SZ + Dresden
Merken

Aus Protesten wurde Terror

Mehr als fünf Jahre nach den Taten steht der zweite Prozess gegen Mitglieder der Gruppe Freital vor dem Ende. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft plädiert.

Von Alexander Schneider
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Angeklagte Mitglieder der "Gruppe Freital" bei Beginn des ersten Prozesses im Jahr 2018.
Angeklagte Mitglieder der "Gruppe Freital" bei Beginn des ersten Prozesses im Jahr 2018. © dpa-Zentralbild/POOL

Dresden. Knapp 20 Männer und Frauen haben in der zweiten Jahreshälfte 2015 in Freital und Umgebung Angst und Schrecken verbreitet. Sie traten bei asylfeindlichen Demonstrationen und Protesten auf, gingen gewaltsam gegen Ausländer und politisch Andersdenkende vor und verübten Anschläge auf Flüchtlingswohnungen, bei denen sie auch Tote in Kauf nahmen.

Im März 2018 wurden die ersten acht Angeklagten der „Gruppe Freital“ am Oberlandesgericht Dresden (OLG) als rechtsterroristische Vereinigung unter anderem wegen versuchten Mordes zu Freiheitsstrafen zwischen vier Jahren und zehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Seit September 2020 stehen vier weitere mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Gruppe vor dem OLG. In diesem zweiten Terrorprozess hat die Generalstaatsanwaltschaft am Montag für alle vier Freiheitsstrafen gefordert.

Ehemaliger NPD-Stadtrat bestreitet Vorwürfe

Markantester Angeklagter ist Dirk Abraham, 2015 NPD-Stadtrat in Freital. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der 53-Jährige in den Chats der Gruppe teilweise auch Administrator, und auch in den geheimsten Chats, in denen Straftaten geplant wurden, aktiv war. Staatsanwalt Thomas Fischer hielt Abrahams Aussage, er habe gar nicht gelesen, was in den Chats stand, für „nicht glaubwürdig“ und „einfach gelogen“. Vielmehr habe er sich für ein ausländerfeindliches Klima engagiert, und Komplizen zum Handeln angestachelt. Abraham habe bei Sprengstoffanschlägen auf ein Linken-Parteibüro und einer Graffiti-Aktion mitgewirkt. Fischer forderte für ihn zwei Jahre und zehn Monate Haft. Abraham hatte die Beteiligungen bestritten. Bei der nächtlichen Graffiti-Aktion will er mit eine Deo-Spraydose eingesetzt haben.

Die höchste Strafe, drei Jahre und zwei Monate, forderte der Staatsanwalt für Sebastian S. (27). Er hatte unter anderem gestanden, an Sprengstoffanschlägen auf das Auto eines Linken-Stadtrats und das Parteibüro mitgewirkt und in Tschechien Pyrotechnik bei gemeinsamen Beschaffungsfahrten geholt zu haben.

Stephanie T. war als damalige Partnerin von Philipp W., einem bereits verurteilten Haupttäter der Rechtsextremen, nah am Geschehen, habe fleißig mitgechattet. Die 31-Jährige ist inzwischen verheiratet und werdende Mutter. Sie habe sich laut Fischer für rechtsextreme, neonationalistische Ziele stark gemacht.

Nächtliches Foto-Shooting

Wie Abraham und S. habe sie an einem nächtlichen Fotoschooting am Windberg in Freital teilgenommen. Auf dem Gruppenfoto präsentierten sich rund ein Dutzend Leute vermummt und zeigen den Hitlergruß. Es sollte die Identität der Gruppe und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Für T. forderte Fischer acht Monate auf Bewährung und eine Geldauflage von 2.000 Euro.

Ferenc A. (31) war nur kurz Teil der Gruppe. Er hat seine Beteiligung am Anschlag auf das Auto des Stadtrats gestanden, wozu er sich freiwillig gemeldet habe. Ende August sei A. ausgeschlossen worden und habe Angst vor Sanktionen gehabt, so Fischer. Er sei der einzige Angeklagte, bei dem der Staatsanwalt nun nach 20 Sitzungstagen von einer „deutlich sichtbaren Reue“ gesprochen hat. Er forderte ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung.

Kritik von Opferanwälten

"Nach mehr als fünf Jahren scheinen die Taten heute weit weg", sagte Kati Lang, die als Nebenklage-Anwältin von Geschädigten am Prozess teilnimmt. "Aber weder kamen die taten damals überraschend, noch sind sie heute vergessen." Die Geschehnisse 2015 seien keine Flüchtlingskrise gewesen, sondern eine Krise der Demokratie. Der Angeklagte Abraham etwa sei als führender Kader der NPD ein Angehöriger einer zutiefst rassistischen, rechtsextremistischen Partei gewesen. Er habe das ideologische Fundament der Gruppe Freital gelegt und sei kein Irrer oder Mitläufer gewesen.

Er habe habe sich mit anderen in Rassenkunde ausgetauscht und Tipps gegeben, wo man Baseballschläger kaufen könne. Als Politiker einer "Nicht-Systempartei" habe er der Gruppe zudem vermittelt, "auf dem rechten Weg zu sein".

Kati Lang und zwei weitere Nebenklage-Vertreter betonten darüber hinaus die rasante Entwicklung der Terroristen, beginnend mit Worten auf Demos und in sozialen Netzen bis hin zu lebensbedrohlichen Sprengstoffanschlägen auf Menschen in Wohnungen. Es sei daher auch völlig verharmlosend, von "asylkritischen Demonstrationen" zu sprechen. Vielmehr sei es die Strategie der Rechtsextremen gewesen, diese Kritik zu instrumentalisieren. "Von keinem der hier angeklagten Personen kam es zu einem Widerspruch." Ihr Mandant sei Betroffener eines Sprengstoffanschlags der Gruppe Freital, für den einer der Angeklagten illegale Pyrotechnik in Tschechien beschafft habe.

Auch der Staat wäre zum Schutz der Minderheiten verpflichtet gewesen, doch der Staat habe damals versagt. Das zeige sich auch darin, dass die Generalstaatsanwaltschaft zunächst die Taten der Freitaler vor dem Amtsgericht Dresden angeklagt habe, und erst die Generalbundesanwaltschaft sich einschalten musste, weil es hier um Terrorismus ging.

Anwältin Kristin Pietrzyk kritisierte, dass ein Foto des Shootings der vermummten Terroristen, das im Sommer 2015 auf dem Windberg aufgenommen wurde, noch heute auf einer Facebook-Seite zu sehen sei. Sie sagte weiter, die Behauptung, es sei 2015 etwa durch die Pegida-Demos ein gesellschaftliches Klima entstanden, das die Taten erst ermöglicht habe, greife zu kurz. Vielmehr hätte sich Pegida ohne "militante Neonazis" wie die Gruppe Freital oder die Freie Kameradschaft Dresden nicht in dieser Form entwickeln können - einschließlich der fehlenden Antworten der Politik darauf.

Urteil am Donnerstag, 4. Februar

In Sachsen sei das besonders deutlich geworden. Dort sei der öffentliche Protest gegen Flüchtlinge verteidigt und Begriffe wie "asylkritisch" verwendet worden: "Eine systematische Verharmlosung." Es sei keine Überraschung, dass die Angeklagten sich berufen fühlten, einen gemeinsamen Abwehrkampf im Interesse des deutschen Volkes zu führen. Das alles belegten die Chats der Gruppe Freital.

Nach Angaben des Vorsitzenden Richters Hans Schlüter-Staats werden die Verteidiger am Donnerstag plädieren. Eine Woche später, am Donnerstag, 4. Februar, will der Staatsschutzsenat mittags das Urteil verkünden.

Dritter Freital-Prozess bereits am Dienstag

Bereits an diesem Dienstag, 26. Januar, beginnt um 10 Uhr der dritte Prozess gegen zwei Männer und eine Frau, weitere mutmaßliche Unterstützer der Gruppe Freital. Auch diese Hauptverhandlung findet in dem OLG-Prozessgebäude am Hammerweg statt.

Einem der beiden Männer etwa wird vorgeworfen, an einem Überfall auf das alternative Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden mitgewirkt haben. Auch dieser Angriff auf Andersdenkende wurde von der Gruppe Freital initiiert. Das OLG hat neun Sitzungstage bis Mitte März geplant.