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Wie Dynamos Meistertrainer den Krieg erlebte

Walter Fritzsch hat sein Leben in Tagebüchern detailliert festgehalten. Teil zwei unserer neuen Serie befasst sich mit seinem Einsatz an der Ostfront.

Von Sven Geisler
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Deutsche Infanterie bei den Straßenkämpfen um Stalingrad. Die Schlacht endete für die Wehrmacht 1943 mit einer vernichtenden Niederlage. Die Einheit von Walter Fritzsch war vorher aufgerieben.
Deutsche Infanterie bei den Straßenkämpfen um Stalingrad. Die Schlacht endete für die Wehrmacht 1943 mit einer vernichtenden Niederlage. Die Einheit von Walter Fritzsch war vorher aufgerieben. © dpa

Dresden. Walter Fritzsch ist mit sich im Reinen. „Der heutige Sonntag war einer der schönen Überraschungen“, schreibt er an seine Frau Käthe. Am 30. September 1944 hat er seiner großen Liebe erst auf dem Standesamt, dann im Zwickauer Dom das Ja-Wort gegeben. In Rot und besonderer Schönschrift hält er das in seinem Tagebuch fest, seit 1938 sammelt der spätere Fußball-Trainer zunächst Zeitungsausschnitte, in denen er erwähnt wird, ab 1940 dokumentiert er dann für jeden Tag, was ihm wichtig erscheint. Während des Krieges mit Bleistift in Heftchen, später schreibt er akkurat und farbig aufwendig gestaltet in Terminplaner.

Was er an diesem 8. April 1945 an seine Frau schreibt, charakterisiert ihn als ehrgeizigen wie verblendeten Soldaten. „Um 9.30 Uhr musste ich zum Oberstleutnant. Mir wurde das Panzersturmabzeichen verliehen. Nun brauche ich wohl nichts mehr. Es genügt für einen kleinen Obergefreiten.“ Und Fritzsch erklärt: „Bei mir gibt es nur eine Parole. Ehrlich von der Welt, wenn es sein muss, abtreten. Denn es soll nicht später heißen, Obergefreiter Fritzsch wegen Feigheit vor dem Feind erschossen.“

Der Autor und Journalist Uwe Karte hat die Briefe, Dokumente und Tagebücher ausgewertet und in einem nicht nur wegen seiner 480 Seiten starken Buch aufgearbeitet. Es ist keine Biografie im klassischen Sinne, eher ein Selbstporträt, auch wenn Karte sowie Kommentatoren das Geschriebene einordnen. Der Leser kann sich selbst sein Bild von Fritzsch machen.

Tagebuch-Einträge während des Krieges - hier wischen:

© Archiv: Fritzsch/Karte
© Archiv: Fritzsch/Karte
© Archiv: Fritzsch/Karte
© Archiv: Fritzsch/Karte

Ist der spätere Meistertrainer von Dynamo Dresden ein bis zuletzt linientreuer Nazi? Oder ein blinder Mitläufer, der zu jung ist, das Erlebte zu hinterfragen? Am 1. Mai 1945 notiert er: „Die Bolschewiki machen unsere Heimat zur Katze. Hoffen wir das Beste. 23.30 Uhr brachte unser Hauptmann uns die traurige Mitteilung, dass unser geliebter Führer den Heldentod fand.“ Kein kritisches Wort zu Adolf Hitler. Bis zuletzt verwendet Fritzsch in den für sich selbst bestimmten Einträgen die Durchhalteparolen. Um durchzuhalten?

Zwei Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wird Fritzsch an die Ostfront geschickt, sein Eintrag: „5. September 1941 – Früh 7 Uhr ging es von Dresden-Neustadt ab.“ Am 20. Oktober erreicht er die 18. Panzer-Division, die beteiligt ist an der für die Wehrmacht zunächst erfolgreichen Schlacht um Kiew. „23. November 1941 – Machten wir einen Angriff auf Potschinok (bei Smolensk/Anm. d. Red). Keine Ausfälle von Toten“, hält Fritzsch nach seinem ersten Nahkampfeinsatz fest. Und sechs Tage später: „13.30 Uhr Großangriff, einige Schuss Artillerie und dann ging es mit Maschinengewehr und Hurra an die Sache. Hier hörte ich die ersten Schmerzschreie meiner Kameraden. Vor mir rauschte und pfiff es und knallte es. Ich kam mir vor, als wäre ich im Kino.“

Ein weiterer Beleg für seine Unbedarftheit, war er sich der Gefahr für sich genauso wenig bewusst wie der Folgen seines eigenen Handelns? „Jetzt kamen 20 - 30 Russen vor meinem MG“, schreibt Fritzsch weiter. „Auf einmal schrie der Leutnant zu mir – ich soll schießen – denn es gab bei uns erst noch die Feuererlaubnis. Dann ratterte mein 34er das erste Mal auf den Feind.“ Ob er getroffen und getötet hat, lässt sich nicht feststellen, es ist aber anzunehmen, zumal es nicht die einzige direkte Kampfhandlung bleibt, die er beschreibt.

"Ob ich sie getroffen habe, weiß ich nicht"

26. Dezember 1941, mit einem Spähtrupp verliert Fritzsch im Schneesturm die Orientierung. „Ich schlich mich ins Dorf, bis ich auf Posten stieß und als ich ein Stoj (Halt) vernahm, wusste ich, dass ich beim Iwan bin. Sofort schoss man auf mich. Ich fiel um und täuschte die Russen, als sei ich getroffen.“ Er habe seine Waffe schussbereit gemacht und die Handgranaten entsichert. Dann seien die Russen auf ihn zugekommen, um ihm ein paar Gnadenschüsse zu bereiten. „In demselben Moment, als sie in Kniestellung gingen, erfasste ich die Pistole und schoss auf sie. Ob ich sie getroffen habe, weiß ich nicht.“

Die Mutter von Autor Uwe Karte hat die Aufzeichnungen von Walter Fritzsch während des Krieges transkribiert.
Die Mutter von Autor Uwe Karte hat die Aufzeichnungen von Walter Fritzsch während des Krieges transkribiert. © Archiv Fritzsch/Karte

Fritzsch kommt unbeschadet aus dieser Situation, aber selbst die erlebte Todesgefahr löst in ihm keine Zweifel aus. Seine Beschreibungen wirken so verklärt furchtlos, als beobachte er das Geschehen als Außenstehender. „Jetzt ist es bereits 23.45 Uhr und das Feuer wurde immer noch nicht eingestellt“, schreibt er am 17. März 1943. „Hier sieht es aus wie im Krieg. Häuser brennen …und sind schwarz von den Einschlägen der Granaten“.

Fritzsch wird verwundet und entgeht so wahrscheinlich dem Tod an der Front. Zum Jahresende 1944 wird er wieder an die Front versetzt, erlebt den Rückzug von Ostpreußen aus. „So werde ich kämpfen, bis doch noch ein Sieg zustande kommen kann“, trägt er am 12. April 1945 ein – und zeigt keinerlei Anzeichen von Schuldbewusstsein oder Erkenntnis. „Man ist erschüttert, dass unser geliebtes Heimatland vernichtet werden soll.“

Vor dem Europapokalspiel mit Dynamo beim FC Bayern in München wird Walter Fritzsch von einem ARD-Reporter interviewt – und lässt mit einem Vergleich aufhorchen.
Vor dem Europapokalspiel mit Dynamo beim FC Bayern in München wird Walter Fritzsch von einem ARD-Reporter interviewt – und lässt mit einem Vergleich aufhorchen. © Screenshot: Karte

Als dieser Krieg vorbei ist, besorgt „Schmidt, Jürgen“ ein paar Zivilklamotten. „18 Uhr bekamen wir die Nachricht, dass wir mit Kämpfen aufhören und 24 Uhr die Waffen ablegen müssen“, trägt Fritzsch für den 8. Mai 1945 ein. Und einen Tag später: „Krieg für mich beendet.“

Eine Aufarbeitung findet zumindest in den Tagebüchern nicht statt. Allerdings sorgt Fritzsch später als Dynamo-Trainer mit seinen Erinnerungen für Aufsehen. Zum Beispiel, als er vor dem Europapokalspiel gegen den FC Bayern in München im November 1973 von Journalisten nach den durch Dauerregen schwierigen Bodenverhältnissen gefragt wird. „Passen Sie mal auf, ich bin beim Russland-Feldzug 80 Kilometer barfuß durch den Osten marschiert, da werden die Spieler wohl diese 90 Minuten durchhalten“, antwortet er.

Für den Trainer bleibt das genauso ohne Folgen wie im Jahr später sein Ausruf auf der Fahrt vom Flughafen nach Moskau. Panzersperren symbolisieren dort als Gedenksteine den Frontverlauf beim Rückzug der Wehrmacht: „Bis hierhin sind unsere gekommen“, meint Fritzsch. Sein Blick auf den Krieg und seinen Einsatz bleibt verklärt.

Tagebuch für Walter Fritsch - die Serie im Überblick:

  • Mit Hurra in den Krieg. „Dann ratterte mein 34er das erste Mal auf den Feind.“
Uwe Karte: Tagebuch für Walter Fritzsch. Sportfrei Verlag. 480 Seiten mit ca. 400 Fotos und Abbildungen. 48 Euro. ISBN: 978-3-00-063004-0. www.uwekarte.de
Uwe Karte: Tagebuch für Walter Fritzsch. Sportfrei Verlag. 480 Seiten mit ca. 400 Fotos und Abbildungen. 48 Euro. ISBN: 978-3-00-063004-0. www.uwekarte.de © Kopie: Karte