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Mehr Lohn im Reifenwerk Riesa?

Am Donnerstag gehen die Tarifgespräche in der Kautschukbranche weiter. Was ein Riesaer Gewerkschafter davon hält.

Von Christoph Scharf
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Frank Lorenz arbeitet im Reifenwerk Riesa - und ist Mitglied der Bundestarifkommission. Die Gewerkschaft IG BCE fordert deutlich mehr Lohn für die Goodyear-Mitarbeiter.
Frank Lorenz arbeitet im Reifenwerk Riesa - und ist Mitglied der Bundestarifkommission. Die Gewerkschaft IG BCE fordert deutlich mehr Lohn für die Goodyear-Mitarbeiter. © Sebastian Schultz

Riesa. Mit 650 Mitarbeitern ist das Reifenwerk von Goodyear einer der großen Standorte der Kautschuk-Industrie in der Region. Nachdem die erste Tarifrunde im März ergebnislos vertagt wurde, geht es nun am 22. April in Hannover weiter. „Sollte der Arbeitgeberverband dort kein verhandlungsfähiges Angebot auf den Tisch legen, stehen vor den Werkstoren bundesweit ungemütliche Zeiten an", sagt Marc Welters, Verhandlungsführer der Branchengewerkschaft IG BCE.

Sächsische.de sprach mit Frank Lorenz - der Riesaer ist Mitglied der Bundestarifkommission und Vorsitzender der Vertrauensleute der IG BCE in Riesa. Der 34-Jährige arbeitet seit seiner Lehre als Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik bei Goodyear in Riesa.

Herr Lorenz, wie ist die Stimmung im Reifenwerk Riesa?

An sich gut. Es herrscht ein kollegialer Umgang vor. Allerdings gibt es momentan ein ziemliches Unverständnis in der Belegschaft, dass die Arbeitgeberseite im März kein Angebot in den Verhandlungen vorgelegt hat. Zu seiner sozialen Verantwortung stehen, sieht anders aus.

Was meinen Sie damit?

Gerade jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie werden sehr hohe Anforderungen an die Belegschaft gestellt. Zeitweise sind die Kitas und Schulen zu, das führt zu einer Doppelbelastung von Eltern. Hinzu kommen erschwerte Arbeitsbedingungen, etwa durch die behördlichen Auflagen, um die Produktion weiter aufrecht zu erhalten. Jeder Mitarbeiter trägt mit sehr viel Herzblut hier tagtäglich dazu bei, die vollen Auftragsbücher der Automobilhersteller hier am Standort zu erfüllen. Da können schon alle Mitarbeiter eine finanzielle Wertschätzung erwarten und nicht nur ein Dankeschön.

Das Reifenwerk von Goodyear in Riesa liegt an der Paul-Greifzu-Straße. Am linken Bildrand ist das Heizkraftwerk Merzdorf zu erkennen, ganz rechts das Berufsschulzentrum des Landkreises.
Das Reifenwerk von Goodyear in Riesa liegt an der Paul-Greifzu-Straße. Am linken Bildrand ist das Heizkraftwerk Merzdorf zu erkennen, ganz rechts das Berufsschulzentrum des Landkreises. © Foto: Lutz Weidler

Im Frühjahr 2020 stand das Riesaer Werk doch auch eine Zeitlang still, oder?

Ja. Wir hatten zeitweise Kurzarbeit, weil die großen Automobilhersteller aufgrund der Pandemie ihre Produktion komplett heruntergefahren haben. Aber seitdem die Konzerne wieder ihre Anlagen hochgefahren haben im letzten Jahr, arbeiten wir wieder längst im Schichtbetrieb rund um die Uhr. Da jeder Reifen aus Riesa benötigt wird.

Diese Woche startet die zweite Verhandlungsrunde in der Branche. Sind Sie zuversichtlich, dass jetzt ein Angebot kommt?

Es heißt, dass uns die Arbeitgeber etwas vorlegen wollen. Die von der Gewerkschaft geforderten viereinhalb Prozent mehr Lohn sind nicht überzogen. Schließlich lag die Inflationsrate im März 2021 bei 1,7 Prozent. Düstere Prognosen sehen bis zum Jahresende schon eine drei vor dem Komma. Fakt ist: Die Lebenshaltungskosten steigen! Außerdem ist ein Plus wichtig für die Rentenpunkte. Die 4,5 Prozent sind aus unserer Sicht völlig realistisch und angemessen.

Wie viele Ihrer Kollegen sind Mitglied in der IG BCE?

Der Anteil ist sehr gut. Wir sind die Mehrheit! Und man merkt gerade seit letztem Jahr, dass es einen deutlichen Zuwachs gibt. Die Leute schätzen unseren Tarifvertrag.

Bei Ihrem Nachbarn, den Teigwaren, war zuletzt der Anteil der Gewerkschafter von einer Handvoll Mitarbeiter auf 80 Prozent gestiegen ...

Man darf ja nicht vergessen, dass Sachsen noch immer Schlusslicht in Deutschland ist, was die Tarifbindung angeht. Ich kann nur meinen Hut davor ziehen, was der neu gegründete Betriebsrat und die Gewerkschaft der NGG dort geleistet haben. Sie haben nicht unverdient den Sächsischen Mitbestimmungspreis gewonnen.

Wären denn Warnstreiks wie bei den Teigwaren auch bei Ihnen im Reifenwerk eine Option? Das würde doch massiv die Produktionsabläufe stören.

Die IG BCE hat ein faires Angebot vorgelegt. Wir verhandeln auf Augenhöhe. Der Ball liegt beim Arbeitgeberverband, uns ein seriöses Angebot vorzulegen.

650 Mitarbeiter beschäftigt Goodyear in Riesa, sie kommen aus der ganzen Region bis Dresden und Leipzig. Am Mittwoch gab es dort eine Mahnwache der Gewerkschaft.
650 Mitarbeiter beschäftigt Goodyear in Riesa, sie kommen aus der ganzen Region bis Dresden und Leipzig. Am Mittwoch gab es dort eine Mahnwache der Gewerkschaft. © Sebastian Schultz

Sie haben hier in Riesa selber 2006 gelernt. Was hat sich aus ihrer Sicht über die Jahre hinweg geändert?

Da hat sich auch schon einiges getan. Als ich 2006 gelernt habe, mussten wir für die Ausbildung noch ins Reifenwerk Fürstenwalde fahren - da wurden Internatskosten, Fahrtkosten und Verpflegungskosten fällig. Damals bekamen wir noch 490 Euro Ausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr und mussten beim Arbeitsamt Berufsbildungsbeihilfe beantragen. Unter den Bedingungen von damals, würde man heute gar keine Azubis mehr bekommen.

Und wie ist es heute?

Da ist viel Positives passiert! Über die Jahre hinweg, haben wir immer tarifpolitisch reagieren können, was die Ausbildungsvergütungen betrifft! Jetzt läuft die Ausbildung hier vor Ort, im 1. Lehrjahr gibt es aktuell 854 Euro. Allerdings gehört auch zur Wahrheit dazu, dass wir in Riesa mit anderen großen Unternehmen konkurrieren, was den Nachwuchs anbelangt - und in den Branchen ist die Vergütung ein ganzes Stück höher. Und deshalb wollen wir in der Verhandlungsrunde jetzt auch was für die Azubis herausholen. Man kann aber trotzdem sagen, dass die Lehrlinge bei Goodyear eine wirklich solide Ausbildung bekommen. Und mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit werden Lehrlinge, wenn sie ihre Ausbildung gut absolvieren, auch übernommen.

Seit Jahresbeginn arbeiten Mitarbeiter bei Goodyear in Riesa eine halbe Stunde weniger pro Woche. Was hat es damit auf sich?

Das ist das Resultat vergangener Tarifverhandlungen. Seit Jahresbeginn wurde die Arbeitszeit um eine halbe Stunde pro Woche reduziert, nächstes Jahr und das Jahr drauf sind es nochmal jeweils eine halbe Stunde weniger. Ziel ist neben der Ost/West-Angleichung auf 37,5 Stunden, auch Schichtarbeiter ein Stück weit zu entlasten. Hier wurden sechs zusätzliche freie Arbeitstage geschaffen. Bei allen anderen Mitarbeitern wurde dementsprechend die Arbeitszeit angepasst.

Auf der Forderungsliste der Gewerkschaft stehen auch noch eine bessere Kurzarbeitergeld-Regelung für IG-BCE-Mitglieder und ein Wertkonto mit der Option Zeit oder Geld. Können sie das nochmal kurz erklären?

Das Wertkonto ist nix Neues. In der Chemiebranche wurde es schon eingeführt. Wir wollen auch in der Kautschukbranche, dass die Kollegen entscheiden können, ob sie mehr freie Tage haben wollen oder lieber mehr arbeiten, weil sie beispielsweise einen Kredit abzahlen müssen. Wie wir das umsetzen können, zeigt sich hoffentlich am 22. April.

Goodyear bildet in Riesa aus: Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik, Maschinen- und Anlagenführer für Kunststofftechnik, Industriemechaniker für Instandhaltung, BA-Studenten für Produktionstechnik, [email protected]

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