SZ + Sport
Merken

Schöne Show, aber verboten: Deutschland und das Pyro-Dilemma

Jedes Jahr zahlen Fußballklubs zig Millionen Euro für das Fehlverhalten ihrer Fans an den DFB, auch Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue gehören dazu. Als Abschreckung wirkt das nicht. Nun soll es Konsequenzen geben.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Botschaft ist bewusst doppeldeutig gewählt – und Pyrotechnik längst nicht nur in Dresden ein Dauerbrenner, wie dieses Foto vom Saisonauftakt 2018/19 zeigt.
Die Botschaft ist bewusst doppeldeutig gewählt – und Pyrotechnik längst nicht nur in Dresden ein Dauerbrenner, wie dieses Foto vom Saisonauftakt 2018/19 zeigt. ©  Archivfoto: Robert Michael

Von Tom Bachmann und Felix Schröder

Frankfurt/Main. Der erfolgreiche Geschäftsmann Martin Kind hätte auf diesen Spitzenplatz liebend gern verzichtet. Sein Klub Hannover 96 führte in der vergangenen Saison nämlich die Strafentabelle der 2. Bundesliga an. Zu insgesamt über 630.000 Euro hatte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes den Verein wegen des Fehlverhaltens der Fans verurteilt – immerhin rund dreieinhalb Prozent des Profi-Etats.

Über acht Millionen Euro mussten Fußballvereine vergangene Saison an Strafen zahlen – so viel wie noch nie. Allein auf die Drittligisten entfallen davon gut eine Million Euro, und an der Spitze der Strafentabelle der Saison 2022/23 stehen mit Erzgebirge Aue und Dynamo Dresden die zwei sächsischen Klubs mit 146.410 und 145.890 Euro Bußgeldern.

Vor allem in Dresden ist das Thema ein Dauerbrenner, in Summe hat der Verein seit 2010 nach MDR-Recherchen rund 1,5 Millionen Euro für das Fehlverhalten seiner Fans an den DFB zahlen müssen. Doch weder Dynamo noch Hannover sind Einzelfälle, inzwischen betrifft es die große Mehrheit im Profifußball. Und eine neue verzichtbare Bestmarke ist schon in Sicht, erst Mitte Dezember wurde dem 1. FC Köln ein Strafantrag über fast 600.000 Euro zugestellt. Die Rheinländer akzeptierten das nicht, der Ausgang ist offen.

Über acht Millionen Euro Strafgelder mussten Fußballvereine in der Vorsaison an den DFB zahlen. Foto: dpa
Über acht Millionen Euro Strafgelder mussten Fußballvereine in der Vorsaison an den DFB zahlen. Foto: dpa © dpa/Tom Weller

„Der DFB, der die Strafen ausspricht, sollte zur Kenntnis nehmen, dass diese in den vergangenen Jahren nichts bewirkt haben. Ich sehe keinen Sinn in den Strafen“, sagt der 79 Jahre alte Kind nun. Eintracht Frankfurts Vorstand Philipp Reschke wiederum mahnte bereits in der Vorsaison: „Das sind Dimensionen, die wir schleunigst zurückdrehen müssen.“ Sein Verein musste sogar rund 860.000 Euro berappen, lag damit als Einziger vor Hannover.

Kind schlägt vor, dass der DFB und die DFL ein Konzept für alle Profiklubs erarbeiten, über das die Gesellschafterversammlung der 36 Bundesligavereine entscheiden soll. „Wichtig: Alle Bundesligaklubs sollten nach diesem Konzept arbeiten. Alle Optionen sind zu diskutieren, zum Beispiel auch personalisierte Sitz- statt Stehplätze“, sagte der Unternehmer. In Hannover arbeiten sie bereits an verbesserten Einlasskontrollen, Dynamo sucht vorrangig den Dialog mit den Fans – und kalkuliert wohl zudem Strafgelder im Etat ein.

Vorerst sind die Rollen schließlich weiterhin klar verteilt. Die Klubs sind dafür zuständig, dass in ihren Stadien alles pyrofrei bleibt. Der DFB wertet bei Vergehen Videoaufnahmen aus und bestraft. Im sogenannten Strafzumessungsleitfaden der Rechts- und Verfahrensordnung ist aufgelistet, was wie teuer ist – je nach Liga.

Pyrofackel kostet zwischen 350 und 1.000 Euro Strafe

So kostet eine Pyrofackel einen Bundesligisten 1.000 Euro, ein Drittligist muss 350 Euro zahlen. Ein abgeschossener Gegenstand kostet bereits 3.000 Euro in der Bundesliga. Einsatz von Laserpointern, Banner mit ungewünschten Botschaften (Preis nach Größe), Eindringen auf das Spielfeld, Spielunterbrechungen: Nahezu jeder Vorfall ist dort zu finden.

Das Geld können die Klubs zum Teil für eigene präventive Maßnahmen einsetzen, Dynamo Dresden beispielsweise finanzierte unter anderem neue Fangnetze hinter den Toren im Rudolf-Harbig-Stadion. Zudem können die Strafen auf die Verursacher umgelegt werden, wenn diese identifiziert werden können. Die stattliche Summe, die auf dem Konto des DFB landet, leitet der Verband indes an seine Stiftungen weiter.

Der 1. FC Köln will sich mit der Rekordstrafe nicht abfinden, in dem laufenden Verfahren ist mit einem Urteil frühestens in den nächsten Wochen zu rechnen. Geschäftsführer Christian Keller hatte Verbandsstrafen als „fernab der Realität der deutschen Fußball- und Fankultur“ bezeichnet, und der Klub warf dem DFB vor, die „Vorkommnisse unreflektiert unter teilweiser Anwendung eines standardisierten Strafzumessungsleitfadens zu bewerten“, was man in Köln für falsch hält.

Der DFB verweist darauf, dass der Leitfaden einst auf Wunsch der Vereine erarbeitet wurde, damit Strafen möglichst vergleichbar und transparent seien.

Carl Zeiss Jena scheitert mit Klage

Der Viertligist Carl Zeiss Jena hatte 2018 gar kein Verständnis dafür, dass die Klubs für das Fehlverhalten der Fans zur Rechenschaft gezogen wurden und ging bis nach Karlsruhe. Dort sagte das Bundesverfassungsgericht 2023 allerdings, dass man sich nicht mit einer Klage gegen Kollektivstrafen beschäftigen werde. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof die Klage der Thüringer abgewiesen. Begründung: Die Sanktionen seien keine Strafen, sondern präventive Abgaben.

Rein rechtlich ist der DFB also auf der sicheren Seite. Und doch muss sich etwas ändern. Denn seit der Corona-Pandemie haben sich die Strafen vervielfacht. In der Saison 2018/19 waren es noch rund 3,3 Millionen Euro. „Das Verhältnis ist in Schieflage geraten“, sagt der Frankfurter Reschke. Er stellt einen „pyrotechnischen Paradigmenwechsel“ fest, den es seit Corona gegeben habe. Feuerwerk im eigenen Stadion ist nun kein Tabu mehr.

Keine Lösung in Sicht

Eine Lösung? Nicht in Sicht. Stattdessen stehen sich Verband und Fans – nachdem eine lösungsorientierte Annäherung vor mittlerweile 12, 13 Jahren gescheitert ist – offensichtlich unversöhnlich gegenüber, und die Vereine sitzen zwischen den Stühlen. Kind, eigentlich ein Gegner der Pyrotechnik, zeigt sich inzwischen sogar offen für das kontrollierte Abbrennen.

Momentan sieht er darin jedoch keinen Konsens mit den Fans. „Den Befürwortern in den Kurven scheint es gerade Spaß zu machen, weil es nicht legal ist“, sagt Kind. Nach der unrühmlichen vergangenen Saison kündigte Hannover 96 ohnehin erst einmal an, die Verbandsstrafen in die Preisgestaltung der Eintrittskarten einfließen zu lassen. (dpa, mit SZ)