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Pflegeheim-Betreiber will Energiepreispauschale einbehalten

Wegen gestiegener Kosten kündigt eine Einrichtung in Gröditz ihren Bewohnern an, die 300 Euro Sonderzahlung einzubehalten. Ist das überhaupt erlaubt?

Von Kornelia Noack
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Auch Bewohner von Pflegeheimen haben die Energiepauschale des Bundes erhalten. Müssen sie sie wirklich abliefern?
Auch Bewohner von Pflegeheimen haben die Energiepauschale des Bundes erhalten. Müssen sie sie wirklich abliefern? © dpa

Sebastian S.* schwante nichts Gutes, als er Mitte vergangener Woche einen Brief von dem Pflegeheim im Briefkasten hatte, in dem seine Verwandte lebt. Da die Rechnung für Januar schon durch war, konnte es sich nur um eine weitere Preiserhöhung handeln, da war sich S. sicher. Denn davon habe es in den vergangenen Jahren einige in der Gröditzer Einrichtung gegeben.

S. kümmert sich seit vielen Jahren schon als Betreuer um das schwer demente Familienmitglied in dem Pflegeheim. Die Zeilen, die er nun lesen musste, machten ihn einfach nur wütend.

"Im Februar von Ihrem Konto abziehen"

„Aufgrund der gestiegenen Energiekosten hat die Bundesregierung im Dezember 2022 eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro gezahlt. Für die Bewohner, die in unserem Pflegeheim wohnen, werden wir die Energiepreispauschale gemeinsam mit den Heimkosten im Februar von ihrem Konto einziehen.“ Unterzeichnet ist der Brief, der der SZ vorliegt, von Andreas Krüger, Geschäftsführer der ASB Altenheim-Betriebsgesellschaft mit Sitz in Riesa.

Weiter heißt es darin: „Unsererseits haben wir alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um den Verbrauch von Strom und Gas zu senken. Trotz aller Maßnahmen sind leider auch die Energiekosten des Pflegeheims stark gestiegen.“

Rentner erhielten Zahlung im Dezember

Für S., der seinen Namen aus Rücksicht auf seine Familie lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, ist das der blanke Hohn. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Abbuchung rechtmäßig ist“, sagte er der SZ. „Es ist doch unglaublich. Den Rentnern in Pflegeheimen, die sich nicht wehren können, wird bei jeder Gelegenheit das Geld aus der Tasche gezogen.“

Weil die Kosten für Gas und Strom massiv gestiegen waren, hatte der Bund im vergangenen Jahr die Energiepreispauschale beschlossen. Arbeitnehmer erhielten im September und Rentner im Dezember eine einmalige Zahlung von 300 Euro brutto. Das Geld sollte die zusätzlich anfallenden Kosten abfedern, auch für Bewohner von Pflegeheimen, die oft hohe Zuzahlungen für ihren Platz leisten müssen. Wofür private Haushalte das Geld am Ende wirklich einsetzen, bleibt ihnen selbst überlassen. Soll das bei Pflegebedürftigen anders sein?

Rechtslage ist eindeutig

Nein. Das Sächsische Sozialministerium bestätigt der SZ: Das Einziehen der Energiepauschale bei Pflegeheimbewohnern ist nicht rechtens. Doch wie kommt die Einrichtung aus dem Kreis Riesa dazu, das Geld einfach einzufordern? „Wir haben die Ankündigung vorsorglich rausgeschickt und versuchen gleichzeitig über den Paritätischen Wohlfahrtsverband zu klären, ob wir die Energiepauschale einziehen müssen, können oder sollen“, teilt Heimchef Andreas Krüger auf eine schriftliche Anfrage der SZ mit.

Die Gesetzeslage ist jedoch eindeutig. „Die Einrichtungen dürfen nur die verhandelten Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung in Rechnung stellen sowie die Investitionskosten“, so eine Sprecherin des Sächsischen Sozialministeriums. Hierbei handelt es sich um die sogenannten Eigenanteile, die jeder Bewohner eines Pflegeheimes zuzahlen muss. Energiekosten fließen dabei in die Kosten für Unterkunft und Verpflegung mit ein.

Kosten werden langfristig verhandelt

Allerdings: Die Sätze können von den Einrichtungen nicht willkürlich festgelegt werden. Sie werden in regelmäßigen Abständen neu kalkuliert und mit den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern verhandelt. Dabei werden alle Kosten offengelegt. Erst dann können Erhöhungen überhaupt an die Bewohner weitergegeben werden.

Andreas Krüger schreibt dazu: „Wir wollten nicht Gefahr laufen, bei den nächsten Kostenträgerverhandlungen uns dem Vorwurf auszusetzen, dass wir ja die Energiepreispauschale hätten einziehen können.“ Ein Argument, das einer Prüfung also nicht standhält.

Pflegeheime erhalten finanziellen Zuschuss

Hinzu kommt: Voll- und teilstationäre Pflegeeinrichtungen haben für den Zeitraum vom Oktober 2022 bis einschließlich April 2024 einen Anspruch auf sogenannte Ergänzungshilfe von den Pflegekassen. „Alternativ bekommen sie aus dem Härtefallfonds ihre erhöhten Energiekosten erstattet“, sagt Ralph Beckert, Landesgeschäftsführer des Sozialverbandes VdK. Dabei wird ihnen die Differenz zwischen den aktuellen Abschlägen und dem Verbrauch, den sie im März 2022 hatten, erstattet.

Hat die Gröditzer Einrichtung davon Gebrauch gemacht? „Noch nicht, da die Verträge mit unseren Versorgern bis Ende 2022 gelaufen sind“, teilt Andreas Krüger mit. „Ab Januar zahlen wir für Gas etwa 15 Cent pro Kilowattstunde, vorher waren es 3,5 Cent. Wir beantragen die Hilfe demnächst, wenn die Abschlagsrechnungen für Gas und Strom da sind“, so Krüger.

Geschäftsführer ist uneinsichtig

Für S. ist das kein Trost, denn dann wäre das Geld von seiner Verwandten ja bereits eingezogen. Auch er hatte Erkundigungen eingeholt, nachdem der Brief vergangene Woche bei ihm eingegangen war. Bei der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen sowie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Die Antwort war immer die gleiche: Pflegeeinrichtungen können nicht einfach die Energiepreispauschale der Bewohner einziehen. Oder anders: Heimbewohner sind nicht dazu verpflichtet, das Geld an die Einrichtung weiterzuleiten.

Der Gröditzer Geschäftsführer ist sich jedoch sicher, nicht unrechtmäßig zu handeln. „Wofür sind die Pauschalen dann bestimmt, wenn sie nicht bei den Energiekosten der Bewohner herangezogen werden? Das entlastet meines Erachtens zumindest die Landkreise als Kostenträger“, schreibt Andreas Krüger.

Kosten müssen vertraglich vereinbart sein

Grundsätzlich dürfen Einrichtungen jedoch nur die Entgelte von ihren Bewohnern verlangen beziehungsweise einziehen, die vertraglich vereinbart sind, sagt Micaela Schwanenberg, Rechtsreferentin bei der Verbraucherzentrale Sachsen. „Die Pauschalen der Bewohner quasi vorsorglich mit Blick auf zu erwartende, höhere Energiekosten zu vereinnahmen, dürfte ausgeschlossen sein.“

Krüger wolle nun erst einmal die Antwort des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes auf seine Anfrage abwarten. Er gehe davon aus, dass der Sachverhalt bis Ende Januar geklärt sei und die Pauschale nicht eingezogen wird.

Gröditz kein Einzelfall?

In dem Schreiben klang das allerdings noch ganz anders. S. ist daher auf alles gefasst und hat sich anwaltlich beraten lassen. Weil die Rechtsgrundlage für den Einzug der Energiepreispauschale fehlt, will er Widerspruch einlegen und der Einrichtung die Einzugsermächtigung für den Betrag entziehen.

Schwanenberg rät zudem: Jeder Heimbewohner sollte prüfen, ob und wenn ja, wofür dem Heim überhaupt eine Einzugsermächtigung vorliegt.

Der Fall des Gröditzer Heimes scheint kein Einzelfall zu sein. Laut Sozialverband VdK sind inzwischen mehrere Beschwerden bei verschiedenen Wohlfahrtsverbänden in Deutschland eingegangen.

„Dieses Verhalten zeichnet für uns das Bild, dass sich hier Träger von Pflegeheimen auf Kosten der ihnen anvertrauten Personen bereichern“, sagt Ralph Beckert. Der VdK fordert daher, eventuell zu Unrecht eingezogene Gelder zurückzuerstatten.


*Name und Identität sind der Redaktion bekannt.