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Was Zittaus Klage-Erfolg gegen den Tagebau Turow bedeutet

Das Gericht in Warschau hat am Mittwoch geurteilt, dass bei der Genehmigung zum Weiterbetrieb des Tagebaus Turow nicht alles rechtens lief. Die SZ erklärt die Folgen.

Von Thomas Christmann
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Blick auf das Kraftwerk Turow. Darin hat der Staatskonzern PGE viel investiert. Deswegen rechnet die Stadt Zittau auch mit einer Berufung gegen das Urteil.
Blick auf das Kraftwerk Turow. Darin hat der Staatskonzern PGE viel investiert. Deswegen rechnet die Stadt Zittau auch mit einer Berufung gegen das Urteil. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Die Stadt Zittau hat im Kampf gegen die Genehmigung zur Erweiterung des polnischen Tagebaus Turow einen Erfolg erzielen können. Das Woiwodschaftsverwaltungsgericht in Warschau entschied am Mittwoch, dass die dazu nötige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) rechtswidrig ist. Der Klage schlossen sich mehrere Umweltschutzverbände und der ehemalige Stadt-Justiziar Horst Schiermeyer als Grundstückseigentümer an. Er hat Risse in seinem Wohnhaus im Zittauer Zentrum, die er auf den polnischen Kohleabbau zurückführt. Die SZ erklärt die Hintergründe des Verfahrens.

Warum Zittau wegen Turow klagt

Zittau will erreichen, dass die UVP wiederholt werden muss und dabei die Bedenken der Stadt eine stärkere Beachtung finden. Grundlage der UVP ist ein Bericht der polnischen Generaldirektion für Umweltschutz. Erst dadurch bekam der halbstaatliche Konzern PGE den Weiterbetrieb Turows bis 2044 genehmigt.

In dem Bericht steht unter anderem, dass auf deutscher Seite keine Bodensenkungen auftreten. Erkenntnisse des Sächsischen Oberbergamtes widersprechen jedoch der Aussage. Gestützt werden diese durch Gutachten des polnischen Umweltwissenschaftlers und Hydrologen Sylwester Krasnicki wie auch Untersuchungen des deutschen Geologen und Geochemikers Ralf Krupp. Demnach hebt und senkt sich Zittau durch den Verlust des Grundwassers, das der Tagebau abpumpt. Das kann laut der Experten zu Schäden an Gebäuden und anderer Infrastruktur wie Straßen führen. Die Stadt hat geplant, die Schäden zu erfassen. Doch noch liegen keine Ergebnisse vor.

Darüber hinaus kritisiert Zittau, dass im Bericht die Entwicklung der Qualität des Grundwassers fehlerhaft beschrieben ist und Maßnahmen zur Reduzierung des Feinstaubs nicht plausibel sind. Auch geht der Stadt der Lärmschutz vor allem für den Ortsteil Drausendorf nicht weit genug. Und wie der Tagebau eines Tages saniert werden soll, findet in dem Bericht gar keine Erwähnung.

Wie das Urteil zu bewerten ist

"Das Urteil zeigt, dass auch in Polen Gerichte unbeeindruckt von der öffentlichen Meinung oder politischem Druck ihrer Aufgabe nachgehen", meint Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm). Für die Stadt sieht er trotz des Urteils noch keinen Grund zur übermäßigen Freude. Die inhaltlichen Argumente Zittaus hätte das Gericht gar nicht herangezogen, sagt der OB. Offenbar basiere das Urteil auf dem zwischen Polen und Tschechien geschlossenen Abkommen. Das habe die Lage so verändert, dass eine neue Prüfung stattfinden müsse, erklärt er.

Anlass des Abkommens war eine Klage Tschechiens beim Europäischen Gerichtshof. Der voraus ging die Befürchtung der Grenz-Bewohner, dass der heranrückende Tagebau ihnen das Grundwasser abgräbt. Tschechien nahm die Klage wegen der 2022 mit Polen geschlossenen Vereinbarung zurück. Im Gegenzug erhält Tschechien unter anderem 45 Millionen Euro, um die Auswirkungen des Tagebaus abzufedern - und eine unterirdische Barriere. Die soll den Abfluss des Grundwassers verhindern. Erste Ergebnisse bestätigen das. Polen hat zudem voriges Jahr mit dem Bau eines Erdwalls begonnen, der mit Bäumen bepflanzt werden soll. Der grüne Damm soll im Juni 2024 fertig sein.

Das Gericht in Warschau argumentiert nun, dass diese Absprachen aus dem Vertrag nicht in die UVP eingeflossen sind. Vorgesehen waren unter anderem die Überwachung des Lärmpegels und Grundwasserstandes. Das Abkommen sei Gegenstand internationalen Rechts, die Einhaltung somit bindend, heißt es. Die Generaldirektion hätte fälschlicherweise die Ansicht vertreten, der Vertrag sei für sie nicht relevant.

Welche Folgen die Entscheidung hat

Das Gericht hat klargestellt, dass die Entscheidung keinen Abbau-Stopp in Turow bedeutet. Das Urteil ist auch noch nicht rechtskräftig. Polnische Umweltschutzverbände und Zittau rechnen bereits damit, dass PGE beim Oberverwaltungsgericht Berufung einlegt. Nach Aussage von Thomas Zenker hat der Tagebau für das Unternehmen angesichts hoher Investitionen in das dazugehörige Kraftwerk große Bedeutung. PGE teilt dazu mit, die Möglichkeiten für weitere Schritte zu analysieren. Der Betreiber wartet zunächst auf die ausführliche Urteilsbegründung.

In einem anderen Verfahren geht Zittau gegen die polnische Regierung vor. Auch das basiert auf der Entscheidung, den Betrieb Turows bis 2044 zu genehmigen - obwohl die UVP nicht rechtskräftig ist. Die Klage läuft noch.

Die Stadt verfolgt mit den Prozessen nicht das Ziel, den Tagebau schließen zu lassen. Das hat Zenker im jüngsten Amtsblatt nochmals klargestellt - schon aus Sicherheitsgründen. "Aus wirtschaftlichen und energetischen Gründen wäre es auch abzulehnen", schreibt er. "Aber natürlich dürfen wir es nicht zulassen, dass die nachweislichen und potenzielle Folgen des Tagebaus auf unser Stadtgebiet völlig ausgeblendet bleiben." Würde das Gericht diese ignorieren, wäre es für Hausbesitzer, Unternehmen und die Stadt sehr schwer, Schadensersatz oder Unterstützung bei der Beseitigung von Tagebau-Folgen einzufordern. Genau deshalb bleibe Zittau am Ball, sagt er. "Auch wenn das für unsere Nachbarschaftsbeziehungen nicht einfach ist."

Haus-Eigentümer Horst Schiermeyer - auch Mitglied der Grünen - hofft durch die Klagen, dass der Tagebau nicht mehr weitere 20 Jahre läuft und das Problem der Bodensenkungen gelöst wird. Aus Sicht des Klimaschutzes sei es ohnehin besser, wenn sich die Energiewende auch im Nachbarland deutlich beschleunige, meint er. (mit dpa)