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Asylheim Hirschfelde: Landkreis räumt Fehler ein

Rund 600 Menschen sind am Montagabend in den 120-Seelen-Ort Rosenthal gekommen, um die ersten offiziellen Informationen zu der geplanten Flüchtlings-Unterkunft zu hören - und zu protestieren.

Von Frank-Uwe Michel
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Der Protest überwiegt bei der Info-Veranstaltung des Landkreises zum geplanten Flüchtlingsheim in Hirschfelde. Laut Polizei sind rund 600 Menschen dabei.
Der Protest überwiegt bei der Info-Veranstaltung des Landkreises zum geplanten Flüchtlingsheim in Hirschfelde. Laut Polizei sind rund 600 Menschen dabei. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Für Montagabend hat der Landkreis zu einer Info-Veranstaltung in das frühere Lehrlingswohnheim der einstigen Flachsspinnerei in Hirschfelde eingeladen. Denn hier soll nach den Plänen der Behörde eine weitere - die insgesamt vierte - Flüchtlingsunterkunft in Zittau und seinen Ortsteilen entstehen. Schon eine Dreiviertelstunde vor dem eigentlichen Beginn scheint eine Völkerwanderung im Gange zu sein. Einwohner, auch Ortsfremde, pilgern zum Versammlungsort. Sie diskutieren, zeigen auf Schildern und Bannern ihre Einstellung zu dem Projekt. "Asylflut und Gewaltimport stoppen" heißt es da. Oder: "Nein zum Heim in Hirschfelde - kein Multikulti". Teilnehmer aus dem rechten Spektrum sind ebenso dabei. Zum Beispiel Thomas Walde und seine "Freunde von Pegida Oberlausitz". Oder mit Sebastian Wippel und Mario Kumpf zwei Landtagsabgeordnete der AfD. Das linke Spektrum hält sich eher bedeckt. Insgesamt zählt die Polizei rund 600 Personen. Zu viele, um Platz zu finden in dem vorgesehenen Versammlungsraum. Die SZ beschreibt, was dort geschieht und wie es nun weitergeht.

Welches Ziel verfolgt der Landkreis mit dem Termin?

Seitdem es im Radio bekannt wurde und die Sächsische Zeitung über die Pläne des Landkreises berichtet hat, schlagen die Wellen der Empörung hoch in Hirschfelde. Die Behörde hat sich deshalb dazu entschlossen, an diesem Montag die Bevölkerung erstmals öffentlich über das Vorhaben zu informieren.

Wie ist die Veranstaltung in Hirschfelde organisiert?

Mit einem solchen Andrang hat im Landratsamt wahrscheinlich niemand gerechnet. Entsprechend spärlich fallen die Vorbereitungen für diesen wichtigen Termin aus. Der Saal im ersten Obergeschoss des schlossartigen Gebäudes - des einstigen Verwaltungsgebäudes und Lehrlingswohnheimes - in Rosenthal ist viel zu klein, um alle Interessenten aufzunehmen. Die Letzten müssen auf der Treppe stehen und bekommen nicht viel von dem mit, was drinnen diskutiert wird. Die schlechte Tontechnik setzt die Reihe der Unzulänglichkeiten fort. Der für Flüchtlingsbelange im Kreis zuständige Erste Beigeordnete Thomas Gampe muss seine Rede immer wieder stoppen, weil die Störgeräusche der Anlage zu übermächtig sind.

Was hat der Landkreis in Hirschfelde vor?

Das frühere, seit Jahren leer stehende Lehrlingswohnheim soll als Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 150 Flüchtlinge reaktiviert werden. Wer sie sind und woher sie kommen, weiß noch keiner so genau. Fest steht nur: Diese Menschen werden nach einem festgelegten Schlüssel auf die Bundesländer und Kreise verteilt. "Wir haben die Pflicht, diese Leute unterzubringen. Da gibt's keinerlei Ermessen. Der Landkreis kann sich nicht dagegen wehren", stellt Gampe unter den Pfiffen und Buh-Rufen vieler Teilnehmer die Sachlage dar. Da die bisher vorgehaltenen Plätze nicht mehr ausreichen, sucht die Behörde nun nach neuen Möglichkeiten. "Das Gebäude in Hirschfelde gehört dem Kreis. So wenig es uns und Ihnen, den Einwohnern, gefällt - wir müssen diese Unterkunft zum Laufen bringen."

Wo hat es bisher Fehler gegeben?

Der Erste Beigeordnete räumt jedoch ein, dass manches bisher nicht optimal gelaufen ist. An erster Stelle nennt Gampe den Informationsfluss. "Unser Ziel war es, zuerst den Ortschaftsrat in die Pläne einzubeziehen." Weil aber in Boxberg parallel dazu ein weiteres Flüchtlingsheim entsteht und bei der dortigen Projektvorstellung auch das Stichwort Hirschfelde fiel, griffen die Medien das Thema auf und die SZ schilderte ausführlich, was in der Hirschfelder Ortslage Rosenthal entstehen soll. Um dies zu vermeiden, "hätten wir den Zittauer Oberbürgermeister zwei Wochen eher anschreiben sollen. So hat die Informationskette zu spät begonnen."

Was sagen die Hirschfelder selbst?

Reinhard Jung, der erste Nach-Wende-Bürgermeister in Hirschfelde, vermutet in der Informationskette eine vom Landkreis beabsichtigte Taktik. Man wolle den Ort vor vollendete Tatsachen stellen, ohne dass noch eine Einflussnahme möglich sei. Dies würden sich die Bürger aber nicht gefallen lassen. "Ich denke, dass es in den nächsten Wochen hier Mahnwachen oder andere Aktionen geben wird." Immer wieder gibt es erregte Zwischenrufe an diesem Abend. Mehrere Einwohner kritisieren, Gampe verstecke sich hinter Pflichten und Gesetzen. Dessen Antwort: "Meinen Sie, das macht mir Spaß? Mir macht es auch keinen Spaß, wenn es am Mittwoch im Kreistag um unseren katastrophalen Haushalt geht." Eine Frau fragt den Beigeordneten, wie es denn künftig mit der Sicherheit für die Menschen in Rosenthal bestellt sei. Gampe: Man werde ein Konzept erarbeiten. Viele Hirschfelder fordern vom Kreis, sich gegenüber Land und Bund mehr Gehör zu verschaffen. Die Flüchtlingszuweisungen seien nicht mehr zu verkraften. Tenor: "Sie müssen anfangen, Nein zu sagen!"

Das Interesse an der Info-Veranstaltung des Landkreises am Montagabend in Hirschfelde ist groß. Die meisten der 600 Teilnehmer wollen nicht, dass in dem ehemaligen Lehrlingswohnheim der Flachsspinnerei eine Flüchtlingsunterkunft entsteht.
Das Interesse an der Info-Veranstaltung des Landkreises am Montagabend in Hirschfelde ist groß. Die meisten der 600 Teilnehmer wollen nicht, dass in dem ehemaligen Lehrlingswohnheim der Flachsspinnerei eine Flüchtlingsunterkunft entsteht. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Beigeordneter Thomas Gampe hat die schwere Aufgabe an diesem Abend, den Einwohnern die Pläne des Landkreises vorzustellen. Abgesehen von der katastrophalen Tontechnik stoßen auch seine Aussagen bei vielen Teilnehmern auf taube Ohren.
Beigeordneter Thomas Gampe hat die schwere Aufgabe an diesem Abend, den Einwohnern die Pläne des Landkreises vorzustellen. Abgesehen von der katastrophalen Tontechnik stoßen auch seine Aussagen bei vielen Teilnehmern auf taube Ohren. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Zittaus Stadtrat Jörg Domsgen von der AfD kritisiert, dass sich die Region schon seit 30 Jahren im "siechartigen Niedergang" befinde und mit einer weiteren Flüchtlingsunterkunft schlicht überfordert sei.
Zittaus Stadtrat Jörg Domsgen von der AfD kritisiert, dass sich die Region schon seit 30 Jahren im "siechartigen Niedergang" befinde und mit einer weiteren Flüchtlingsunterkunft schlicht überfordert sei. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Reinhard Jung war der erste Nach-Wende-Bürgermeister in Hirschfelde. Er vermutet, dass die fehlerhafte Informationspolitik des Landkreises gewollt gewesen sei, um die Einwohner vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Reinhard Jung war der erste Nach-Wende-Bürgermeister in Hirschfelde. Er vermutet, dass die fehlerhafte Informationspolitik des Landkreises gewollt gewesen sei, um die Einwohner vor vollendete Tatsachen zu stellen. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Maximal 150 Flüchtlinge sollen künftig in der Unterkunft wohnen. In Rosenthal leben nur noch 120 Einwohner. Ein Missverhältnis, finden die Hirschfelder. Deshalb wollen sich die meisten mit den Plänen des Landkreises nicht abfinden.
Maximal 150 Flüchtlinge sollen künftig in der Unterkunft wohnen. In Rosenthal leben nur noch 120 Einwohner. Ein Missverhältnis, finden die Hirschfelder. Deshalb wollen sich die meisten mit den Plänen des Landkreises nicht abfinden. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Wer übernimmt die Verantwortung, wenn tatsächlich etwas passieren sollte? Diese Frage treibt viele Hirschfelder um. Der Landkreis hat deshalb versprochen, dass alle Bedenken der Einwohner im Sicherheitskonzept Beachtung finden.
Wer übernimmt die Verantwortung, wenn tatsächlich etwas passieren sollte? Diese Frage treibt viele Hirschfelder um. Der Landkreis hat deshalb versprochen, dass alle Bedenken der Einwohner im Sicherheitskonzept Beachtung finden. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Wie schätzt der Ortsbürgermeister die Lage ein?

Für Bernd Müller ist die Kreisverwaltung "nicht nahe genug am Volk". Sonst hätte es längst Gespräche gegeben "und die Bedenken unserer Bürger wären ernst genommen worden". Die Verantwortlichen für die derzeitige Lage sieht er jedoch in Sachsens Regierung: Sie opponiere nicht genug beim Bund. Speziell in Hirschfelde kommen für ihn weitere erschwerende Faktoren hinzu: Im Zittauer Ortsteil gebe es inzwischen weder Sparkasse noch Post. Die Schwimmhalle sei dicht. Dazu der marode Markt. "Hier ist seit der Wende so viel den Bach runtergegangen. Nun kommen Sie auch noch mit 150 Flüchtlingen - wahrscheinlich Männer aus dem arabischen Raum." Er werde dieses, seiner Ansicht nach, "planlose Vorgehen" nicht unterstützen. Seine Zustimmung zu dem Projekt in der vorliegenden Form und Größe gebe er deshalb nicht.

Welches sind die Forderungen an den Landkreis?

Die Hirschfelder fordern vom Kreis, sich bei Land und Bund prinzipiell gegen den Verteilmechanismus und dessen Durchsetzung zu wehren. Das Maß sei voll. Gemäßigtere Stimmen sagen: Wenn es denn doch eine Flüchtlingsunterkunft in Hirschfelde geben müsse, dann mit weniger Insassen und einem funktionierenden Sicherheitskonzept.

Was sagt der Landkreis dem Ort zu?

Falk Werner Orgus, Leiter des Amtes für Ordnungs- und Ausländerangelegenheiten, verspricht den Hirschfeldern, dass sie bei der Ausarbeitung des Konzeptes mit einbezogen werden. Jede Einzelheit werde betrachtet. Zudem sei klar, dass die medizinische Versorgung der Flüchtlinge nicht allein im Ort stattfinden könne. "Wir denken über eine Direktversorgung in der Unterkunft nach. Und über die Verteilung der Menschen auf den ganzen Kreis." Thomas Gampe weiß, dass in den nächsten Wochen viel Arbeit auf seine Behörde wartet. Aber: "Wir informieren heute. Die Belegung ist erst ab Juli vorgesehen." Bis dahin werde man einen Betreiber finden und mit diesem, der Stadt, dem Ortsteil und den Menschen hier die weiteren Schritte gehen. Das Objekt solle aufgrund der Bedingungen "möglichst nicht maximal ausgelastet werden". Und: "Wir haben zwar keinen Einfluss darauf, welche Personen uns zugewiesen werden. Aber einen kleinen Spielraum gibt es doch." Deshalb werde man sich bemühen, "nicht nur junge Männer, sondern auch Familien in Rosenthal unterzubringen". Generell sollen die künftigen Bewohner nicht dauerhaft in der Gemeinschaftsunterkunft bleiben. "Unser Ziel ist es, dezentral Wohnungen für sie zu finden. Im Übrigen werde - um den Proporz zu wahren - schon bald ein drittes neues Wohnheim in der Mitte des Landkreises, in Görlitz, entstehen. "Das Gebäude befindet sich im Eigentum der Stadt. Wir hoffen, dass die Verhandlungen bald abgeschlossen sind."