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So plante "Revolution Chemnitz" den Umsturz

Die mutmaßliche Terrorgruppe steht für eine neue Strategie rechtsextremer Gewalttäter. An diesem Montag beginnt der Prozess gegen sie.

Von Tobias Wolf & Alexander Schneider
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Einer der mutmaßlichen Rechtsterroristen der Gruppe „Revolution Chemnitz“ wird von Polizisten am Bundesgerichtshof abgeführt.
Einer der mutmaßlichen Rechtsterroristen der Gruppe „Revolution Chemnitz“ wird von Polizisten am Bundesgerichtshof abgeführt. © dpa/Christoph Schmidt

Noch ist es ruhig am Dresdner Hammerweg 26. Das massive Tor soll unerwünschte Eindringlinge, die Schleuse im Foyer alle Art von gefährlichen Gegenständen abhalten. Wer in die mit einem Stahlzaun gesicherte Außenstelle des Oberlandesgerichts Dresden will, wird akribisch durchsucht. Zu den Nachbarn gehören die Justizvollzugsanstalt, ein Straßenbauamt, die Bereitschaftspolizei und ein städtischer Wertstoffhof.

Was einst als Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber gebaut wurde, ist längst Teil der sächsischen Justiz. Der Gerichtssaal, den eine Sicherheitsglasscheibe vom Zuschauerraum trennt, gilt als besonders gesichert. Hier am Stadtrand von Dresden fanden und finden deshalb die großen Prozesse statt, die Sachsen seit Jahren beschäftigen. Die Gruppe Freital wurde hier als terroristische Vereinigung verurteilt. Hier erhielt der Syrer Alaa S. für die Messerattacke auf Daniel H. im August eine Haftstrafe von neuneinhalb Jahren wegen Totschlags. H. war im August 2018 am Rande des Chemnitzer Stadtfestes getötet worden.

Nun geht es vor dem Oberlandesgericht wieder um die Geschehnisse in Chemnitz. Eine mutmaßliche Terrorgruppe namens „Revolution Chemnitz“ soll nach dem Tod von Daniel H. und den folgenden Ausschreitungen und Aufmärschen einen gewaltsamen Umsturz für den 3. Oktober 2018 in Berlin geplant haben. Angeklagt sind sieben Männer aus Chemnitz und Umgebung sowie ein Mann aus dem Landkreis Meißen. Die Neonazis wollen „das Regime“ stürzen, den „Systemwechsel“ herbeiführen, ganz im Sinne ihrer rechtsradikalen Ideologie, heißt es in der Haftbegründung.

„Effektive Schläge gegen Linksparasiten"

Ausgangspunkt der Ermittlungen gegen sie ist der nächtliche Überfall auf der Chemnitzer Schlossteichinsel am 14. September 2018. Eine Truppe Rechtsextremer, sie nannten sich „Bürgerwehr“, drangsalierte erst einige Jugendliche und griffen dann eine siebenköpfige Gruppe an, darunter Pakistaner und Iraner. Die jungen Leute hatten sich zum Grillen getroffen. Die Angreifer gingen mit Quarzhandschuhen, abgebrochenen Glasflaschen und Elektroschocker auf sie los. Es gibt Verletzte, einer erleidet eine blutende Wunde am Kopf.

Einer der Verdächtigen ist Christian K. (32). Er kam wegen besonders schwerem Landfriedensbruch in Haft. Der mutmaßliche Chef von „Revolution Chemnitz“steht der Hooligan-Szene im Umfeld des Chemnitzer FC nahe und ist bei Ermittlungsverfahren zu rechtsextremen Straftaten aufgefallen. Die Polizei ordnete K. schon 2006 und 2007 dem Umfeld der verbotenen Vereinigung „Sturm 34“ aus Mittweida zu. Seine Verhaftung war der Anfang vom Ende der mutmaßlichen rechtsterroristischen Vereinigung, die „effektive Schläge gegen Linksparasiten, Merkel-Zombies, Mediendiktatur und deren Sklaven“ führen wollte.

Zwei Wochen später schlug die Bundesanwaltschaft zu und ließ sieben weitere Männer verhaften. In der Chat-Gruppe „Planung zur Revolution“ beim Onlinedienst Telegram sollen sie mit Christian K. Terrorpläne besprochen haben: Tom W., Maximilian V., Hardy Christopher W., Sten E., Sven W., Martin H. und Marcel W. Im Chat ging es darum, scharfe Schusswaffen anzuschaffen. Von Bürgerkrieg ist die Rede, von einer Maschinenpistole Typ MP5, und 9-mm-Pistolen. Jeder hat einschlägige Erfahrungen. K. soll angeregt haben, Mitstreiter im Fußball-Milieu zu finden, Anhänger bekannter Dresdner Hooligan-Gruppen wie „Elbflorenz“ und „Jungsturm“ etwa.

Polizisten schirmen im August 2018 in der Chemnitzer Innenstadt nach dem Tod des 35-jährigen Daniel H. einen Aufmarsch der rechten Szene ab.
Polizisten schirmen im August 2018 in der Chemnitzer Innenstadt nach dem Tod des 35-jährigen Daniel H. einen Aufmarsch der rechten Szene ab. © dpa/Sebastian Willnow

Der Abend am Schlossteich soll der Probelauf für die Aktion am 3. Oktober und weitere gewesen sein. Den NSU, der bis 2007 zehn Menschen ermordete, nannte Christian K. eine „Kindergartenvorschulgruppe“ im Vergleich mit den eigenen Absichten.

Auch Tom W. ist für die Behörden kein Unbekannter. Er war in der Gegend um Mittweida ein gefürchteter Neonazi-Schläger, als er mit anderen „Heil Hitler“ und „White Power“ brüllend und meist alkoholisiert nachts durch die Straßen zog, den örtlichen Döner-Laden angriff und aus der Studentenstadt Mittweida am liebsten eine „national befreite Zone“ gemacht hätte. Im März 2006 hatte er mit 20 anderen Neonazis den „Sturm 34“ gegründet. W. war ihr Anführer. Für die Gründung und Rädelsführerschaft in der kriminellen Vereinigung „Sturm 34“ erhielt er nach Jugendstrafrecht eine Bewährungsstrafe. W. und Christian K. kennen sich aus diesen Zeiten.

Der 31 Jahre alte Marcel W. zählt offenbar zu den engeren Bekannten von Christian K. Zusammen besuchten sie Neonazi-Musikfestivals. Sven W. (28) ist der nach außen hin Unauffälligste der Gruppe. Seine Gesinnung zeigt er mit Tätowierungen wie der „schwarzen Sonne“. Sie besteht aus übereinandergelegten Hakenkreuzen und ist Erkennungssymbol in rechten Kreisen. Hardy Christopher W. (29) soll Mitbegründer, aber nicht Mitglied von „Revolution Chemnitz“ sein. Auch er hat einschlägige Interessen wie Weltkriegs-Devotionalien und Neonazikonzerte.

Der 28-jährige Maximilian V. hat wohl die meisten Kontakte in die rechtsextreme Szene. Der Restaurantfachmann trägt seine Gesinnung offen nach außen. Bei Facebook teilte er ein Foto eines Rechtsrockkonzertes in Mittweida, an dem er offenbar selbst teilnahm. Im Foto zu sehen: ein Hitlergruß. V. pflegt Kontakte zu Szene-Musikern und ehemaligen NPD-Parteigrößen.

Der jüngste Angeklagte ist der 21-jährige Martin H. Er präsentiert sich im Internet als Anhänger der rechtsextremen Partei „III. Weg“, deren Fahne er bei Demonstrationen trägt. Er beteiligte sich an Neonazi-Aufmärschen in ganz Sachsen, darunter Dresden, Ostritz und Chemnitz.

Aufgeflogen ist die Gruppe am Ende dadurch, dass es einem zu kriminell wurde – dem einzigen Dynamo-Dresden-Hooligan der Runde, Sten. E. Der 29-Jährige hat sechs Tage nach dem Überfall auf der Insel ausgesagt. Über sein Handy könnten die Ermittler an die abgeschirmte Chatgruppe beim Messengerdienst Telegram gekommen sein. Der Hobby-Fußballer soll zuletzt in Nossen gelebt haben und im Ultra-Milieu von Dynamo Dresden aktiv gewesen sein. Polizeibekannt ist er, weil er seine Freundin gewürgt und mehrfach gegnerische Fußballfans angegangen haben soll. Zu Hitlers Geburtstag am 20. April postete er : „Seit 5.45 Uhr wird Geburtstag gefeiert! Alles Gute Chef. Wir vermissen dich.“

Hooligans, Neonazis, dumpfe Schläger – aber Terroristen? Nach der Festnahme ergoss sich ein Schwall der Häme aus rechten Sympathisantenkreisen wie Pegida und AfD über die Ermittler, weil bei Razzien nur ein Luftgewehr gefunden worden war. Die Anklage beruht indes auf umfangreichen Durchsuchungen verteilt über mehrere Monate, bei denen über 250 Asservate sichergestellt wurden, darunter Datenträger mit über 900 000 Daten. Außerdem wurden mindestens 75 Zeugen vernommen. Immer wieder versuchten rechtsextremistische Vereinigungen wie Pro Chemnitz, aber auch Teile der AfD den Terrorvorwurf gegenüber den acht Angeklagten zu relativieren. Der Tenor: Das seien nur ein paar dumme Jungs.

Ähnliches dachte man wohl auch von dem Rechtsextremisten Stephan E., ehe er den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor dessen Wohnhaus erschossen haben soll. Sicherheitsbehörden halten diese Art Täter für eine ernste Gefahr. Wie nun bekannt wurde, soll Stephan E. mit seinem mutmaßlichen Komplizen Markus H. am 1. September 2018 am „Trauermarsch“ von AfD und Pegida in Chemnitz teilgenommen haben. Das will die Rechercheplattform „Exif“ herausgefunden haben. Beide seien auf Videos zu sehen, die dem ARD-Magazin Monitor vorliegen. Darauf bewegen sie sich mit der „Pro Chemnitz“-Demo zum Trauermarsch mit den AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke (Thüringen) und Jörg Urban (Sachsen) sowie Pegida-Gründer Lutz Bachmann an der Spitze.

Schon vor den Ereignissen von August und September 2018 in Chemnitz gab es viele Zeichen, dass sich etwas verändert im Land und dass die zunehmende Verrohung der Sprache in der Öffentlichkeit Früchte trägt, ist aus Sicherheitskreisen zu hören. Mit der Flüchtlingskrise 2015 begann etwas, was die Ermittler aufhorchen ließ. Angriffe auf Asylbewerber und Unterkünfte stiegen massiv an. „Viele Täter fühlen sich als Vollstrecker eines imaginären Volkswillens, befeuert von Hetzreden aus dem rechten Spektrum, von völkisch-nationalen Brandreden bei AfD, Pegida und Co.“, so ein Sicherheitsexperte. Der verbalen Gewalt folge, dass gewaltbereite Extremisten zur Tat schreiten und sich im Recht fühlen.

Die Gefahr wachse, die von rechtsextremen Einzeltätern ausgeht. Sie handeln vielleicht irrational, aber fanatisch, spontan und entschlossen. Hinzu kommen Klein- und Kleinstgruppen, die keine Anbindung an größere Gruppen oder Parteien haben. Eine Art Partisanen, nur eben neo-national-sozialistisch geprägt, heißt es von Analysten. Der NSU ist ein solches Beispiel.

Nicht alle Täter stammen aus der rechtsextremen Szene. Aber viele sind über die Jahre vom Schirm der Verfassungsschutzämter und Landeskriminalämter verschwunden, räumen Ermittler ein. Es ist die Kehrseite des demokratischen Staates, dessen Behörden einerseits möglichst viele Daten über Verdächtige sammeln wollen, andererseits aber selbst hartgesottene Extremisten aus ihren Datensätzen löschen müssen, wenn sich diese ein paar Jahre nichts zuschulden kommen ließen.

Der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. trat jahrelang nicht in Erscheinung, lebte ein vermeintlich bürgerliches Familienleben und schlug dann zu. „Terrorgruppen können sich heute dank der Kommunikationsmöglichkeiten schneller bilden“, sagt ein hoher Beamter. Die Radikalisierung Einzelner schreite schneller voran, weil sie im Internet jederzeit auf Gleichgesinnte träfen. Konnten Ermittler und Verfassungsschützer bisher noch einen Teil der Extremisten über ihre Aktivitäten in sozialen Netzwerken wie Facebook verfolgen, ziehen sich Neonazis immer stärker in nicht einsehbare Chatgruppen bei Messengerdiensten wie Telegram oder Signal zurück – ganz wie die Terroristen des Islamischen Staats.

Die Hauptverhandlung beginnt am Montag. Beobachter erwarten, dass neben möglichen Anträgen der Verteidiger maximal die Anklage verlesen wird. Eher unwahrscheinlich wären wohl Aussagen der Angeklagten zu den Vorwürfen. „Egal was sie sagen würden, sie würden dafür nur kritisiert“, sagte ein Verteidiger. Den einen wären die Aussagen nicht ausreichend, anderen viel zu viel. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts hat 23 Sitzungstage bis zum 18. Dezember geplant. Falls erforderlich soll es ab Januar drei Mal wöchentlich bis Ende April weitergehen.

Für die Stadt Chemnitz bedeutet der Prozess gegen die selbst ernannten braunen Revolutionäre wieder Aufmerksamkeit, die man lieber nicht hätte. Diesmal geht es um die Taten junger deutscher Männer aus der Hooliganszene, die prototypisch dafür stehen können, wie sich das rechtsextreme Spektrum radikalisiert.