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"Es ist sehr schlimm, wenn Kunststoffe als kompostierbar bezeichnet werden"

Die Sachsen produzieren immer mehr Müll. Ein sächsischer Abfallexperte kritisiert dennoch eine neu geplante Recyclinganlage bei Leipzig, den Kiesabbau in Ottendorf-Okrilla und kompostierbare Plaste.

Von Luisa Zenker
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Der Müll und die Deutschen. Im Interview kiritisiert ein sächsische Abfallexperte eine neu geplante Recyclinganlage in Sachsen.
Der Müll und die Deutschen. Im Interview kiritisiert ein sächsische Abfallexperte eine neu geplante Recyclinganlage in Sachsen. © Bernd Thissen/dpa

Herr Lohmann, die Sachsen produzieren jährlich 1,47 Millionen Tonnen Müll. Mehr als die Hälfte der Kunststoffe wird verbrannt. Dabei gibt es unzählige Abfallstrategien. Warum wird noch immer nicht genug recycelt?

Erstens: Wir müssen alle Menschen zum Abfalltrennen bewegen. Allein im Dresdner Restabfall befinden sich noch immer etwa 30 Prozent Bioabfall, 10 Prozent Verpackungsmüll, 10 Prozent Papier – alles wertvolle Stoffe, die in der schwarzen Tonne landen, obwohl wir eine blaue, gelbe und braune Tonne haben. Das ist nicht mehr länger hinnehmbar! Zweitens: Die Produzenten müssen Produkte herstellen, die sich recyceln lassen, und sie müssen auch mehr Recyclate verwenden, besonders auch für Verpackungen!

Fehlt es da an den Technologien?

Nein. Die Technologien sind da. Es gilt bekanntlich der Satz: „Dem Ingenieur ist nichts zu schwer“. In Sachsen gibt es zum Beispiel die PAKA, die Glashütter Pappen- und Kartonagenfabrik. Dort stellt man sogar aus dem letzten Altpapier noch herrliche Kartons her.

Wir reden aber nicht nur über Papier oder Kunststoffe, sondern auch über den umstrittenen Kiesabbau bei Ottendorf-Okrilla, der ja erweitert werden soll. In einer Bürgerversammlung habe ich gesagt: Leute, wir könnten viel weniger Kies schürfen! 11,5 Millionen Tonnen Kies und Sand wurden in Sachsen 2021 aus dem Boden geholt. Damit machen wir ja auch Biotope kaputt.

Sollten wir keinen Kies mehr abbauen?

Zumindest weniger.

Aber womit sollen wir dann bauen?

Mit Recycling-Material. Es gibt in Sachsen Firmen, wie Nordmineral Recycling vom Baudienstleister AMAND und die Firmen Nestler oder REIKAN Mineralik. Sie produzieren und nutzen bereits recycelte Baustoffe.


So sieht recyceltes Baumaterial aus Bauschutt aus.
So sieht recyceltes Baumaterial aus Bauschutt aus. © www.loesel-photographie.de

In Ihren Vorträgen sprechen Sie immer wieder von der Kreislaufwirtschaft, was meinen Sie damit genau?

In der traditionellen Wirtschaft entnehmen wir der Erde Rohstoffe und stellen daraus Produkte her, die wir dann schließlich früher oder später als Abfall wegwerfen – der Prozess ist linear. Die Kreislaufwirtschaft betrachtet die Wirtschaft nicht vom Abfall her. Stoffkreisläufe sollen möglichst geschlossen werden. Abfälle müssen in der Wirtschaft weiter verwertet werden. Eine weltweite Kreislaufwirtschaft könnte so die globalen Treibhausgasemissionen um fast 20 Prozent reduzieren.

Gehört Müllverbrennung auch zur Kreislaufwirtschaft? Immerhin kann daraus Energie gewonnen werden.

Wir haben mehr als 70 Abfallverbrennungsanlagen in Deutschland - die sind natürlich Konkurrenten für die Recycler. Sie liefern aber auch nur einen Bruchteil der deutschen Energie. Warum müssen wir Abfallstoffe denn unbedingt kaputt machen? Unser Ziel ist es, sie noch zu nutzen. Viel an Emissionen und Energie ließe sich einsparen, wenn wir aus dem Material noch etwas Neues produzieren.

Geht das denn überhaupt, in der Wirtschaft vollständige Kreisläufe zu haben?

Das müssen wir sehen. Wo es nicht geht, helfen Kaskaden. Dabei geht es schon allein um das Design. Eine Fleischsalatdose besteht um Beispiel aus sechs Schichten verschiedener Kunststoffe. Warum müssen solche Fleischsalatdosen aber unbedingt wieder Fleischsalatdosen werden? Da machen wir halt Verpackungen für Schrauben ´draus oder - ganz zum Schluss – vielleicht sogar Straßenbahnschwellen.

Sie sprechen hier vom werkstofflichen Recycling. In Sachsen wird nun aber das chemische Recycling gefördert. Südlich von Leipzig, bei Böhlen, soll ab dem Jahr 2025 Europas größte Anlage für chemisches Kunststoffrecycling in Betrieb gehen.

Chemisches Recycling ist ein Angriff großer Chemie-Unternehmen auf die mittelständischen Kunststoffrecycling-Unternehmen. Chemisches Recycling bedeutet, dass der Kunststoff erst einmal in seine chemischen Grundbausteine zerlegt wird. Solche Prozesse sind sehr energieaufwändig. Beim werkstofflichen Recycling bleiben die Polymerketten des Kunststoffes erhalten, Und genau deshalb ist das werkstoffliche Recycling ökologisch so vorteilhaft. Man kann den Rohstoff mehrmals verwenden. Kunststoffabfälle müssen nur ordentlich getrennt, gesammelt und konsequent sortiert werden - dann können sie problemlos werkstofflich recycelt werden.

Was ist Ihre Meinung zu Bio-Kunststoffen aus Pflanzen, wie Zucker, Kartoffeln oder Mais?

Biokunststoffe werden künftig sicherlich viele heute aus Erdöl hergestellte Kunststoffe ersetzen. Sie lassen sich problemlos recyceln. Angeblich „biologisch abbaubare“ Kunststoffe können jedoch zu massiven Qualitätsverschlechterungen von Recyclingprodukten führen.

Was halten Sie von einem Kaffeebecher, der mir verspricht, in sechs Monaten zu Erde zu werden?

Sehr schlimm, wenn Kunststoffe als “kompostierbar“ bezeichnet werden. In einem langwierigen Prozess bilden sie irgendwann vielleicht Wasser und Kohlenstoffdioxid - aber doch sicherlich keinen Humus. Da ist es sinnvoll, sie zu verbrennen. Im Bioabfall haben Tüten aus bioabbaubaren Kunststoffen jedenfalls nichts verloren. Sie gehören in die Schwarze Tonne!

Können Sie weitere Positivbeispiele in Sachsen nennen, wo Recycling bereits gut gelingt?

Die international agierende Firma Scholz Recycling GmbH, die auch mehrfach in Sachsen tätig ist, recycelt Alt-Fahrzeuge. Viele Werkstätten bereiten Elektro- und Elektronikaltgeräte für das Recycling vor. Auch ein Start-up möchte ich nennen: Zwei Frauen von "MealGood" haben recycelbare Mehrwegbecher aus biobasierten Kunststoffen entwickelt. Durch solche Anstrengungen gehen weniger wertvolle Rohstoffe verloren. Mehr als 100 Unternehmen haben sich in einem Verband zusammengeschlossen, um die Recyclingaktivitäten in Sachsen weiter zu stärken.

Aus Alt mach Neu: Abfallexperte Dietmar Lohmann hält recycelte Autoteile aus weggeworfenen Computern in die Luft. Der im Jahr 1945 geborene Chemiker hat sein Leben lang die Abfallwirtschaft in Sachsen begleitet.
Aus Alt mach Neu: Abfallexperte Dietmar Lohmann hält recycelte Autoteile aus weggeworfenen Computern in die Luft. Der im Jahr 1945 geborene Chemiker hat sein Leben lang die Abfallwirtschaft in Sachsen begleitet. © www.loesel-photographie.de

Dietmar Lohmann ist promovierter Chemiker und Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Kunststoffrecyclinginitiative Sachsen e.V. sowie stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Recyclingwirtschaft Sachsen. Der Verband lädt am 22. Februar ein, das 23. Aschermittwochseminar in Dresden zum Thema Abfallentsorgung zu besuchen. Hier werden Kreislaufwirtschaftsstrategien diskutiert. Die Veranstaltung findet in der Sächsischen Bildungsgesellschaft für Umweltschutz und Chemieberufe Dresden mbH (Gutenbergstraße 6) statt.