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Zittau klagt wegen Turow vor polnischem Gericht

Trotz Bedenken wegen der guten Beziehungen im Dreiländereck geht Zittau gegen die Genehmigung für die Erweiterung des polnischen Tagebaus Turow vor. Und denkt auch über eine Klage gegen Sachsen nach.

Von Thomas Mielke
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Zittau geht gerichtlich gegen die Genehmigung des Weiterbetriebs für den Tagebau Turow in Polen vor.
Zittau geht gerichtlich gegen die Genehmigung des Weiterbetriebs für den Tagebau Turow in Polen vor. © Archiv/Matthias Weber

Die Stadt Zittau wird vor einem polnischen Verwaltungsgericht in Warschau gegen die Genehmigung für die Erweiterung des polnischen Tagebaus Turow durch polnische Behörden Klage einreichen. Das hat der Stadtrat am späten Mittwochnachmittag bei einer Sondersitzung mit nur drei Enthaltungen beschlossen.

Zittau will erreichen, dass die für die Genehmigung nötige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) wiederholt wird und dabei die Bedenken der Stadt stärker beachtet werden. So heißt es in dem Prüfbericht unter anderem, dass es auf deutscher Seite keine Bodensenkungen gibt. Erkenntnisse des Sächsischen Oberbergamtes und anderer Institutionen widersprechen dieser Aussage.

Demnach hebt und senkt sich Zittau durch den Verlust des Grundwassers, das der Tagebau abpumpt. Solche Bodensenkungen können laut Experten zu Schäden an Gebäuden und anderer Infrastruktur wie Straßen führen.

Darüber hinaus kritisiert Zittau insbesondere, dass im UVP-Ergebnisbericht die Entwicklung der Grundwasserqualität fehlerhaft beschrieben ist, der Bericht nur lückenhaft ins Deutsche übersetzt wurde, Prognosen intransparent erstellt wurden und Maßnahmen zur Reduzierung des Feinstaubs nicht plausibel sind. Auch geht der Stadt der Lärmschutz vor allem für den Ortsteil Drausendorf nicht weit genug. Wie der Tagebau eines Tages saniert werden soll, werde zudem gar nicht betrachtet, heißt es in der Beschlussvorlage für den Stadtrat. Die Stadt beruft sich dabei auf Aussagen von Experten.

Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm) betonte erneut, dass es der Stadt nicht darum geht, den Tagebau zu schließen oder den Polen vorzuschreiben, was sie tun oder lassen sollen. Stattdessen will sie die eigenen Interessen und die der Einwohner wahren. Wenn die UVP zu dem Ergebnis komme, dass keine nennenswerten Schäden zu erwarten sind, sei das auch in Ordnung, sagte er. Allerdings erwartet die Stadt, dass bei der Prüfung - anders als beim ersten Mal - alle Bedenken untersucht und ausgeräumt werden.

Zumindest aber sollte in dem Ergebnispapier festgehalten sein, dass solche und andere Auswirkungen wie die Bodensenkungen möglich sind. In diesem Fall hätten Opfer des Tagebaus wie zum Beispiel Zittauer Hausbesitzer im Schadensfall eine größere Chance, vor Gerichten Schadensersatz zu erstreiten.

Zuvor hatte die Stadt unter anderem aus Sorge um die bisher guten Beziehungen im Dreiländereck und wegen ihres geringen Gewichts auf internationaler Bühne auf anderen Wegen versucht, gegen die Genehmigung vorzugehen. So hatte sie sich ähnlich wie die Tschechen von ihrem Land eine Staatenklage Deutschlands vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Turow erhofft. Die hätte laut Zenker Sachsen anschieben und beim Bund beantragen müssen. Selbst als ein von der Landesregierung beauftragtes polnisches Büro zu dem Schluss kam, dass das Genehmigungsverfahren polnischem und europäischem Recht nicht standhält, unternahm sie nichts. Zittau prüft nun eine Untätigkeitsklage gegen den Freistaat.

Tschechiens Klage vor dem Europäischen Gerichtshof richtete sich nicht gegen eine konkrete Ämterentscheidung wie die nun von Zittau angestrengte, sondern gegen die Verletzung von europäischem Recht. Das können nur Staaten und die EU-Kommission. Hätte Tschechien gewonnen, hätte Zittau profitiert. Polen und Tschechien einigten sich aber gegen die Zahlung von vielen Millionen Euro außergerichtlich.

Unabhängig davon hatte Zittau von dem Recht, das jedem EU-Bürger zusteht, Gebrauch gemacht und sich über das Vorgehen der Polen in Brüssel beschwert.

Bis auf die Sorgen um die Beziehungen zu Bogatynia (Reichenau) war sich der Stadtrat weitestgehend einig, dass Zittau klagen soll. "Es wird Zeit, dass gehandelt wird", sagte Dietrich Thiele (FUW). "Ich habe einen Eid als Stadtrat geschworen, Schaden von der Stadt abzuwenden", so Andreas Mannschott (parteilos). Die UVP müsse ordentlich durchgeführt werden, sagte Thomas Schwitzky, Fraktionschef von Zkm.

Vor der Ratssitzung hatten zwölf Mitglieder und Anhänger von Fridays for Future sowie Greenpeace auf dem Zittauer Markt demonstriert und sich für eine Klage ausgesprochen. Sie forderten unter anderem "Stop Turow!", "Energiewende jetzt!" und "Kohlestopp! Hopp! Hopp! Hopp!". Ihnen ging es weniger um die konkreten Schäden, die durch die Grube in Zittau entstehen könnten, sondern um den Klimawandel und die Energiewende. "Als Klimaaktivisten ist es für uns nicht vertretbar, dass Tagebaue bis 2044 weiterbetrieben werden sollen", sagte Alexander Hilse von Fridays for Future. "Die Folgen davon sind unvorstellbar. Polen muss den Betrieb noch vor 2044 einstellen und darf die Grube nicht vergrößern."

Diese Klimaaktivisten demonstrierten vor der Ratssitzung auf dem Zittauer Markt und unterstützten die Forderung nach einer Klage.
Diese Klimaaktivisten demonstrierten vor der Ratssitzung auf dem Zittauer Markt und unterstützten die Forderung nach einer Klage. © Matthias Weber/photoweber.de

Zittau bedient sich für die Klage einer polnischen Kanzlei und geht für das Verfahren von Kosten in Höhe von 7.500 Euro aus. Befürchtungen aus den Reihen des Rates, dass die Summe deutlich höher ausfallen könnte, zerstreute die Leiterin des Rechtsamtes.

Die Genehmigung für den Betrieb des Tagebaus an der Zittauer Stadtgrenze lief im April 2020 aus. Für die Genehmigung des Weiterbetriebs und die Erweiterung Richtung Tschechien musste der Betreiber PGE unter anderem eine UVP vorlegen. Vor wenigen Tagen fällte der polnische Generaldirektor Umweltschutz trotz erneuten Widersprüchen in zweiter und letzter Amtsinstanz die Entscheidung, dass die UVP in Ordnung ist. (mit Fionn Klose)