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„Mein Fokus liegt auf der Weltspitze“

Shorttrackerin Anna Seidel spricht über die Geheimnisse ihres größten Erfolgs und neue Unstimmigkeiten mit dem Verband.

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So erfolgreich wie noch keine deutsche Shorttrackerin vor ihr: die Dresdnerin Anna Seidel.
So erfolgreich wie noch keine deutsche Shorttrackerin vor ihr: die Dresdnerin Anna Seidel. © Adam Warzawa/PAP/dpa

Dresden. Das Aushängeschild und die Beste hierzulande ist die Dresdnerin Anna Seidel schon lange. Doch bei der EM in Gdansk am vorigen Wochenende setzte die 22-jährige Shorttrackerin einen drauf – Silber im Mehrkampf sowie Silber und Bronze über die Einzelstrecken 1.500 und 1.000 Meter. Das hat noch keine Deutsche in der Nischensportart geschafft.

Frau Seidel, wie fühlt es sich an, etwas geschafft zu haben, was noch keiner anderen deutschen Shorttrackerin gelungen ist?

Sehr, sehr gut, ich bin super happy. So richtig realisiert habe ich das noch nicht. Aber ich bin schon stolz und mir auch bewusst, dass das nicht einfach und schon eine ordentliche Leistung war.

Haben Sie für Ihr historisches Glanzstück etwas ausgeben müssen?

Ja, das ist passiert. Wir haben für alle Essen bestellt, und das habe ich bezahlt.

Wie erklären Sie sich Ihren Höhenflug?

Es hat mir geholfen, dass es vorher überhaupt keinen Druck gab, weil man sich auf anderen Wettkämpfen nicht mit anderen Athletinnen vergleichen konnte. Es gab für uns schlichtweg keine Wettkämpfe. Ich wusste nicht, wo die anderen stehen und auch nicht, wo ich stehe. Ich bin viel entspannter an die Aufgabe herangegangen, habe mehr meinen Fähigkeiten vertraut.

Wenn Sie es vorher nicht wussten, wo Sie stehen – wissen Sie es jetzt?

Ja, schon. Aber im Shorttrack ist das nur eine Momentaufnahme, kann sich schnell ändern. Ich kann das ganz einordnen.

Sie arbeiten seit dieser Saison mit einem Mentalcoach zusammen. Was machen Sie genau – oder: Was macht der mit Ihnen?

Man hat normale Sitzungen wie wahrscheinlich bei jedem anderen Psychologen auch. Wir reden darüber, wo ich persönlich Schwächen sehe. Rutger Nagel hilft mir relativ passiv, so, dass ich aktiv die Sachen hinterfrage, selbst Schlüsse ziehe. Dabei hilft er mir, dass ich besser werde, was speziell mein Selbstvertrauen angeht oder wie man im Wettkampf mit Druck oder Angst umgeht und entspannt bei sich bleiben kann. Die Möglichkeit nehme ich vor wichtigen Wettkämpfen jetzt regelmäßig wahr.

Vor der EM war unklar, ob es bis zur WM Anfang März noch Weltcups geben wird. Wissen Sie inzwischen mehr?

Es ist leider relativ konkret, dass die Weltcups nicht ausgetragen werden und wir bis zur WM in Holland nur trainieren. Dass die Weltcups abgesagt sind, ist aber okay – solange die WM wirklich stattfindet.

Wie sicher war Ihrer Ansicht nach die Blase, in der Sie und Ihr Team in Gdansk gelebt haben?

Das war sehr, sehr gut organisiert. Wir waren alle überrascht, wie gut das funktioniert hat. Jeden Morgen musste jeder Betreuer oder Athlet ein Protokoll ausfüllen, ob man Symptome hat oder sich sonst irgendetwas verändert hat. Die Körpertemperatur wurde dabei jeden Tag gemessen und in der Eishalle nochmals überprüft. Mit den Tests hat auch alles super geklappt, man ist direkt bis vor das Zimmer gekommen und hat den Abstrich genommen. Auch das Essen wurde ans Zimmer gebracht. Das haben die Organisatoren echt gut hinbekommen.

Lenken Sie diese coronabedingten Eingriffe eigentlich noch ab?

Das ist komplett im Alltag angekommen, das war nicht lästig, wir hatten genug Zeit.

Die EM dominierte die einmal mehr überragende Olympiasiegerin Suzanne Schulting aus Holland. Was fehlt Ihnen zu dieser Ausnahmeathletin?

Bis zu ihrem Niveau ist es noch ein Stück, gerade auf den längeren Strecken ist sie physisch sehr stark, und da ist sie mir körperlich auch überlegen. Über 1.500 Meter habe ich am Ende sogar ein bisschen auf sie aufschließen können. Ich bin auf einem guten Weg, den Abstand zu verkürzen. Das wird nicht einfach, sie ist nicht umsonst Weltmeisterin und Olympiasiegerin.

Der Bundestrainer rechnet nach der starken EM auch bei der WM mit „guten Perspektiven“. Was erwarten Sie selbst?

Die Frage ist, wer wirklich zur WM kommt. Es gibt Gerüchte, dass die Chinesen und Koreaner vielleicht nicht an den Start gehen. Davon sind unsere Chancen abhängig. Wenn alle Asiaten da sind, wird es schwierig, noch mal solche Platzierungen wie bei der EM abzurufen. Aber wenn ich meine Denkweise und meine Physis so beibehalten kann, ist viel möglich. Von Platz eins bis zehn ist jeder mal vorn gewesen. Wenn alles gut zusammenspielt, wie bei der EM, ist da was zu holen. Die Top-Ten ist schon mein Ziel.

Seit Sie bei Olympia 2014 als 15-Jährige überraschen konnten, gelten Sie als das deutsche Gesicht Ihrer Sportart. Hätten Sie gern mehr interne Konkurrenz?

Im Training gibt es schon die eine oder andere Einheit, in der die Mädels rankommen. Das merke ich auch: Das hilft mir, noch mehr Gas zu geben. Aber mein Fokus ist an sich mehr auf die Weltspitze gelegt.

Kurz vor der EM hat der als neuer Assistenz-Bundestrainer eingestellte Leon Kaufmann-Ludwig seinen Job wegen Querelen mit dem Verband hingeschmissen. Gibt es einen Nachfolger?

Es hieß, dass Anfang Februar etwas verkündet wird, da bin ich gespannt. Wir wissen noch nichts.

Hätten Sie sich gewünscht, dass die Athleten in diese Entscheidung mit einbezogen werden?

Ja, das wäre schön gewesen. Aber ich glaube, die Stelle war für jeden offen ausgeschrieben. Ich weiß auch nicht, was genau im Februar verkündet wird. Auf jeden Fall ist es immer wünschenswert, wenn Sportler einbezogen werden.

Das Gespräch führte Alexander Hiller.