Energiewende in Sachsen: "Windkraft im Wald wird kommen"
Wolfgang Daniels sieht Rückenwind für die Energiewende in Sachsen. Ein Interview mit dem Präsidenten der Vereinigung zur Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien.
Herr Daniels, ist die Krise ein Antrieb für die Energiewende oder eine Bremse?
Die Krise ist nicht gekommen, damit die Energiewende schneller geht – auch wenn uns manche Bürger diese Meinung entgegenhalten. Aber alle wissen jetzt, dass wir unsere Energieversorgung mehr auf eigene Beine stellen müssen. Da sehe ich das Glas halb voll.
Der Windkraft-Ausbau in Sachsen kommt kaum voran. Wie viele Anlagen erwarten Sie in nächster Zeit?
Bis Jahresende werden zehn bis zwölf Windkraftanlagen in Sachsen ans Netz gehen. Das sind Projekte, die acht bis zehn Jahre lang vorbereitet werden mussten. Es lösen sich langsam die Bremsen.
Aber seit diesem Jahr sind in Sachsen 1.000 Meter Mindestabstand von Windkraftanlagen zu Wohnhäusern vorgeschrieben. Ein ernsthaftes neues Hindernis?
Es ist kein unüberwindbares Hindernis, wir können die 1.000 Meter in sehr vielen Fällen einhalten. Es gibt Grenzfälle mit zum Beispiel 995 Metern, da ist noch nicht klar, ob die Genehmigung verweigert wird. Aber es werden ja noch Änderungen von der Bundesregierung kommen, die das wohl relativieren werden. Sachsen muss zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft bereitstellen, es sind erst 0,3 Prozent.
Die neue Vorschrift zum Mindestabstand ist lange angekündigt worden. Warum hat Ihre Branche nicht vorher in neue Anlagen in Sachsen investiert?
Es ist kaum gebaut worden, weil es Blockaden gab. Alleine im Erzgebirge haben etwa acht Gemeinden versucht, mit Bebauungsplänen Windkraftanlagen zu verhindern. Das hat auch mein Planungsbüro betroffen. Eine Gemeinde hat nun allerdings vor Gericht eine Niederlage erlitten und gemerkt, dass Anwälte auch Geld kosten.
Daraufhin hat eine Mehrheit im Gemeinderat durchgesetzt, das nicht weiter zu verfolgen. Da kommen wir jetzt endlich ins Genehmigungsverfahren für ein Projekt aus dem Jahr 2015, allerdings haben sich viele Vorschriften inzwischen geändert.
Wird es nun leichter oder schwerer, Windkraftanlagen zu bauen?
Es gibt ein Umdenken in den Behörden. Wo junge Leute in die Genehmigungsbehörden hineinwachsen, weht ein anderer Wind. Im Landkreis Mittelsachsen gibt es einen neuen Landrat, dort wird jetzt ohne ideologischen Hintergrund geprüft. Ich treffe auch in vielen Orten auf junge Bürgermeister, auch von CDU und Freien Wählern, die ganz pragmatisch an das Thema herangehen. Sie sehen Windkraft auch als Einnahmequelle, auf die ihre Gemeinde nicht verzichten kann.
In Brandenburg und Sachsen-Anhalt drehen sich viel mehr Anlagen, ist dort mehr Wind? Dort ist nicht grundsätzlich mehr oder weniger Wind, sondern die Behörden, zum Beispiel in Brandenburg, waren immer schon positiver eingestellt.
Grüne Energieminister regieren im Bund und in Sachsen, müsste da der Ausbau der Öko-Energie nicht schneller vorankommen?
Es werden jetzt permanent die Bedingungen geändert. Das grüne Energieministerium in Sachsen hat aber nur begrenzte Kompetenzen, was das Genehmigungsverfahren angeht. Das Regional- und Bauministerium ist in CDU-Hand, und man schiebt die Schuld für Verzögerungen hin und her. Da würden wir uns wünschen, dass der Ministerpräsident seine Richtlinienkompetenz einsetzt. Er hat uns für Januar zum Gespräch eingeladen.
"Windkraftanlagen im Wald sollten auf möglichst kleinen Flächen untergebracht werden"
Der Braunkohlekonzern Leag will ehemalige Tagebauflächen für Ökostrom in Gigawatt-Größenordnungen nutzen, wie finden Sie das?
Ja, das wird notwendig sein, um die Industrie mit Wasserstoff aus erneuerbarer Energie zu versorgen – nach meiner Ansicht noch zusätzlich zu den zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft.
Gleichzeitig wird in Sachsen über Windkraftanlagen im Wald diskutiert …
Das wird kommen, da bin ich sicher. In Hessen und Rheinland-Pfalz gibt es das schon.
Der sächsische Koalitionsvertrag schließt das doch aus.
Da gibt es aber Lücken, laut Energie- und Klimaprogramm gilt das nicht für alle Flächen. Natürlich soll man keine Windkraftanlagen in Mischwäldern aufstellen, in Biotopwäldern oder sonstigem geschütztem Wald. Aber in Waldfarmen aus Fichten oder Kiefern gibt es geeignete Standorte, die zudem große Abstände zur Wohnbebauung bieten. Natürlich müssten Besonderheiten beachtet werden.
Welche meinen Sie?
Die Windkraftanlagen im Wald sollten auf möglichst kleinen Flächen untergebracht werden, möglichst fünf bis zehn Anlagen zusammen. Außerdem gibt es zum Brandschutz für solche Standorte Hochdruck-Feuerlöschsysteme mit Düsen oben in den Anlagen. Wir würden solche Projekte in Kooperation mit Gemeinden vorantreiben, Interessierte gibt es bereits. Bei gutem Willen von Politik und Genehmigungsbehörden könnten also neue Flächen erschlossen werden.
Geht denn der Ausbau der Leitungen voran?
Viele junge Unternehmen beschäftigen sich mit den Themen Netze und Speicher, und auch Versorger wie Envia-M treiben das Thema voran. Trotzdem ist es manchmal zum Verzweifeln, wenn wir an einen älteren Mitarbeiter mit Quasi-Beamtenstatus geraten, der lieber nicht über den Standort einer Trafostation entscheiden möchte. Dann geht nichts voran. Noch kann man nicht überall von Neuanfang reden.
Beim Vogelschutz gibt es neue Regeln – zulasten der Vögel?
Bisher gingen manchmal zwei Jahre bei der Planung einer Windkraftanlage verloren, weil untersucht werden musste, ob zum Beispiel ein Rotmilan im Umkreis von 1.500 Metern herumflog. Nach den neuen Vorschriften geht es nicht mehr um den Schutz des einzelnen Vogels, sondern um die Frage, ob der Bestand dieser Vögel gefährdet ist.
Außerdem kann jetzt eine vereinfachte Analyse zeigen, ob das Nahrungsangebot in dem Gebiet überhaupt solche Tiere anlockt. Mancherorts genügt es auch, in den Tagen nach der Ernte örtlich Windkraftanlagen auszuschalten, weil gerade dann Störche und Milane zum Feld kommen. Das sind sachgerechte Entscheidungen, bisher diente manchmal Naturschutz nur als Argument zur Verhinderung.
"Ich denke, das Thema Atomkraft ist in Deutschland erledigt"
Ist der Ausbau bei Solaranlagen einfacher als bei Windkraft?
Auch bei Solaranlagen geht es zu langsam voran. Zwar kommen dort die Vorgaben nicht aus den Regionalplänen der Regionalen Planungsverbände, sondern aus den kommunalen Bebauungsplänen. Aber auch die sind vollgestopft mit Kriterien. Außerdem sind Solarmodule nur mit langen Wartezeiten zu bekommen, und fertige Anlagen warten lange auf die Erteilung des Zertifikats. Das kann ein Jahr dauern, weil es zu wenige Zertifizierer gibt. Auf Bundesebene wird aber eine Vereinfachung vorbereitet.
Viele Stromproduzenten machen gerade hohe Gewinne, weil mit dem Gaspreis auch der Strompreis gestiegen ist. Die Bundesregierung überlegt, solche Zufallsgewinne abzuschöpfen. Sind Sie bereit, etwas abzugeben?
Ja. Der Preis für Strom aus alten Windkraftanlagen nach Auslaufen der EEG-Förderung lag lange bei vier Cent pro Kilowattstunde. Manche haben nun zeitweise 25 bis 30 Cent an der Börse erzielt, das haben wir nie erwartet. Wenn das begrenzt würde, hätte ich damit kein Problem.
Allerdings ist der Preis schon wieder zurückgegangen. Bei hohen Einnahmen denkt mancher Betreiber übrigens auch darüber nach, das Geld in ein neues Getriebe zu investieren und damit der Anlage eine längere Laufzeit zu ermöglichen. Früher kostete ein Getriebewechsel etwa 100.000 Euro, das hat sich verdoppelt.
Die Energiewende gilt als ein deutsches Thema, wie sieht es in anderen Staaten aus?
Im Osten sehe ich keinen Durchbruch, in Polen oder Litauen wurde immerhin eine Grundsubstanz an erneuerbaren Energien geschaffen. In Frankreich geht man anders an das Thema heran, der Aufwand für die Planung ist nicht so gigantisch wie in Deutschland. In Spanien, Italien und Griechenland geht es voran, das sind Küstenländer, da lohnt sich die Windkraft besonders.
Der Winter steht bevor, die Werbeprospekte sind voll mit Elektroheizgeräten mit hohem Stromverbrauch. Wie heizen Sie?
Wir haben uns vor vielen Jahren darüber Gedanken gemacht und ein Biomasse-Blockheizkraftwerk gebaut, das sich mit Rapsöl betreiben lässt. Etwa 20 Wohnungen und ein Kindergarten sind an unser Nahwärmenetz angeschlossen. Unser Speicher ist noch voll, zumindest für die Grundversorgung. Wir versuchen, alles effizient zu gestalten.
Sie waren mal in der Anti-Atomkraft-Bewegung. Haben Sie Verständnis für diejenigen, die angesichts der Energiekrise auf Kernkraft setzen möchten?
Manche hoffen auf vermeintlich einfache Lösungen, das ist Wunschdenken. Freilich braucht man fast 250 Windkraft-Anlagen, um die Leistung eines Atomkraftwerks zu erreichen. Aber Windkraft ist nachhaltig. Und selbst in Sachsen, wo nach Atomkraft gerufen wird, will die doch niemand in seinem Ort.
Der Widerstand ist immer gleich, ob gegen Windkraft oder Atomkraft. Ich denke, das Thema Atomkraft ist in Deutschland erledigt. Ob ein vorhandenes Kraftwerk ein halbes Jahr länger laufen darf, das halte ich für nicht so bedeutsam.