speicherstraße soll eigentlich das Obdachlosenheim sein neues Domizil bekommt. Das benachbarte Ölwerk hat schon vor Längerem Widerspruch gegen die dafür erteilte Baugenehmigung eingelegt. © Eric Weser

Riesa. Seit Langem wird für das Riesaer Obdachlosenheim ein neuer Standort gesucht. Eigentlich sollte die vom Deutschen Roten Kreuz betriebene Einrichtung in ein Haus an der Speicherstraße ziehen, das der städtischen Tochtergesellschaft WGR gehört. Das vormalige Schulungsgebäude hatte die WGR eigens gekauft, um es zum Obdachlosenheim umzubauen. Die Stadt Riesa hatte diesen Umbau genehmigt. Seit das benachbarte Ölwerk Ende 2019 dagegen Widerspruch eingelegt hat, tritt das Projekt auf der Stelle. Demnächst soll es Gespräche zwischen Stadt, WGR und dem Unternehmen geben, um eine Lösung zu finden.

Ob diese Gespräche dazu führen, dass die Obdachlosenunterkunft demnächst neben dem Ölwerk einzieht? Ein Insider hat da Zweifel.

Für den in Riesa angesiedelten Unternehmer ist der Widerspruch des Ölwerk-Betreibers Cargill gegen das Bauprojekt verständlich. Das Ölwerk könne viel verlieren, wenn in seiner direkten Nachbarschaft Menschen wohnen, meint der Firmenchef, der nach eigenem Bekunden einen ähnlich gelagerten Fall kennt. So könne es zu behördlich verordneten Einschränkungen für den derzeit durchgängigen Schichtbetrieb kommen, gesetzt den Fall, dass Obdachlose als künftige Nachbarn sich über das Werk beschweren und damit Erfolg haben.

Nachbarschutz – und Eigenschutz?

Ist so ein Szenario plausibel – und spielt es für Cargill eine Rolle? Der Ölwerk-Betreiber äußert sich auf eine Nachfrage dazu nicht. „Wir sind weiterhin mit der Stadt und der Wohnungsgesellschaft im Gespräch“, erklärt eine Sprecherin. „Es wird versucht, eine akzeptable und vernünftige Lösung zu finden. Mehr können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen.“

In welche Richtung die Bedenken beim Ölwerk gehen, darauf deuten frühere Äußerungen hin. So hatte Cargill erklärt, dass neue Wohnbebauungen nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu Industrieanlagen erfolgen sollten und, dass man Wert auf „präventiven Nachbarschaftsschutz“ lege. Nicht nur bei denen, die das Ölwerk-Unglück von 1979 vor Augen haben, trifft das auf Zustimmung.

Der Riesaer Insider versteht die Haltung aber auch als Selbstschutz. Denn auch Obdachlose hätten als Nachbarn das Recht, gegen das Werk vorzugehen, wenn sie sich durch Lärm oder Gerüche gestört fühlen.

Das bestätigt Eyk Schade vom Meißner Mieterverein. Zwar seien obdachlose Menschen keine Mieter im eigentlichen Sinne. Aber auch keine Bürger zweiter Klasse und mit allen Rechten ausgestattet – auch dem Recht, die zuständigen Behörden einzuschalten, wenn es um das Werk geht.

Heimansiedlung unzulässig?

Sächsische.de hat Alexander Brade von der Universität Leipzig um eine Einschätzung dazu gebeten. Der Rechtswissenschaftler ist Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Umwelt- und Planungsrecht.

Der Leipziger Rechtswissenschaftler Dr. Alexander Brade.
Der Leipziger Rechtswissenschaftler Dr. Alexander Brade. © privat

Auf Basis öffentlich zugänglicher Informationen zum Thema äußert der promovierte Jurist Zweifel, dass die Obdachlosenunterkunft überhaupt in die Gegend am Ölwerk gehört, die als Gewerbegebiet gewidmet ist. Zwar seien soziale Anlagen in Gewerbegebieten ausnahmsweise zulässig – allerdings dürften sie sich nicht als „gebietsunverträglich“ erweisen. „Hier spricht Vieles dafür, von einer solchen Gebietsunverträglichkeit und damit von einer Unzulässigkeit des Vorhabens auszugehen“, sagt Brade. Gewerbegebiete dienten vorwiegend der Unterbringung von Gewerbebetrieben. „Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen gearbeitet wird.“ Mit einer Obdachlosenunterkunft sei das grundsätzlich nicht vereinbar, diese stehe in keinem funktionalen Zusammenhang mit den im Gebiet zulässigen Hauptnutzungsarten.

Die Stadt Riesa sieht das anders: „Ein Obdachlosenheim ist für die temporäre Nutzung ausgelegt und nicht für dauerhaftes Wohnen. Diese Nutzung ist mit der Gebietsausweisung vereinbar“, so Stadtsprecher Uwe Päsler.

Bleibt die Frage, was in einem Szenario passieren würde, in dem das Obdachlosenheim in das vorgesehene Gebäude zieht und sich Bewohner über Lärm oder Gerüche beschweren, die vom Werk ausgehen. Es sei grundsätzlich denkbar, dass dem Ölwerk nachträgliche Anordnungen gemacht werden, sagt Jurist Alexander Brade dazu. Welche Art Anordnung das sei – ob bauliche Vorkehrung, Einschränkungen beim Schichtdienst et cetera – das lasse sich aus seiner Warte schwer beurteilen. „Vorstellbar wäre aber jede Art von Maßnahmen, die dazu führt, dass erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft – und damit auch für in der Unterkunft ‚ansässige‘ Obdachlose – nicht (mehr) hervorgerufen werden können.“

Kein konkreter Plan B

Sowohl die Stadt als auch das Ölwerk verweisen auf Nachfrage auf die bevorstehenden Gespräche, denen man nicht vorgreifen wolle.

Denkbar wäre allerdings, dass die Stadt nach den Gesprächen den Widerspruch des Ölwerks zurückweist. Welche Möglichkeiten das Werk dann noch hat? Cargill könne Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erheben, sagt Rechtswissenschaftler Alexander Brade. Das Unternehmen könne sich dabei auf den sogenannten Gebietserhaltungsanspruch stützen.

Indes hatte Riesas OB Marco Müller (CDU) bei dem Thema in der Vergangenheit betont, Streit vermeiden zu wollen. Auch der Riesaer Insider kann sich nicht vorstellen, dass es einen Gerichtsstreit gibt. Er rechnet damit, dass die Kommune vom Plan abrückt, das Obdachlosenheim an der Speicherstraße einzurichten und stattdessen einen Alternativstandort sucht.

Stadtsprecher Uwe Päsler verweist dazu auf eine frühere Aussage der Stadt, die weiterhin Gültigkeit besitze. Demnach gebe es keinen konkreten „Plan B“. Gleichwohl müsse man, wenn dem Widerspruch von Cargill nicht abgeholfen werden könne, „erneut verschiedene Objekte in den Blick nehmen.“

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