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Kleine Helden für die Forschung

Dresdner Forscher suchen Wege, Typ-1-Diabetes zu verhindern. Dabei helfen ihnen Hunderte Kinder. Und die sind jetzt auf riesigen Plakaten zu sehen - auch in Sachsen.

Von Jana Mundus
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Diese beiden Nachwuchs-Superhelden sind jetzt auf großen Plakaten in Dresden zu sehen. Sie machen auf ein besonderes Schicksal von Kindern aufmerksam.
Diese beiden Nachwuchs-Superhelden sind jetzt auf großen Plakaten in Dresden zu sehen. Sie machen auf ein besonderes Schicksal von Kindern aufmerksam. © PR

Die beiden Superhelden sind jung, viel jünger als ihre Kollegen Spiderman, Wonder Woman oder Batman. Sie haben trotzdem besondere Kräfte. Ihr Gegner ist allerdings kein fieser Oberschurke, den es zu bezwingen gilt. Sie müssen gegen ihren eigenen Körper antreten, jeden Tag aufs Neue. Auf riesigen Plakaten sind die Kinder jetzt in Dresden, München, Hannover und 18 weiteren deutschen Metropolen zu sehen.

Drei Wochen lang machen sie auf ein oft unterschätztes Thema aufmerksam: Typ-1-Diabetes bei Kindern. Initiator der Kampagne ist die Globale Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD). Der gehören auch Dresdner Wissenschaftler an. Sie sind Teil eines großen Forschungsverbunds, der seit Jahren ergründet, wie Diabetes-Prävention künftig möglich ist. Insulinpulver und Bifido-Bakterien könnten dabei eine wichtige Rolle spielen.

Angela Hommel kennt ganze Familien mit Superhelden. Über 500 sind es bereits, die sie und ihre Kollegen über die Jahre begleitet haben. Viele davon sieht sie regelmäßig bei Untersuchungen. Am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden koordiniert sie verschiedene Studien zum Thema Typ-1-Diabetes, die unter dem Dach der GPPAD laufen. „Die teilnehmenden Kinder und ihre Familien sind für mich Helden“, sagt die promovierte Wissenschaftlerin. „Schließlich sorgen sie mit ihrem Engagement dafür, dass wir bei der Erforschung der Erkrankung Fortschritte machen können.“

Was viele nicht wissen: Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindesalter. Sie kann jedes Kind treffen. Die meisten Patienten haben keine Verwandten, die auch erkrankt sind. Deshalb kommt die Diagnose für viele Familien überraschend und leider manchmal erst sehr spät, weil der Diabetes lange unentdeckt bleibt. Rund zehn von 1.000 Kindern tragen die Risikofaktoren in sich. Allein in Sachsen werden pro Jahr 250 neue Fälle diagnostiziert. Das Immunsystem der jungen Patienten nimmt die Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die das körpereigene Hormon Insulin produzieren, als Fremdkörper wahr und bildet Antikörper dagegen. Sind die insulinproduzierenden Zellen zerstört, steigt der Blutzucker krankhaft an. Das ist, wenn nicht rechtzeitig erkannt, lebensbedrohlich. Betroffene müssen sich ein Leben lang täglich Insulin spritzen.

Insulinpulver trainiert den Körper

Das Ziel des Forschungsnetzwerks GPPAD ist ein großes: Die Wissenschaftler aus Deutschland, Schweden, Großbritannien, den Niederlanden oder auch Polen wollen Wege finden, dass Diabetes bei Kindern mit einem erhöhten Risiko gar nicht erst ausbricht. Ab 2016 nahmen dafür auch in Sachsen Neugeborene an der Freder1k-Studie teil. Ergänzend zum regulären Neugeborenen-Screening wurden sie dafür in ihren ersten Lebenstagen auf ihr genetisches Risiko, Typ-1-Diabetes zu entwickeln, getestet. Über 91.000 Kinder waren es allein in Sachsen und Thüringen. „Wir identifizierten 861 Kinder in Sachsen mit einem erhöhten Risiko“, erklärt Angela Hommel. Über den Befund wurde mit allen Familien ausführlich gesprochen.

Beim Thema Diabetes denken viele immer noch an ältere Menschen. Diabetes-Typ-1 haben aber auch kleine Kinder, in manchen Fällen sogar schon Babys. Forscher wollen den Ausbruch der Krankheit verhindern.
Beim Thema Diabetes denken viele immer noch an ältere Menschen. Diabetes-Typ-1 haben aber auch kleine Kinder, in manchen Fällen sogar schon Babys. Forscher wollen den Ausbruch der Krankheit verhindern. © 123rf

„Viele waren froh, dass sie diese Information so frühzeitig bekommen.“ In einem Nachfolgeprogramm können die Kinder, wenn die Eltern es wünschen, regelmäßig auf Auto-Antikörper getestet werden. „Wir bieten aber auch die Teilnahme an klinischen Studien an.“ Point ist solch eine Studie. Dabei versuchen die Wissenschaftler, das Immunsystem der Kinder zu trainieren. Und zwar so, dass die fehlerhafte Immunreaktion des Körpers ausbleibt. Die Kinder erhalten dafür bis zum dritten Lebensjahr Insulinpulver, das sie täglich mit einer Mahlzeit einnehmen. Aufgenommen über die Schleimhäute in Mund und Verdauungstrakt soll das Immunsystem auf diese Weise eine Toleranz gegenüber dem körpereigenen Insulin erlernen, damit die krank machende Immunreaktion später ausbleibt. Insgesamt 151 Kinder werden von den Dresdner Forschern betreut, 1.051 sind es in der gesamten Point-Studie. Die ältesten Teilnehmer haben die Zeit der Insulinpulver bereits hinter sich. Noch ist es laut Angela Hommel zu früh, um zu wissen, ob die präventive Therapie erfolgreich ist. Vorstudien deuteten daraufhin. Sechs Kinder wären bisher an Diabetes-Typ-1 erkrankt. „Ab 2027 rechnen wir mit belastbaren Ergebnissen.“

Die Wissenschaftler verfolgen einen weiteren Ansatz. Im März 2021 begann mit Sint1A eine weitere Studie des Netzwerks. Im Zentrum steht die Darmflora der Kinder. Über das erste Lebensjahr hinweg bekommen sie täglich das Probiotikum Bifidobacterium infantis, das die Darmflora positiv beeinflussen soll. Das Pulver wird dafür in Muttermilch aufgelöst. Überprüft wird, ob dadurch bei Kindern mit einem erhöhten Typ-1-Diabetes-Risiko die Entstehung der Krankheit verhindert werden kann. Knapp 100 Kinder betreuen die Dresdner für die Studie. Rund 1.200 sollen letztlich europaweit dafür gewonnen werden.

Europäisches Netzwerk kommt schnell voran

Die Studien sind placebo-kontrolliert. Ein Teil der Teilnehmer bekommt also kein Insulinpulver oder Bifido-Bakterium, sondern ein Placebo ohne Wirkung. Gerade bei den kleinen Patienten klingt das hart. „Das ist aber wichtig, um am Ende aussagefähige Ergebnisse zu bekommen“, macht Angela Hommel deutlich. Die Familien wissen das. „Trotzdem hofft natürlich jeder, dass das eigene Kind das Studienprodukt bekommt.“ Wichtig sei aber auch, dass die Kinder in den Studien in beiden Gruppen alle intensiv begleitet werden. „Sehen wir Veränderungen im Blut, können wir schnell mit Schulungen und Vermittlungen an wohnortnahe Fachärzte reagieren.“ Bei Diabetes-Typ-1 ein wichtiger Punkt.

Regelmäßig tauschen sich die Wissenschaftler des CRTD mit den europäischen Kollegen im Netzwerk aus. Dass die Krankheit mit vielen Studienteilnehmern in Europa erforscht wird, sei ein Gewinn für alle. Dadurch könnten viele Teilnehmer in kurzer Zeit gefunden werden und auch länderspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. „Wir sehen zum Beispiel in skandinavischen Ländern einen höheren Anteil an Typ-1-Diabetes als in anderen Ländern.“

Mit Teplizumab wurde in den USA kürzlich der erste Wirkstoff zugelassen, der ein Voranschreiten von der Erkrankung und den Beginn der Insulinpflichtigkeit um durchschnittlich zwei Jahre verzögern kann. Heilbar ist die Krankheit aber auch damit nicht. „Prävention ist deshalb umso wichtiger“, sagt Angela Hommel. Ein wichtiger Schritt ist es, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren. In den kommenden Wochen auch mit der Hilfe von kleinen Superhelden.