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Als Ulf Kirsten mal nicht auf Reiner Calmund hörte

Vor 20 Jahren feiert der ehemalige Dynamo-Stürmer Ulf Kirsten in Dresden mit 33.000 Fans seinen Abschied. Die Erinnerungen bringen ihn zum Schwärmen. Als Sportlicher Berater zieht er ein erstes Fazit.

Von Daniel Klein
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Torjäger Ulf Kirsten und Leverkusens Manager Reiner Calmund waren über Jahre ein erfolgreiches Duo. Nach dem Saisonfinale 2000 in Unterhaching mussten sie sich aber trösten.
Torjäger Ulf Kirsten und Leverkusens Manager Reiner Calmund waren über Jahre ein erfolgreiches Duo. Nach dem Saisonfinale 2000 in Unterhaching mussten sie sich aber trösten. © dpa/PA/Bernd Weissbrod

Dresden. Es sind nicht gerade die besten Bedingungen für ein Abschiedsspiel. Doch trotz des nasskalten Herbstwetters sind die Ränge im maroden Rudolf-Harbig-Stadion am Abend des 16. November 2003 bereits lange vor dem Anpfiff gefüllt. 33.000 Zuschauer drängeln sich dort, mehrere Sondergenehmigungen sind dafür nötig. Sie alle wollen sich von Ulf Kirsten verabschieden, der mit 37 Jahren seine Stürmerkarriere beendet.

Für Ulfs Dream-Team spielen Stars wie Rudi Völler, Olaf Thon, Bruno Labbadia, Jorghino, Bebeto, Jürgen Kohler, Karlheinz Riedle, Oliver Neuville und Toni Polster, die Dynamo-Auswahl führt Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner aufs Feld. Nach 79 Minuten geht Kirsten, der in beiden Mannschaften spielt und trifft, vom Platz. Für ihn wird sein damals 16-jähriger Sohn Benjamin eingewechselt.

Nach dem Abpfiff drehte Ulf Kirsten vor 20 Jahren beim Abschiedsspiel eine Abschiedsrunde.
Nach dem Abpfiff drehte Ulf Kirsten vor 20 Jahren beim Abschiedsspiel eine Abschiedsrunde. © Foto: SZ/Thomas Lehmann

20 Jahre ist das auf den Tag her, die Erinnerungen daran beim Angreifer aber nicht verblasst. „Das bleibt unvergessen. Es war ein gigantisches, rundum gelungenes Fest. Schöner hätte mein Abschied nicht sein können“, erzählt der inzwischen 57-Jährige im Podcast Schwarz-Gelb von Sächsische.de und Radio Dresden. Und er ist auch rückblickend noch froh darüber, dass die Partie im alten Stadion ausgetragen wurde. „In dem bin ich groß geworden, habe in der DDR-Oberliga gespielt“, sagt er. Zwischen 1979 und 1990 bestreitet er 210 Spiele für die Schwarz-Gelben und erzielt 79 Tore, nach der Wende wechselt er zu Bayer Leverkusen.

Doch seinen Abschied möchte er unbedingt in Dresden feiern. „Mein letzter Einsatz für Dynamo lag 13 Jahre zurück, dazu der Herbsttermin in der Länderspielpause – wir waren uns nicht sicher, ob da viele Leute kommen werden“, erinnert sich der Angreifer. Reiner Calmund, der als Sportdirektor Kirsten nach Leverkusen geholt hatte, ist skeptisch und rät ab. Doch die Bedenken sind überflüssig. „Toni Polster hat zu mir gesagt, dass er selten so ein Abschiedsspiel erlebt habe“, so Kirsten. Die Party im Hotel „Bellevue“ dauert bis in die Morgenstunden, manche Gäste lassen sich direkt von der Bar zum Flughafen fahren.

Früher Derby-Einsatz: Ulf Kirsten in der Saison 1984/85 im Spiel gegen Wismut Aue.
Früher Derby-Einsatz: Ulf Kirsten in der Saison 1984/85 im Spiel gegen Wismut Aue. © Archiv: SZ/Volker Santrucek

Am Rande der großen Sause erklärt Hans-Georg Moldenhauer, damals Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV), dass „Aushängeschilder wie Ulf Kirsten viel mehr bei den Vereinen eingebunden sein sollten – egal ob als Ehrenmitglied oder als Berater“. Es dauerte, bis der Wunsch des Funktionärs in Erfüllung ging. Zwar gründete Kirsten mit den Einnahmen des Abschiedsspiels eine nach ihm benannte Stiftung, mit der er auch den Dynamo-Nachwuchs unterstützt, doch fest engagiert wurde der gebürtige Riesaer vom Verein erst vor acht Monaten.

Seitdem fungiert er als Sportlicher Berater. „Mir macht es richtig Spaß. Ich musste in dieser Zeit noch keine Krisendiskussion mit Ralf Becker oder Markus Anfang führen“, erklärt er und meint den Sportchef sowie den Cheftrainer. „Ich gebe Hinweise, wenn mir auf dem Platz was auffällt, bin in die Kaderplanungen eingebunden. Daneben gibt es noch andere wichtige Themen wie Sponsoring und den Nachwuchs“, erzählt er.

Dass es für Dynamo in dieser Saison bisher so gut läuft, dafür gäbe es drei Gründe: „Wir haben die beste Mannschaft und die beste Spielanlage der Liga. Und der Trainerstab hat ein solch hohes Niveau, von der Qualität her müsste der mindestens in der zweiten Liga arbeiten“, findet er. Und das wird er wohl auch bald, davon ist Kirsten überzeugt. Vor der Saison hat er sich bei seinen beiden Ex-Vereinen festgelegt: Leverkusen wird zum ersten Mal deutscher Meister und Dynamo steigt in die 2. Bundesliga auf. „Pfingsten bin ich dann in Dresden und habe doppelten Grund zum Feiern“, legt er sich schon mal fest.

Die Bayer-Werkself wird wegen der vielen knapp verpassten Titel spöttisch auch Vizekusen genannt. „Was sich die Fans und die Angestellten des Vereins über all die Jahre anhören mussten und wie sie gelitten haben – jetzt ist Leverkusen einfach mal dran“, findet Kirsten, der das Erfolgsrezept der Mannschaft von Xabi Alonso in vier Worten zusammenfasst: „Starke Truppe, überragender Trainer.“

Eine Familie, ein Verein: Ulf arbeitet bei Dynamo als Sportlicher Berater und Sohn Benjamin als Torwarttrainer im Nachwuchsbereich.
Eine Familie, ein Verein: Ulf arbeitet bei Dynamo als Sportlicher Berater und Sohn Benjamin als Torwarttrainer im Nachwuchsbereich. © dpa/PA/Robert Michael

Für die Schwarz-Gelben wäre auch die Vize-Meisterschaft ein großer Erfolg. „Wir müssen nur nach dem Dritten schauen, wenn wir zu dem genügend Abstand halten, ist alles gut“, findet Kirsten. Vor dem Nachholspiel am Sonntag in Saarbrücken sind es bereits sieben Punkte, danach könnten es sogar zehn sein. Das wäre schon ein beruhigendes Polster. Und vielleicht eins, auf dem man sich ausruhen könnte?

Diese Gefahr sieht der Nationalspieler, der zum Klub der 100 gehört, nicht. Der Trainer und Typen wie Kapitän Stefan Kutschke würden da schon aufpassen und bei Gefahr Alarm schlagen, glaubt er. Zudem sei es doch auch ein Ziel, in einer Saison mal kein einziges Heimspiel zu verlieren. Nach bisher sieben Partien im Rudolf-Harbig-Stadion ist die Bilanz makellos.

Eine davon erlebte Kirsten nicht auf den Vip-Plätzen, sondern vom K-Block aus, wo die lautesten Fans stehen. Von den 90 Minuten gegen Preußen Münster habe er „nicht viel gesehen“, erzählt er. „Trotzdem war das eine sensationelle Erfahrung – und echt harte Arbeit. Ich war nach dem Spiel richtig kaputt, würde es gerne noch mal machen.“

Dieser Wunsch lässt sich leicht umsetzen, das Abschiedsspiel bleibt einmalig.