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Sechs Jahre ungeschlagen: Das Geheimnis des Dresdner Ruder-Vierers

Der legendäre Dresdner Ruder-Vierer war sechs Jahre ungeschlagen in aller Welt. Dieter Grahn, der am Mittwoch seinen 80. Geburtstag feierte, saß mit im Boot und kennt die Gründe.

Von Jochen Mayer
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Rudern ist sein Leben – auch mit 80 Jahren noch: Dieter Grahn im Bootshaus in Dresden bei seinen Lieblingssportgeräten.
Rudern ist sein Leben – auch mit 80 Jahren noch: Dieter Grahn im Bootshaus in Dresden bei seinen Lieblingssportgeräten. © Jochen Mayer

Dresden. Manche Beziehungen halten ewig. Ruderer kennen das wie Dieter Grahn und Dieter Schubert. Seit mehr als 60 Jahren sitzen sie im selben Boot, jede Woche zweimal. Und in ihren besten Zeiten jeden Tag, als sie zusammen mit Frank Forberger und Frank Rühle den legendären Dresdner Ruder-Vierer ohne Steuermann bildeten. Der gewann 1968 und 1972 Olympiagold, war zweimal Weltmeister – insgesamt sechs Jahre unschlagbar in aller Welt.

Dieter Grahn und Dieter Schubert treffen sich immer noch mit Klubgefährten und Gleichgesinnten im Dresdner Bootshaus. Rudern kennt keine Altersgrenze. "Wir machen das, was wir immer zusammen gemacht haben", sagt Grahn im Gespräch mit der Sächsische.de und erzählt, dass im Boot alle Bewegungen eingespielt und vertraut sind.

"Das einzige Problem ist beim Ein- und Aussteigen die Kniebeuge. Die fällt immer schwerer", erklärt der schlanke, athletische Rentner, der heute seinen 80. Geburtstag feiert. Schmunzelnd fügt er hinzu: "Sitzende Beschäftigungen sind lange machbar. Und beim Rudern ist der komplette Körper gefordert."

So spulen sie weiter gemeinsam ihre Elbe-Kilometer ab – und sitzen danach zusammen. "Ruderer haben den Vorteil eines Bootshauses. Da schwatzen wir nach der Ausfahrt beim Bier, man erfährt Neues und tauscht sich aus", sagt Grahn.

Dieter Grahn formte als Trainer Weltmeister in DDR und BRD

Über die Nachfolger wird auch geredet, dass es im deutschen Rudern seit Jahren bergab geht. "Die heutigen Bedingungen lassen sich nicht vergleichen mit unseren einstigen", klingt Grahn nachsichtig. Doch sofort schiebt er nach, dass keine Paläste für seinen Sport nötig seien. "Ruderer werden in Hütten gemacht, hieß es bei uns. Wenn ich trainieren will, muss es ordentlich und sauber sein. Das geht überall. Wichtiger sind ordentliches Material, gut ausgebildete Trainer, Sachkenntnis und genügend Athleten, die mitziehen."

Daran mangele es im deutschen Verband. Grahn weiß, wovon er spricht. Er war Klubtrainer in der DDR, Bundestrainer nach der Wende, formte Olympia-Helden und Weltmeister in beiden Systemen. Der Niedergang seiner Sportart hat viele Gründe.

Der legendäre Dresdner Ruder-Vierer: Dieter Schubert, Dieter Grahn, Frank Rühle und Frank Forberger bejubeln Gold bei Olympia 1972 in München.
Der legendäre Dresdner Ruder-Vierer: Dieter Schubert, Dieter Grahn, Frank Rühle und Frank Forberger bejubeln Gold bei Olympia 1972 in München. © Picture Alliance/ZB/Klaus Schlag

"Wir müssten viel mehr in Trainer investieren", benennt er ein Hauptproblem und erklärt: "Sie sind entscheidend, um junge Leute zur Weltspitze zu führen. Aber es gibt zu wenige in Deutschland, die gut ausgebildet sind. In der DDR hatten Nachwuchs- und Sichtungstrainer in der Regel ein Hochschul-Diplom. Jetzt reichen Wochenend-Lehrgänge, um die Auswahl zu trainieren. Und Trainer sollten gut entlohnt werden. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Darüber wird geredet, besonders nach Olympischen Spielen. Aber es passiert so gut wie nichts."

Der Dresdnerin Brigitte Bielig als Verbandschefin traut er zu, die Finger auf die Schwachstellen zu legen. "Aber wird sie gehört? Kann sie etwas ändern?", fragt er. Als Trainer nutzte Grahn seine Sportler-Erfahrungen. "Ich muss wissen, wo ich hin will", erklärt er einen Grundpfeiler des Erfolges. "Also brauche ich Ziele. Um die zu erreichen, ist ein Plan nötig sowie eine gewisse Breite an Athleten. So sind Spitzenleistungen möglich. Sicher muss Deutschland nicht überall die Weltbesten stellen, aber Ambitionen runterzuschrauben ist auch keine Lösung."

Dieter Grahn kritisiert Rückgang an Wettkämpfen

Grahn beklagt, wie selten Ruderer inzwischen im Fernsehen zu sehen sind. Sie teilen damit das Schicksal vieler anderer Sommersportarten. Und er registriert den Rückgang an Wettkämpfen: "In meiner Jugend kamen die Vereine zu Regatten nach Meißen, Radebeul, Pirna, Dresden. So bin ich groß geworden. Diese breite Form des Nachwuchs-Leistungssports gibt es nicht mehr. Wie soll sich da der Nachwuchs entwickeln?"

In Dresden wuchsen die Zweier Forberger/Grahn aus Meißen und die Pirnaer Schubert/Rühle zum Erfolgsvierer zusammen und wagten sogar, gegen den damaligen Klubtrainer zu putschen. Dem fehlte es an Konsequenz. "Wir wollten aber in die Weltspitze, dafür alles tun", begründet Grahn den ungewöhnlichen Weg zu einem Absolventen und Praktikanten der Leipziger Sporthochschule. Sie klopften bei Hans Eckstein an, lotsten ihn nach Dresden. Er wurde ihr Meistermacher, der Vater einer Erfolgsgeschichte.

Den Dresdner Vierer machten auch die Charaktere zur Legende. Forberger galt als Kapitän. "Jeder im Boot hörte auf ihn, er strahlte natürliche Autorität aus", beschreibt Grahn die Konstellation. "Die anderen hatten aber ebenfalls eine Stimme, wir konnten uns untereinander alles sagen. Wenn etwas nicht rund läuft, kommt es auf den Ton an. Wir konnten Klartext reden ohne Missstimmung."

Unter den vieren kam es nie zum Bruch. Umso mehr erschütterte sie, als Forberger 1998 mit 55 Jahren nach schwerer Krankheit starb. Ein Jahr später wurde seine Tochter Anna Junioren-Weltmeisterin im Ruder-Vierer.

Die Hassliebe zur Elbe

Der Dresdner Vierer wurde nach dem ersten Olympiasieg 1968 in Mexiko als DDR-Mannschaft des Jahres gefeiert. "Viele erfolgreiche Teams gab es damals wohl nicht", vermutet Grahn. Große Worte sind nicht sein Ding. Das galt auch für seine Kollegen. Sie waren gewöhnt, die Dinge anzupacken und hatten ihre Chancen dafür.

"Mitunter bestritten wir bei Regatten sechs Rennen von Freitag bis Sonntag im Vierer und Achter", erzählt Grahn. "So bekamen wir die nötige Wettkampfhärte. Wir sind als Klub Vierer und Achter gefahren, waren sogar mal 1968 DDR-Meister im Achter mit vier anderen Dresdner Ruderern." Dabei macht Rudern auf der Elbe auch heute noch hart. "Der Fluss wird nie langweilig", meint Grahn. Es muss eine Hassliebe gewesen sein, da er sich in besten Zeiten nach stehenden Gewässern sehnte.

Im Olympiajahr 1972 waren die Dresdner Erfolgs-Ruderer allein auf der Elbe 10.000 Kilometer unterwegs. "Nach meiner Protokollierung", sagt Grahn und meint die echten Kilometer. "Allein im Achter ging es dreimal jede Woche von Cotta bis zum Fernsehturm und zurück, 30 Kilometer. Im Vierer trainierten wir im Elbehafen, wo besondere Bedingungen herrschten."

Mutter von Dieter Grahn flieht aus Schlesien

Dabei wussten sie, dass immer mehr Trainingskilometer nicht automatisch Fortschritte brachten. Sie variierten, hatten das richtige Augenmaß mit ihrem Trainer. "So kamen wir durch die Phase der aus Berlin vorgegebenen maßlosen Umfang-Erweiterungen", sagt er mit schwejkschem Lächeln. "Das war nicht zu schaffen. Ich habe hartes Training nie gehasst – aber sinnlose Aktionen." Es gefiel ihm, sich auszureizen, an Grenzen zu gehen. Grahn gehörte zu den Fleißigen im Trainings-Alltag.

Lag diese Trainingshärte an einer kargen Kindheit? Die Mutter war in den letzten Kriegswochen mit Flüchtlings-Trecks aus Schlesien geflohen. Mit ihren sechs Kindern blieb sie in Sachsen, der Vater kam nicht aus dem Krieg zurück. Grahn hat keine Erinnerungen an die Kriegswirren. Aber an seine Kindheit in Bockwen bei Meißen. Die Mutter fand Unterkunft und Arbeit beim Bauern, die Kinder mussten mit ran.

"Wir hatten nicht viel", erzählt Grahn. "Ich fühlte mich sehr wohl im Dorf, alle mussten zupacken. Heute würde vieles als Kinderarbeit gelten. Ich habe im Stall, auf dem Feld, bei der Ernte mitgemacht, habe Säcke geschleppt, war mit Pferdewagen unterwegs, bin mit 13 Traktor gefahren. Wir kannten es nicht anders." Seinen ersten Urlaub gab es mit Ruder-Freunden. Als freudlose, harte Kindheit sieht Grahn seine jungen Jahre aber nicht. "Es war eine andere Zeit." Und wieder sagt er: "Das lässt sich nicht mit heute vergleichen." Die Zeit prägte ihn, half im Leistungssport-Alltag.

Rudern auf der Elbe, Radeln durch die Dresdner Heide

Die Mutter war nicht glücklich, als ihr Jüngster als letztes Kind das Haus verließ, in den Ruderkomplex nach Dresden umzog. Dort kommt Grahn im Cottaer Bootshaus nun ins Schwärmen über Bedingungen, die er für seinen Sport bekam: Elbe und Boote vor der Tür, Gleichgesinnte um ihn. Die Mutter nahm er mit nach Berlin, als es nach dem Olympiasieg 1968 den Empfang im Staatsrat gab.

Eine Begleitperson durfte jeder mitbringen. "Meine Mutter war immer eine arbeitsame Frau, zuletzt war sie als Köchin in der LPG tätig", erzählt Grahn. "In Berlin kam sie aus dem Staunen nicht raus. Plötzlich wurde ihr Kleiner als Olympiasieger gefeiert. Das machte sie stolz." Danach traf Grahn auf seine künftige Frau Christel in Meißen bei einer Tanzveranstaltung, wie es damals hieß. Sie war nach dem Olympiasieg 1972 an seiner Seite beim Empfang in Berlin.

Seit 52 Jahren sind sie verheiratet. Sein Geburtstag wird im kleinen Familienkreis begangen. Früher wurden runde Anlässe groß gefeiert, jetzt lässt er es ruhiger angehen, setzt neue Prioritäten. Die Familie mit zwei Kindern und drei Enkelkindern ist ihm wichtig, die Gemeinschaft im Kreise seiner Sportfreunde, das Rudern auf der Elbe, das Radeln von Bühlau in den Garten durch die Dresdner Heide. So genießt er sein Leben mit Sport, der ihn nicht loslässt.