"Porsche ist besser als andere durch die Krise gekommen"
Barbara Frenkel ist die erste Frau im Porsche-Vorstand. Im Interview spricht sie über die Chipkrise und warum Autobauer spannende Arbeitgeber für Frauen sind.
Frau Frenkel, Sie sind seit August die erste Beschaffungsvorständin bei Porsche. Haben Sie bei ihren sechs männlichen Kollegen eine gewisse Unsicherheit gespürt, dass plötzlich eine Frau mit am Tisch sitzt?
Natürlich nicht. Wir kennen uns schon lang. Ich bin seit 20 Jahren im Unternehmen und habe mit meinen Vorstandskollegen auch in meiner früheren Verantwortung als Regionenchefin für Europa schon eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Letztendlich entscheidet der Aufsichtsrat über die Besetzung des Vorstands, aber alle sechs Kollegen haben mich unterstützt und sich auf mich gefreut. Und das ist immer noch so.
Es fehlt an Halbleitern, Chips, Stahl, Aluminium. Welcher Engpass bereitet Ihnen vor allem Kopfschmerzen?
Der Fokus liegt klar auf der Versorgung mit Halbleitern. Die Chips sind für eine große Anzahl von Bauteilen notwendig. Im Taycan, unserem ersten vollelektrischen Sportwagen, sind zum Beispiel rund 5.000 Halbleiter verbaut. Deshalb kalibrieren wir die Planungsstände täglich. Wir sind flexibel, stimmen uns eng mit der Produktion ab.
Porsche hat ein sehr erfolgreiches erstes Halbjahr gehabt, bremsen die Lieferengpässe Porsche über das Gesamtjahr betrachtet aus?
Wir sind immer noch sehr gut unterwegs. Die Nachfrage nach unseren Produkten ist erfreulich hoch. Wir würden natürlich gern mehr Autos produzieren. Die Lieferzeiten, vor allem bei unserer Ikone dem 911 sind momentan etwas länger als üblich. Wir arbeiten hart daran, sie zu minimieren. Schließlich wollen wir unseren Kunden mit ihrem Fahrzeug einen Traum erfüllen.
Die Produktion wurde aufgrund der Lieferengpässe also nicht gedrosselt?
Wir hatten einzelne Tage und Schichten, an denen wir nicht produzieren konnten. Das Thema ist auch an uns nicht spurlos vorübergegangen. Aber wir sind besser als andere Werke durch die Krise gekommen. Auch wegen unseres sportlichen Handelns und täglichen Nachsteuerns.
Warum?
Es ist ein Blumenstrauß an Gründen. Wir erhalten eine vorrangige Zuteilung innerhalb des Konzerns. Jede Marke kann im Wettbewerb zueinander stehen. Aber das weltweite Beschaffungsteam des Konzerns, zu dem auch wir gehören, arbeitet als eine Mannschaft: Alles, was wir einkaufen, kommt in einen Topf. Dann wird festgelegt, welche Halbleiter in welchen Fahrzeugen verbaut werden. Wenn es knapp wird, entscheidet auch die Ertragskraft. Hier hat Porsche Vorteile.
Die Vorlaufzeit in der Halbleiterindustrie dauert vier bis sechs Monate. Die Autoindustrie setzt auf Just-in-Time in der Belieferung. Das passt nicht recht zusammen. Welche Lehren zieht Porsche aus der Halbleiterknappheit?
Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Just-in-Time-Belieferung durch unsere direkten Lieferanten ist für uns ein wichtiges Element. Sie erlaubt es mit möglichst wenig Lagerbedarf zu planen. Unsere First Tier Lieferanten bekommen Lieferabrufe, die weit in die Zukunft ragen. Unsere erste Lehre aus der Krise ist, dass unsere Vorausschau und die Abrufzeiten noch länger sein müssen. Wir haben jetzt auf 18 Monate umgestellt.
Und was ist die zweite Lektion?
Wir hatten bislang keine direkten Vertragsbeziehungen mit Halbleiterlieferanten. Das ändert sich. Wir sind jetzt in Gesprächen mit maßgeblichen Halbleiterproduzenten – auch über Zusammenarbeitsmodelle in Absprache mit unseren direkten Lieferanten.
Tesla soll angeblich die Krise besser meistern, weil das Unternehmen seine eigenen Chips herstellt und deshalb besser die Lieferkette versteht. Ist das auch eine Lektion, dass Porsche langfristig auf selbst entwickelte Halbleiter setzen wird?
Das könnte einer der Wege sein. Eigenes Knowhow ist dabei ein klares Differenzierungsmerkmal. Im Volkswagen Konzern haben wir bereits eine Tochterfirma gegründet, die die gesamte Software im Fahrzeug verantwortet. Aber auch bei Porsche haben wir Experten, die diesen Bereich verantworten.
Porsche kauft jedes Jahr für neun Milliarden Euro ein. In dem Bereich arbeiten 580 Menschen. Auf welche Führungseigenschaften kommt es an, um in diesen Zeiten erfolgreich zu sein?
In Sachsen produzieren mehr als 200 Zulieferer für Porsche. Ist von denen schon jemand insolvent?
Insolvenzen gehören leider zum Geschäftsleben dazu. Wir bemühen uns, mit den Lieferanten durch diese schwierige Zeit zu kommen. Wichtig ist der Blick nach vorne: Sich jetzt Gedanken zu machen, welche auf den Verbrennungsmotor fokussierten Zulieferer eine Zukunft haben. Wer hat die Fähigkeit, neue Aktivitäten und Geschäftsfelder aufzubauen.
Sächsische Zulieferer klagen, dass die Nachweisführung für das Lieferkettengesetz sie im Wettbewerb übermäßig belastet. Gibt es Möglichkeiten, die Lasten gerechter zu verteilen?
Porsche begrüßt das Lieferkettengesetz. Wir setzen uns schon lange damit auseinander, wie Rohstoffe in unserer Lieferkette gewonnen und Komponenten hergestellt werden. Entsprechende Maßnahmen haben wir bereits vor dem Gesetz eingeführt. Insofern würde es mich wundern, wenn Lieferanten nur den Kostenaspekt und nicht das Ziel dieses Lieferkettengesetzes sehen. Wichtig ist: Wo kommt meine Ware her und unter welchen Bedingungen wird sie produziert. Das sollte uns alle interessieren.
Und was ist mit der Lastenteilung?
Wir arbeiten in der Industrie an einer gemeinsamen Datenbank. Ziel ist es, dass alle auf die erhobenen Daten zugreifen können. Es ist wenig sinnvoll, dieselbe Tätigkeit von unterschiedlichsten Herstellern, Lieferanten und Sublieferanten zu. Wenn uns das gelingt, fällt es deutlich leichter, diese Informationen zu beschaffen. Bei kritischen Rohstoffen wie Kobalt schicken wir in Zusammenarbeit mit dem Volkswagen Konzern Auditoren vor Ort, um uns selbst ein Bild zu verschaffen. Das ist aufwendig, uns aber wichtig.
Porsche will bis 2030 über die gesamte Wertschöpfungskette bilanziell klimaneutral sein. Wie nehmen Sie die Zulieferer dazu an die Hand?
Seit Juli dieses Jahres verlangen wir bei neuen Projekten von unseren Serienlieferanten, dass sie ihre Fertigung auf Grünstrom umstellen. Wir werden einen Partner natürlich nicht fallen lassen, wenn er im ersten Schritt noch nicht komplett auf regenerative Energien setzt. Aber wir wollen ein Commitment sehen. Das Thema Nachhaltigkeit ist eine Chance, eine Möglichkeit sich zu differenzieren. Lieferanten, die nahe an unserem Werk sind, haben per se einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Lieferanten aus anderen Ländern. Das wird sich verstärken, wenn wir konkrete Dekarbonisierungsziele für jedes einzelne Fahrzeug haben.
Wo sehen Sie die Stärken der sächsischen Zulieferer für Porsche?
Bei der Innovationsfähigkeit. Wir arbeiten mit Zulieferern in Sachsen zusammen, die für uns wichtige Entwicklungsarbeit leisten. Zweitens gibt es einen tollen Pool an hoch qualifizierten Mitarbeitern. Mit Freude stellen wir immer wieder fest, mit welcher Leidenschaft und Begeisterung die Mitarbeiter in den Werken arbeiten. Zudem ist der Zugang zur Forschung in Sachsen sehr gut. In die Zukunft gerichtet ist die Innovationsfähigkeit das differenzierende Merkmal. Das ist auch der Grund, weshalb wir nach wie vor so viele Bauteile aus Deutschland beziehen – trotz der Kostennachteile gegenüber Ländern mit niedrigeren Löhnen.
VW-Konzernchef Herbert Diess setzt voll auf den Batterieantrieb. Porsche betreibt eine E-Fuels-Anlage in Chile, warum?
Wir setzen auf einen Dreiklang der Antriebsarten. Mit dem Porsche Taycan haben wir frühzeitig unseren ersten vollelektrischen Sportwagen auf den Markt gebracht, weitere Modelle folgen bald. Wir haben aber auch hocheffiziente Verbrennungsmotoren im Angebot und emotionale Hybride. Unsere Kunden sollen diese Fahrzeuge auch in Zukunft mit gutem Gewissen fahren können. Die aus regenerativen Energien hergestellten E-Fuels sind nahezu CO2-neutrale Kraftstoffe und eine sinnvolle Ergänzung zur E-Mobilität. Ein Vorteil: Sie sind mit der bestehenden Tankstellen-Infrastruktur nutzbar. Es gibt mehr als 1,3 Milliarden Fahrzeuge auf der Welt. Die meisten davon fahren mit Verbrennungsmotoren. Mit E-Fuels wollen wir einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Perspektivisch können wir uns vorstellen, unsere vom Band laufenden Fahrzeuge mit grünem Sprit erst zu betanken.
Der lange Transport aus Chile passt irgendwie nicht mit Nachhaltigkeitszielen zusammen. Ist auch eine Zusammenarbeit mit europäischen Zulieferern angestrebt?
In Chile wird der notwendige Strom mit Windkraft erzeugt. Im Süden des Landes, wo unsere Pilotanlage stehen wird, bläst der Wind an rund 270 Tagen im Jahr Tag und Nacht. Regenerative Energie ist dort im Überfluss vorhanden. Dadurch können wir kostengünstig grünen Wasserstoff herstellen und konkurrieren nicht mit anderen Nutzern.
Was heißt das?
Wir konzentrieren uns auf unser Projekt in Chile. Wenn sie in Deutschland eine energieintensive Fertigungsanlage für E-Fuels bauen wollten, fischen sie im gleichen Energiesee wie private Haushalte. Denen würden wir dann die grüne Energie entziehen. In Deutschland importieren wir aktuell zu viel nicht regenerative Energie. Deshalb möchten wir dafür sorgen, dass der grüne Energiesee in Europa größer wird.
Themenwechsel: Auf die Frage im Porsche-Fragebogen, was man Ihnen nicht zutrauen würde, haben Sie geantwortet, dass sie bei ihrem ersten Auto die Bremsen und den Kotflügel selbst gewechselt haben? Woher konnten Sie das?
Technik hat mich schon immer fasziniert. Von meinem Vater habe ich einiges mitbekommen. Er hat selbst viel an seinem Auto geschraubt. Und er hat mir seinen Werkzeugkasten bereitgestellt. Mein Bruder hat mit mir dann Hand an meinen Golf I angelegt. Das war ein Fahrzeug, bei dem man noch alles selbst reparieren konnte. Ich habe damals ein Buch gelesen, in dem jeder Schritt beschrieben war. So habe ich mir das mechanische Wissen angeeignet.
Sie arbeiten seit 20 Jahren für Porsche. Wie hat sich das Unternehmen seitdem verändert i.d.S, dass es weiblicher geworden ist?
Als ich 2001 ins Unternehmen kam, waren Frauen in Managementfunktionen noch rar gesät. Wir hatten damals eine Hauptabteilungsleiterin für Recht und auf der Abteilungsleiterebene waren wir sieben Frauen. Heute streben wir für 2021 in den Managementebenen einen Anteil von 15 Prozent Frauen an. Reicht uns das? Nein, wir haben noch höhere Ziele. Wir wollen den Kolleginnen im Unternehmen die Chance geben, sich nach oben zu entwickeln, wollen nicht einfach mit Hilfe externer Einstellungen eine Quote erfüllen. Es geht darum, die Talente intern zu fördern und für Chancengleichheit sorgen. Das ist mir sehr wichtig. Wir müssen das Thema Perspektivenvielfalt in den Fokus rücken, weil es für uns als Unternehmen für die Zukunft extrem wichtig ist.
Wie lässt sich der Frauenanteil in der Autoindustrie erhöhen?
Mich hat immer die Aufgabe motiviert, nicht die Position. Das ist heute noch so. Die jungen Leute wollen spannende Aufgaben und Verantwortung übernehmen. All das bietet Porsche. Wir haben vielfältige Jobangebote. Für Frauen gibt es so viele interessante Möglichkeiten. Zum Beispiel in unserem Designteam in Weissach: Dort machen sich Designerinnen Gedanken darüber, wie sie mehr nachhaltige Materialien ins Interieur bringen können. Ein anderer Bereich ist die Interaktion des Fahrers mit dem Fahrzeug und die Frage, wie man das Cockpit gestaltet. Da ist es wichtig, die weibliche Perspektive zu kennen, weil wir uns vielleicht ganz andere Features im Auto wünschen als Männer. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt eine Rolle. Wir haben mehrere Beispiele, wo sich zwei Frauen oder eine Frau und ein Mann eine Führungsposition teilen. Das funktioniert hervorragend.
Es gibt jüngere Menschen, die ernsthaft überlegen, ihren Job in der Autoindustrie zu kündigen, weil sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, für die Autoindustrie zu arbeiten. Was würden Sie denen sagen?
Wenn man etwas verändern möchte, muss man Teil des Spiels sein. Nicht jeder kann Bundeskanzler oder Umweltminister werden. Aber es können viele in die Industrie gehen und dort ihre Ideen für mehr Nachhaltigkeit einbringen und umsetzen. Und die Automobilindustrie ist ein spannendes Spielfeld.