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Die Spur der Schatzjäger: Heimatforscher entdeckt Bergwerk bei Hohnstein

In der Hoffnung auf Erz gruben sich mittelalterliche Hauer in den Fels. Ihr Stollen wäre verschüttet geblieben. Wäre da nicht ein Pirnaer und sein Tiefenrausch.

Von Jörg Stock
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"Eine kleine Sensation." Bodendenkmalpfleger Gerhard Schneider (r.) und Reporter Jörg Stock auf den Spuren mittelalterlicher Bergleute bei Hohnstein.
"Eine kleine Sensation." Bodendenkmalpfleger Gerhard Schneider (r.) und Reporter Jörg Stock auf den Spuren mittelalterlicher Bergleute bei Hohnstein. © Marko Förster

Schneider und Schneider gehen ans Werk. Sie sind nicht verwandt, und sie haben verschiedene Berufe. Der eine ist Ofenbauer, der andere Maschinenbauingenieur. Hier arbeiten sie zusammen, weil sie eine Leidenschaft eint: die Suche nach Relikten im Untergrund. Während andere in der Freizeit Fußball spielen oder im Garten buddeln, sagt Michael Schneider, der Ofenbauer, widmen sie sich der Archäologie. „Es ist ein kleines Abenteuer vor der Haustür.“

Wo dieses Abenteuer stattfindet, soll nicht näher erwähnt sein. Ein Archäologe, sagt Gerhard Schneider, der Ingenieur, gibt nie mehr preis als nötig, vor allem dann nicht, wenn es wie heute um eine kleine Sensation geht. So nennt Schneider jenen Bau, den er wohl als Erster seit Jahrhunderten kürzlich betreten hat. Würde der Zugang öffentlich, kämen womöglich unliebsame Gäste, und mit ihnen Partys, Feuerstellen und Müll.

„Der Instinkt eines Hobby-Archäologen.“ Die ehrenamtlichen Denkmalpfleger Gerhard Schneider (r.) und Michael Schneider haben bei Hohnstein ein Bergwerk aus dem Mittelalter entdeckt.
„Der Instinkt eines Hobby-Archäologen.“ Die ehrenamtlichen Denkmalpfleger Gerhard Schneider (r.) und Michael Schneider haben bei Hohnstein ein Bergwerk aus dem Mittelalter entdeckt. © Marko Förster

Nur so viel: Wir sind in einem Waldgebiet in der Sächsischen Schweiz, östlich von Hohnstein. Es war 2019, als Gerhard Schneider hier im Vorüberfahren – er hat mindestens ein Auge immer in der Botanik – am Berghang eine rundliche Erhebung bemerkte, ähnlich einem Hügelgrab. „Da hab’ ich mir gesagt: Das musst du dir mal angucken.“

Es ist der Instinkt des Hobby-Archäologen, der Schneider alarmierte. Ein Instinkt, den der beinahe Siebzigjährige seit seiner Jugend trainiert hat, als er anfing, Bücher über Geschichte einzusaugen, als er begann, über Äcker zu stiefeln und Scherben aufzusammeln, als er lernte, die Eigenarten des Geländes als ehemalige Burgwälle, Siedlungsstätten, Heerlager oder Bergwerke zu deuten.

Glückauf! Gerhard Scheider beim Einfahren in die Unterwelt. Die Länge des Stollens betrug einmal rund 30 Meter.
Glückauf! Gerhard Scheider beim Einfahren in die Unterwelt. Die Länge des Stollens betrug einmal rund 30 Meter. © Marko Förster

Was ist Natur? Was hat der Mensch gemacht? „Das zu unterscheiden, ist die große Kunst.“ Im Falle des rundlichen Haufens im Hohnsteiner Busch, schätzungsweise 250 Kubikmeter Inhalt, war Schneider sicher: Das kann kein natürliches Gebilde sein. Hier hat ein Bergbauversuch stattgefunden, und zwar kein kleiner.

Hangaufwärts geht es, über dürres Laub und stachelige Brombeerranken, die nach den Füßen angeln, als wollten sie diesen Ort bewachen. Bald wölbt sich rechts, unter Buchen und Eichen, die Halde auf. Dahinter führt ein Hohlweg zu einer großen, lehmigen Narbe, die unter mächtigen Baumwurzeln aufgebrochen ist. Hier liegt der Zugang zur verlorenen Welt der mittelalterlichen Schatzsucher.

Ankunft im Dunkel: Weil das ursprüngliche Mundloch zugebrochen ist, führt der Weg ins Bergwerk über eine Rampe aus Erde und Gestein.
Ankunft im Dunkel: Weil das ursprüngliche Mundloch zugebrochen ist, führt der Weg ins Bergwerk über eine Rampe aus Erde und Gestein. © Marko Förster

Wer waren diese Leute? Bergbauprofis waren sie, die durch die Lande zogen und sich immer da verdingten, wo hoffnungsfrohe Geldgeber sie bezahlten. Sachsen befand sich im Silberrausch. Bei Schneeberg, so berichten es die Quellen, war 1477 ein derart großer Klumpen gediegenen Silbers gefunden worden, dass der Kurfürst noch in der Tiefe einen massiven Tisch davon machen ließ, um mit seinen Räten daran zu tafeln.

Rechts der Elbe sind solche Schätze nie aufgetaucht. Deshalb ist ein Bergwerk wie dieses so besonders, sagt Gerhard Schneider. Es zeigt, dass die Erwartung, fündig zu werden, dennoch bestand. Man bewegt sich im Umfeld der Lausitzer Überschiebung. Vor Jahrmillionen begrub hier Granit den Sandstein. Heiße Lösungen stiegen auf und brachten Minerale mit, meistens Eisen. Doch erhoffte man sich auch „edlere Geschicke“, Kupfer, Zinn, Silber, im besten Fall natürlich: Gold.

Im geräumigsten Teil der Grube. Hier haben sich die Hauer fast zweieinhalb Meter weit nach unten gearbeitet.
Im geräumigsten Teil der Grube. Hier haben sich die Hauer fast zweieinhalb Meter weit nach unten gearbeitet. © Marko Förster

Wir sind am Stollen. Aber wo ist das Mundloch? Etwa acht Meter zurück war es mal, im Lockergestein des Hangs. Ein hölzerner Ausbau wölbte sich darüber. Der ist längst verrottet und eingestürzt. Jetzt müssen wir bei der lehmigen Narbe hinein. Sie markiert den Übergang vom losen Schutt in den Felsen.

Denkmalpfleger dürfen das

Vor vier Jahren hat Gerhard Schneider hier den Schaufelstiel in den Dreck gebohrt und gespürt: Dahinter ist Luft. Mehrere Wochenenden lang wurde das Loch vergrößert, bis er und sein Kollege Micha hindurchpassten, später auch Leute von der Bergsicherung und vom Landesamt für Archäologie. Irgendwann, vermutlich nach einem starken Regen, fiel die Öffnung wieder zu, ohne dass Schneider seien Fund publik gemacht hätte.

Zeugen der Hoffnung: Am Grunde dieses Schachts liegen Reste der hölzernen Arbeitsbühne und der darauf aufgebauten Haspel.
Zeugen der Hoffnung: Am Grunde dieses Schachts liegen Reste der hölzernen Arbeitsbühne und der darauf aufgebauten Haspel. © Marko Förster

Nun heißt es erneut: freilegen und sichern. Die Schneiders dürfen das. Sie sind behördlich bestellte Denkmalpfleger. Siebzehn solche Ehrenamtler gibt es im Landkreis, neun davon befassen sich mit Archäologie und Bodendenkmalen. Diese zu erkunden, zu dokumentieren und darüber zu informieren, zählt zu den Aufgaben, sagt Gerhard Schneider. „Der Zweck rechtfertigt die Mittel.“

Wir arbeiten. Eine Stunde, zwei Stunden. Doch der Schweiß rinnt vergebens. Schon denken wir ans Aufgeben, da gelingt Micha Schneider, tief in dem Trichter kauernd, endlich der Durchbruch. „Das Loch ist da!“ Bald darauf taucht Gerhard Schneider, bäuchlings und im Rückwärtsgang, als Anführer der Expedition in den Schlund hinab.

Leben im Verborgenen: Der Stollen ist offenbar nicht ganz ausgestorben, wie diese Fliege beweist.
Leben im Verborgenen: Der Stollen ist offenbar nicht ganz ausgestorben, wie diese Fliege beweist. © Marko Förster

Auf der Rampe aus Einbruchschutt herabgeglitten, öffnet sich ein verblüffender Blick: Eine geräumige Kammer, gute zwei Meter hoch, gut einen Meter breit, liegt vor uns. Ringsherum steht Granit. Die Höhlung ist akkurat ausgehauen. Ihre Wände schimmern rötlich, bräunlich, manchmal auch blauschwarz.

Es sind Schattierungen von Eisen. Eisenerz war es also, das die Bergleute in diese Tiefe lockte, damals, im 13. oder 14. Jahrhundert, wie Schneider schätzt. Mit Schlägel und Eisen, so nimmt er an, dürften sie drei bis fünf Zentimeter am Tag vorangekommen sein.

Die letzten Schläge der Hauer: Spuren von Schlägel und Eisen am Stollen-Ende.
Die letzten Schläge der Hauer: Spuren von Schlägel und Eisen am Stollen-Ende. © Marko Förster

Nach zehn Metern weitet sich der Gang und ein rechteckiges Loch fällt dreieinhalb Meter nach unten. Im glasklaren Wasser sieht man Hölzer liegen, mit Zapflöchern. Es sind die Reste einer Leiter und einer Arbeitsbühne mit aufmontierter Haspel, an deren Förderseil einst die Tonne für das abgebaute Gestein hing.

Wir balancieren am Schacht vorbei, vorbei an den Kerben im Boden, worin die Träger des Podests ruhten, vorbei an Höhlungen in der Wand, wo wahrscheinlich das Geleucht stand. Szenen, die Gerhard Schneider förmlich vor Augen hat. „Sie müssen sich in die Menschen hineinversetzen“, erklärt er, „wie sie gelebt haben, was sie gedacht haben.“

Das haben die Bergleute gesucht, aber offenbar kaum gefunden: ein kleiner Klumpen Eisenerz von der Stollenwand.
Das haben die Bergleute gesucht, aber offenbar kaum gefunden: ein kleiner Klumpen Eisenerz von der Stollenwand. © Marko Förster

Nach weiteren elf Metern hört der Stollen auf. Striemen in der Wand, letzte Schläge der Hauer. Nach Schneiders Schätzung haben sie zwei Jahre hier gerackert. Und was haben sie gedacht? „Gehofft haben sie auf einen reichen Erzanbruch“, sagt er. Beim Hoffen ist es geblieben. „Gefunden haben sie ihn nicht.“