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"Ich habe mich wie ein Versager gefühlt"

Bei Dynamo war Niklas Kreuzer ein Publikumsliebling, der Abstieg ein Schock. Seitdem ist er vereinslos. Jetzt spricht er offen über seine Erfahrungen.

Von Sven Geisler
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Niklas Kreuzer hat sechs Jahre für Dynamo gespielt, doch seit dem Abstieg im Sommer sucht er einen neuen Verein - und war dabei ein bisschen naiv, wie er sagt.
Niklas Kreuzer hat sechs Jahre für Dynamo gespielt, doch seit dem Abstieg im Sommer sucht er einen neuen Verein - und war dabei ein bisschen naiv, wie er sagt. © Jürgen Lösel

Dresden. Wer öfter durch den Großen Garten in Dresden spaziert oder läuft, begegnet ihm sicher mal. Niklas Kreuzer dreht dort seine Runden, hält sich fit. Nach dem Abstieg mit Dynamo Dresden ist der 27 Jahre alte Fußball-Profi vereinlos. Jetzt Blickt er im Gespräch mit dem Internetportal transfermarkt.de auf das Jahr 2020 zurück, das für ihn sportlich "ein absolut beschissenes Jahr" war, wie er sagt, ihm privat aber ein großes Glück schenkte: Im August brachte seine Lebensgefährtin Melanie ihre gemeinsame Tochter zur Welt.

Kreuzer war sechs Jahre bei den Schwarz-Gelben, hat 160 Pflichtspiele bestritten. In die vorige Saison ging er noch als einer von vier Kapitänen, die Ex-Trainer Cristian Fiel vor dem Saisonstart bestimmt hatte. Doch es lief von Anfang an schlecht - für die Mannschaft und für Kreuzer. Bankplatz, eine Rote Karte, die er selbst als "einfach nur dämlich" bezeichnete, nicht einmal für sein bestes Spiel und das Tor in Hamburg wurde er belohnt, Dynamo verlor im November 2019 beim HSV durch zwei späte Gegentore mit 1:2.

Jetzt zieht Kreuzer in dem Gespräch Bilanz, ehrlich und selbstkritisch. "Die Hinrunde war einfach katastrophal. Wir mussten mit sieben Punkten Rückstand auf Platz 15 in die Rückrunde starten. Das holt man normalerweise nur auf, wenn alles gut läuft", sagt er. Die oft unsachliche Kritik einiger Fans in den sozialen Netzwerken kann er deshalb sogar verstehen. „Vielleicht bin ich da ein wenig altmodisch veranlagt", meint der Sohn des früheren Bayern-Verteidigers Oliver Kreuzer, aber: "In dem Augenblick, in dem ich meine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt habe, ist es meine verdammte Pflicht, mich mit dem Verein zu identifizieren und mich nach dessen Leitwerten zu präsentieren."

Corona keine Ausrede für den Abstieg

Die würden erwarten, sie sollen wie Männer auftreten, aber nicht alle verhalten sich selber so. "Teilweise verstecken sie sich dann hinter ihren Social-Media-Accounts. Wenn diese Leute mich nach dem Training ansprechen und das Gespräch mit mir suchen, dann nehme ich mir auch sehr gerne die Zeit für ihre Sorgen und Ängste.“

Ein Glücksmoment, der jedoch nicht lange anhält: Am 23. November 2019 bringt Niklas Kreuzer Dynamo beim hoch favorisierten Hamburger SV in Führung, doch am Ende verlieren die Dresdner doch unglücklich mit 1:2.
Ein Glücksmoment, der jedoch nicht lange anhält: Am 23. November 2019 bringt Niklas Kreuzer Dynamo beim hoch favorisierten Hamburger SV in Führung, doch am Ende verlieren die Dresdner doch unglücklich mit 1:2. © dpa/Christian Charisius

Kreuzer will auch die Corona-Pandemie mit den für Dynamo nach dem ersten Lockdown im Frühjahr besonders misslichen Umständen nicht als Ausrede für den Abstieg heranziehen. Dabei hatte die Mannschaft zuvor mit den Siegen in Regensburg und im Sachsenderby gegen Erzgebirge Aue eine Aufholjagd gestartet, den Rückstand auf die Nichtabstiegsplätze auf vier Punkte verkürzt. Doch wegen positiver Corona-Tests musste das Team ausgerechnet zum Re-Start im Mai für zwei Wochen in häusliche Quarantäne.

"Natürlich hat dieses Virus seinen Teil dazu beigetragen, dass wir nicht in die Erfolgsspur gekommen sind", meint Kreuzer, "aber die Hauptverantwortlichen sind wir Spieler. Wir müssen uns ankreiden lassen, dass wir nicht immer konstant als Team aufgetreten sind." Der gebürtige Münchner, der 2014 von Rot-Weiß Erfurt nach Dresden kam, sieht Profi-Fußballer auch in der Krise priviligiert "im Gegensatz zu vielen Menschen, die ihre Jobs aufgrund der derzeitigen Entwicklung verloren haben oder Angst haben müssen, diesen zu verlieren".

Seine eigene Vereinslosigkeit habe ihm noch mal bewusst gemacht, "in welcher Blase man als Fußballprofi lebt. Man muss sich keine Sorgen machen, alles wird einem hinterhergetragen. Sich dann hinzustellen und Corona als Ausrede für unseren oder allgemeinen Misserfolg zu nutzen, liegt mir fern."

Bei Ralf Minge reichte der Handschlag

Der neue Sportchef Ralf Becker hatte sich gemeinsam mit Cheftrainer Markus Kauczinski entschieden, Dynamo nach dem Abstieg neu aufzustellen. Die auslaufenden oder für die 3. Liga ungültigen Verträge wurden nicht verlängert, ausgenommen nur Marco Hartmann, Max Kulke sowie die Torhüter Patrick Wiegers und Stefan Kiefer. Auch Publikumsliebling Kreuzer musste gehen, nach seiner Darstellung habe man sich allerdings im gegenseitigen Einvernehmen getrennt. „Ehrlich gesagt war der Abstieg für mich ein Schock. Auch wenn es ein schleichender Prozess war, habe ich mich leer und enttäuscht gefühlt", berichtet er nun. Er sei einige Tage in seiner Wohnung geblieben, "weil ich wusste, wie sehr die Dresdner an ihrem Verein hängen. Ich habe mich wie ein Versager gefühlt“.

Insgesamt siebenmal lief Niklas Kreuzer vorige Saison bei Dynamo als Kapitän auf, hier übergibt er die Binde an Marco Hartmann (r.).
Insgesamt siebenmal lief Niklas Kreuzer vorige Saison bei Dynamo als Kapitän auf, hier übergibt er die Binde an Marco Hartmann (r.). ©  dpa/Robert Michael

Während Dynamo den Neustart vollzogen hat und derzeit als Spitzenreiter in der 3. Liga auf einem vielversprechenden Weg ist, sucht Kreuzer weiter einen neuen Arbeitgeber. Dabei wähnte er sich im Sommer schon sicher, war bei zwei Vereinen vor Ort, hat Gespräche geführt, sich alles angeschaut - und eine neue Erfahrung gemacht. „Ich muss zugeben, dass ich in Bezug auf den Profifußball etwas naiv war", räumt der Defensivmann jetzt ein. "In Dresden habe ich eine sehr menschliche Seite des Fußballs kennengelernt. Wenn Ralf Minge sagte, der Vertrag wird verlängert, dann gab es einen Handschlag und ein paar Tage später lag der schriftliche Vertrag vor.“

Zwei Vereine lassen Kreuzer hängen

Doch nun erfuhr er, dass ein Wort unter Männern nicht immer gilt. "Immer wieder wurde beteuert, dass sie mich unbedingt verpflichten wollen, selbst als die Vorbereitung startete, habe ich den Satz zu hören bekommen: ‚Niklas mach dir keine Sorgen, wir holen dich.‘ Dafür lehnte ich sogar andere Anfragen ab. Aus heutiger Sicht ein klarer Fehler von mir.“ Dabei gehe es ihm nicht in erster Linie ums Finanzielle. „Mir ist mir bewusst, dass durch Corona die Vereine jeden Euro umdrehen und eher mit einem kleineren Kader auskommen müssen“, meint Kreuzer. "Ich will nicht lügen, natürlich ermöglicht der Fußball einem Freiheit und einen besonderen Lebensstandard. Aber das Geld war nie mein Antrieb.“

Ein Tiefpunkt für Niklas Kreuzer (r.) in der vorigen Saison: Schiedsrichter Christian Dingert (3. v. l.) zeigt ihm im Spiel gegen Hannover 96 die Rote Karte. Dynamo verliert zu Hause mit 0:2.
Ein Tiefpunkt für Niklas Kreuzer (r.) in der vorigen Saison: Schiedsrichter Christian Dingert (3. v. l.) zeigt ihm im Spiel gegen Hannover 96 die Rote Karte. Dynamo verliert zu Hause mit 0:2. ©  dpa/Robert Michael

Er bekomme viel Zuspruch von ehemaligen Weggefährten: „Man sagt ja immer, im Fußball halten Freundschaften nicht. Aber welche Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft mir entgegengekommen ist, selbst von Spielern mit denen ich lange Zeit keinen Kontakt mehr hatte, fand ich schon bemerkenswert“, erzählt Kreuzer. Er arbeitet mit einem Athletiktrainer und einem Sportphysiologen zusammen, um sich so gut wie möglich fit zu halten und hofft, bald wieder auf dem Platz stehen zu können.

Mit dem Kapitel Dynamo aber hat er längst nicht abgeschlossen. "Der Fan Kreuzer bleibt dem Verein bis zum Lebensende erhalten", betont er in dem ersten ausführlichen Interview seit der Trennung.

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