SZ + Wirtschaft
Merken

Krieg in der Ukraine sorgt für neue Diskussion um Kohleausstieg

Der Ukraine-Krieg stellt die Energiebranche vor die Frage, wie die Versorgung gesichert werden kann. Sachsens MP Michael Kretschmer fordert eine Überprüfung des Fahrplans für das Kohle-Aus.

Von Nora Miethke
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der Gasspeicher in Bojarka in der Ukraine ist ein Transitpunkt. Die russische Invasion in der Ukraine veranlasst Politiker wie Energiemanager, neu über die Energiesicherheit nachzudenken.
Der Gasspeicher in Bojarka in der Ukraine ist ein Transitpunkt. Die russische Invasion in der Ukraine veranlasst Politiker wie Energiemanager, neu über die Energiesicherheit nachzudenken. © AP

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bedeutet nicht nur eine Zeitenwende in der Sicherheitspolitik, auch in der Energiepolitik. Doch was die richtige Antwort ist – ob man Braunkohlekraftwerke länger als geplant am Netz lässt oder der schnelle Ausbau von LNG-Flüssiggasterminals, Solar- und Windparks sowie Wasserstoffpipelines gelingt – darüber herrscht Uneinigkeit. Das wurde auf der ersten Konferenz zur Infrastrukturentwicklung im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BdEW) am Dienstag in Cottbus deutlich.

Jetzt müsse neu gerechnet werden, was man an grundlastfähiger Energie aus dem Ausland brauche und was man im eigenen Land produzieren wolle, forderte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in Cottbus. "Man muss sich ehrlich machen und die Scheuklappen bei Seite lassen, was Braunkohle und was Atom angeht. Möglicherweise brauchen wir sie doch etwas länger als gedacht", so Kretschmer.

Aus Sicht von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke müsse der auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg neu überdacht werden. Dieser sei gekoppelt an den Bau von neuen Gaskraftwerken, die erst mit Erdgas und langfristig mit Wasserstoff betrieben werden sollen. "Ich habe momentan nicht die Phantasie, wo die zusätzliche Gasversorgung herkommen soll, vor allem die Gasvorräte für den nächsten Winter", sagte Woidke. Deutschland ist bei Gas von russischen Importen abhängig.

Die Ampel-Koalition hatte vereinbart, dass der Ausstieg aus der Kohle "idealerweise" bis 2030 vorgezogen werden soll. Die Unsicherheit über den Kohleausstieg, die seit letzten Herbst wieder besteht, müsse beseitigt werden. Er erwarte eine klare Antwort der Bundesregierung, so der SPD-Politiker.

In der Stadthalle von Cottbus diskutierten Spitzenpolitiker aus Berlin und den Kohleländern mit den Chefs der Energieunternehmen über die Folgen des Kriegs in der Ukraine für die Energieversorgung in Ostdeutschland. Eigentlich sollte es auf der Konferenz
In der Stadthalle von Cottbus diskutierten Spitzenpolitiker aus Berlin und den Kohleländern mit den Chefs der Energieunternehmen über die Folgen des Kriegs in der Ukraine für die Energieversorgung in Ostdeutschland. Eigentlich sollte es auf der Konferenz © dpa-Zentralbild

Michael Kellner, Staatssekretär für Wirtschaft und Klimaschutz im Bundeswirtschaftsministerium, versuchte zu beruhigen. Der nächste Winter sei die größte Herausforderung. "Dafür müssen wir alle Maßnahmen ergreifen, um die Energieversorgung in Deutschland abzusichern", betonte der Grünen-Politiker. Die Bundesregierung bereite sich für den Fall vor, dass keine Energieimporte mehr aus Russland kommen. Wirtschaftsminister Robert Habeck schließt nicht aus, dass Kohlekraftwerke in Deutschland länger laufen müssen, um das Land energiepolitisch unabhängiger von Russland zu machen. „Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen, die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein“, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Dennoch stellte Kellner klar: "Wir sehen jetzt auch, dass der Ausbau von erneuerbaren Energien eine Frage von nationaler Sicherheit ist" . Man müsse aus geostrategischen wie Klimaschutz-Gründen "notwendigerweise" so schnell wie möglich raus aus Kohle und Gas. "Sie sind der Preistreiber", so Kellner.

"Für die Energiebranche steht der Kohleausstieg nicht in Frage", betonte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des BdEW und Gastgeberin der Konferenz. Voraussetzung sei aber das Gewährleisten der Versorgungssicherheit auch in den kommenden Jahren. Die aktuelle Situation zeige, dass Deutschland unabhängiger und resilienter werden müsse bei der Energieversorgung, auch wenn es immer Energieimportland bleiben werde. Deshalb müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell vorankommen – "in einem Tempo und Maße, wie wir es noch nie gesehen haben", so Andreae.

Doch ob dies gelingt, daran gibt es Zweifel. Auf der Konferenz in Cottbus, die auch die Akteure in der Infrastrukturentwicklung der ostdeutschen Kohlereviere besser vernetzen sollte, wurden mehrere Strukturwandelprojekte im Energiebereich vorgestellt. Großes Potential und eine "echte Chance" für Ostdeutschland sehen Politik wie Wirtschaft beim Aufbau einer Wasserstoffindustrie. So soll in Bad Lauchstädt unter Federführung der VNG AG die gesamte Wertschöpfungskette für die Herstellung von grünen Wasserstoff abgebildet werden. Der Wasserstoff soll durch eine aus DDR-Zeiten stammende Pipeline nach Leuna transportiert werden, wo er dann in der Chemieproduktion eingesetzt werden soll. Das Projekte ist auf zehn Jahre angelegt, 140 Millionen Euro werden investiert. Der Gasversorger VNG will ein mitteldeutsches Wasserstoffnetz knüpfen.

Der Energiekonzern Leag und der Netzbetreiber Mitnetz stellten ihre erst gerade geschlossene Kooperation zum Aufbau einer funktionierenden Wasserstoff-Infrastruktur in der Lausitz und in Mitteldeutschland vor. Die Leag soll grünen, also mit erneuerbaren Energien hergestellten Wasserstoff produzieren, die Mitnetz anschließend über sein Gasnetz verteilt. "Noch gibt es keine Märkte und wenig wirtschaftliche Anwendungsansätze für grünen Wasserstoff", betonte Frank Mehlow von der Leag. Ziel sei es, in den kommenden zwei bis drei Jahren Projekte wie zum Beispiel Wasserstoff-Tankstellen sichtbar zu machen, die zeigen, dass die Technologie funktioniert.

Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG). In der Diskussion ist, Jänschwalde nach dem Kohleausstieg zu einem Gaskraftwerk umzurüsten.
Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG). In der Diskussion ist, Jänschwalde nach dem Kohleausstieg zu einem Gaskraftwerk umzurüsten. © dpa/Patrick Pleul

Auch VNG-Vorstandschef Ulf Heitmüller ist nach eigenen Worten beeindruckt von den Wasserstoff-Aktivitäten in Ostdeutschland, in den rund 600 Unternehmen involviert sind. "Das sind alles tolle Projekte, aber im Inkubatorstadium", schüttete Heitmüller Wasser in den Wein. "Nur als Osten können wir gemeinsam diesen Schatz heben. Wir brauchen eine zentrale Koordinierungsstelle auf Bundesebene", forderte Heitmüller, auch um aufzupassen, dass die Wasserstoffmagistralen von Rostock nach Bad Lauchstädt auch wirklich Ostdeutschland führen. Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung sicherte zu: "Wir machen eine zentrale Koordinierungsstelle über die Bundesländer hinweg, um die Wasserstoffprojekte zu bündeln". Der Markt sei noch nicht verteilt und er wolle, dass Ostdeutschland vor dabei ist, betonte der SPD-Politiker. Das würde auch dem Selbstbewusstsein in der Lausitz helfen. Als Standortvorteile sieht Schneider die Verfügbarkeit von Ansiedlungsflächen und eine "gewisse" Erfahrung , schnell große Infrastrukturvorhaben umsetzen zu können. Ein Problem sei jedoch die Gewinnung von Fachkräften.

Krieg in der Ukraine - Themen aus Sachsen:

"Das Gasgeschäft und das Verhältnis zu Russland wird nachhaltig leiden", ist sich VNG-Chef Heitmüller sicher. Das sei für Ostdeutschland wie für sein eigenes Unternehmen eine "wirklich dramatische Situation", wenn natürlich nicht vergleichbar mit der lebensbedrohenden Situation für die Ukrainer. Um Alternativen aufzubauen, brauche es vor allem Rechtssicherheit für Verträge und konstante Rahmenbedingungen, auf die man sich verlassen könne, forderte der neue Vorstandschef der Leag AG, Thorsten Kramer. Man sei dabei, Investoren zu überzeugen, in vier neue Gaskraftwerke zu investieren. Das würden diese nur tun, wenn das Ausstiegsdatum für Erdgas im Jahr 2045 auch sicher sei und nicht ebenfalls vorgezogen werde. Planungssicherheit für die Energiewirtschaft habe es in den letzten zehn Jahren nicht gegeben, konstatierte Frank Brinkmann, Vorstandschef der Sachsen-Energie AG.

Ulf Heitmüller, Vorstandschef der VNG AG und Alexey Miller, CEO von Gazprom, unterzeichneten 2019 auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg einen Liefervertrag. Jetzt sagt Heitmüller: "Das Verhältnis zu Russland wird nachhaltig leiden. Das ist eine drama
Ulf Heitmüller, Vorstandschef der VNG AG und Alexey Miller, CEO von Gazprom, unterzeichneten 2019 auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg einen Liefervertrag. Jetzt sagt Heitmüller: "Das Verhältnis zu Russland wird nachhaltig leiden. Das ist eine drama © Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Es war wenig Optimismus zu spüren, dass sich dies ändern wird. Doch Stephan Lowis von der Envia-M lässt sich davon nicht unterkriegen. Ihm wurde auf der Bühne "zu viel darüber diskutiert, was nicht geht". Stattdessen sollte man darüber sprechen, was notwendig ist, um schnell handeln zu können. In der Sicherheitspolitik habe die Bundesregierung Dogmen über Bord geworfen und wolle jetzt 100 Milliarden Euro in die militärische Ausrüstung investieren. Das wünscht sich Lowis auch für den Energiebereich. "Wir brauchen jetzt einen klaren Einstiegsplan in die erneuerbaren Energien, nicht nur Ziele", so Lowis.