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Wie Sachsens Chipfabriken über Schichtarbeit und Lohn verhandeln

Was ist besser: acht Stunden Arbeitszeit – oder zwölf Stunden und dann länger frei? Das ist nicht die einzige Aufgabe für die neuen Betriebsräte bei Globalfoundries und X-Fab in Dresden.

Von Georg Moeritz
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Ralf Adam (links) ist Betriebsratsvorsitzender in Dresdens größter Fabrik, bei Globalfoundries mit 3.300 Beschäftigten. Andreas Urbenz leitet den Betriebsrat von X-Fab Dresden mit 500 Beschäftigten.
Ralf Adam (links) ist Betriebsratsvorsitzender in Dresdens größter Fabrik, bei Globalfoundries mit 3.300 Beschäftigten. Andreas Urbenz leitet den Betriebsrat von X-Fab Dresden mit 500 Beschäftigten. © Matthias Rietschel

Dresden. Ralf Adam hat das Auf und Ab und wieder Auf in der Mikrochip-Industrie miterlebt. Der Betriebsratsvorsitzende in Dresdens größter Fabrik hat schon Demonstrationen in der Innenstadt organisiert, als bei Globalfoundries Hunderte Arbeitsplätze abgeschafft wurden. Jetzt aber „brummt der Laden wie verrückt“, sagt Adam.

Weltweit herrscht Mangel an Mikrochips, sein Arbeitgeber hat im letzten Jahr mehr als 100 neue Stellen geschaffen. „Gerade jetzt ist in der Halbleiterei gutes Geld zu verdienen“, sagt Adam. Nach den Wahlen in diesem Jahr ist er erneut zum Betriebsratsvorsitzenden des Unternehmens mit 3.300 Beschäftigten gewählt worden.

In der vorigen Wahlperiode leitete Elvira Stade die Arbeitnehmervertretung aus 23 gewählten Mitarbeitern, während Adam teilweise im Schichtdienst als Elektrotechniker Anlagen betreute. Nun ist er wieder voll für die Betriebsrats-Arbeit freigestellt, leitet die Sitzungen und redet mit über Schichtsystem und Gehaltsstruktur – oder über höhenverstellbare Schreibtische für Büros.

Chemiegewerkschaft: Belegschaften jetzt selbstbewusster

Für Tarifverhandlungen sind Betriebsräte eigentlich nicht zuständig. Das deutsche Tarifrecht gibt diese Aufgabe den Gewerkschaften, die einen besseren Überblick über die Branche haben und nicht so leicht unter Druck gesetzt werden können. Doch bei Globalfoundries sind 12 der 23 Betriebsräte Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Das erleichtert den hauptamtlichen Gewerkschaftern wie dem stellvertretenden Bezirksleiter Norbert Winter die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung.

Bei einem Warnstreik vor zweieinhalb Jahren zahlte Globalfoundries noch Streikbrecherprämien an Dresdner Beschäftigte, die zur Arbeit kamen. Das Unternehmen mit Konzernleitung in den USA lehnte Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften aus Prinzip ab. Inzwischen gab es „konstruktive Verhandlungen“, so steht es in einer gemeinsamen Mitteilung von Geschäftsführer Manfred Horstmann und IG BCE-Landesbezirksleiter Oliver Heinrich vom Februar. Betriebsrat Adam ist sicher: „Wir stehen kurz vor Abschluss eines Tarifvertrags. Man spricht miteinander.“ Die Kommunikation laufe viel besser als noch vor zwei Jahren, „man kann sich offen unterhalten“.

Adam sieht den Fachkräftemangel als wichtigsten Grund dafür, dass auch ein US-Konzern sich offen für das deutsche Mitbestimmungsmodell zeigt. „Die Belegschaften werden selbstbewusster“, urteilt auch der Dresdner IG BCE-Bezirksleiter Gerald Voigt. Diese Erfahrung teilt Andreas Urbenz, Betriebsratsvorsitzender der Dresdner Mikrochipfabrik des Konzerns X-Fab mit 500 Beschäftigten. Auch diese Fabrik ist ausgelastet, etwa 80 neue Stellen sind im vorigen Jahr geschaffen worden. Urbenz weiß von einem neuen Kollegen, der nach der Ausbildung die übliche Zwölfstundenschicht im Reinraum abgelehnt habe. „Lieber gehe ich in Teilzeit“, habe der junge Mitarbeiter gesagt.

Quereinsteiger aus Gastronomie mögen feste Schichten

Wie lange die Schichten dauern und wie sie verteilt werden, diese Frage gehört in den Chipfabriken immer wieder zu den wichtigsten Themen der Betriebsräte. Infineon Dresden stellte die Produktion 2013 von Zwölf- auf Achtstundenschichten um, Globalfoundries folgte im April 2020. Bei X-Fab gibt es noch den Zwölfstunden-Rhythmus im Reinraum, für etwa die Hälfte der 500 Beschäftigten. Die andere Hälfte arbeitet in Büros, wie bei Globalfoundries auch.

Betriebsrat Urbenz sagt, die 40-Stundenwoche sei „grenzwertig für die Schichtarbeiter“, anderswo in der Chemiebranche lägen die Arbeitszeiten bei 38 Stunden oder darunter. Das starre Schichtmodell mit vier Tagen Arbeit und vier freien Tagen habe aber auch Vorteile: Quereinsteiger aus der Gastronomie freuten sich darüber, sie hatten vorher mit unregelmäßigen Arbeitszeiten zu kämpfen.

Globalfoundries-Betriebsrat Adam sieht im Schichtsystem auch eine Altersfrage: „Wir sind als junges Team gestartet“, erinnert er sich an die Anfangszeit der Chipfabrik. Junge Mitarbeiter freuten sich über die längere Freizeit nach längerer Schicht, und für manchen Pendler lohne sich dafür auch eine längere Anfahrt. Doch wenn die Belegschaft im Schnitt 50 Jahre alt sei, würden zum Beispiel Nachtschichten schwieriger. Zum Betriebsrat kämen Kollegen, die über Belastung und Burnot klagten – insgesamt sei die Stimmung aber jetzt besser als in Zeiten des Abbaus.

Tarifvertrag bei X-Fab gibt Schub bei Betriebsratswahl

Adam berichtet von Verhandlungen über Arbeitszeitverkürzung, zusätzlichen Urlaub und Entgelt-Erhöhung. Die Warnstreiks hätten die Gespräche vorangebracht. „Wir haben gezeigt, dass wir es durchsetzen können.“ Diese Themen hätten auch dazu beigetragen, dass bei den Betriebsratswahlen die Liste der IG BCE zwei Plätze mehr gewonnen habe.

Gewerkschafter Voigt betont, dass in den neu gewählten Betriebsräten seiner Branchen die IG BCE insgesamt gut vertreten sei und meistens die Vorsitzenden auch Gewerkschaftsmitglieder seien. In fünf Betrieben in der Region, darunter Kunststoff- und Pharmabetriebe, helfe die IG BCE gerade bei der Vorbereitung von Wahlen, nachdem Beschäftigte darum gebeten hätten. "Sie sagen, wir müssen uns nicht mehr wegducken", sagt Voigt.

Bei X-Fab war es laut Andreas Urbenz auch „eine Steilvorlage“ für die Gewerkschaftsliste, dass voriges Jahr ein Tarifvertrag im Dresdner Betrieb eingeführt wurde. Bis dahin gab es in dem Chipkonzern nicht nur Ost-West-Unterschiede, sondern Ost-Ost-Differenzen: Im Werk Erfurt gab es schon einen Tarifvertrag und damit zum Beispiel höhere Schichtzulagen als in Dresden.

Globalfoundries: Tarifverträge nur im Komplettpaket

„Mit einem Tarifvertrag kann man nach außen werben“, sagt Adam. Tatsächlich lobte Globalfoundries zeitweilig auf seiner Internetseite die "gelebte Mitbestimmung" und die Zusammenarbeit von Betriebsrat und Geschäftsleitung. Anders als bei X-Fab und Infineon ist der Tarifvertrag für Dresdens größte Chipfabrik aber noch nicht unterschrieben.

Zwar haben sich die Verhandlungspartner auf einen „Rahmentarifvertrag“ geeinigt, der Details zum Schichtsystem klärt. Zum Beispiel müssen die Schichtarbeiter weniger „Einbringeschichten“ zum Ausgleich der Schicht-Umstellung leisten. Doch dieser Rahmenvertrag soll erst in Kraft treten, wenn auch ein Entgelttarifvertrag ausgehandelt und unterschrieben ist.

Über die Details wollen sich Geschäftsleitung und Gewerkschaft erst öffentlich äußern, „wenn der gesamte Prozess abgeschlossen ist“. Betriebsratschef Adam sieht darin keine Hinhaltetaktik. „Die Belegschaft möchte es gelöst haben. Man hat dann mehr Ruhe im Unternehmen“, sagt der Arbeitnehmervertreter. Ein Tarifvertrag schaffe Rechtssicherheit, das zahle sich für alle aus.