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Jazztage-Chef wehrt sich gegen Kritik

Die Jazztage kommen nicht zur Ruhe: Nach dem Auftritt von Daniele Ganser entzündet sich die Kritik nun vor allem an den Corona-Hygiene-Zuständen.

Von Marcus Thielking
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Der Organisator der Dresdner Jazztage Kilian Forster.
Der Organisator der Dresdner Jazztage Kilian Forster. © Matthias Rietschel

Dresden. Einige berühmte Jazzmusiker sind dieses Jahr mit einer Corona-Infektion gestorben: der Saxofonist Manu Dibango (86), der Trompeter Wallace Roney (59), der Pianist Ellis Marsalis Jr. (85), der Saxofonist Lee Konitz (92). Dem Intendanten der Dresdner Jazztage, Kilian Forster, könnte das zu denken geben, sieht er doch den Jazz auch sonst gerne im Zusammenhang globaler und historischer Ereignisse. So rechtfertigte er den Auftritt des Historikers und Verschwörungstheoretikers Daniele Ganser am Sonntag damit, „dass Jazzmusiker für den Frieden, für die Freiheit gekämpft haben“, deshalb passe das Thema „Geostrategie“ auch in den Rahmen des Festivals.

Mehr als Gansers umstrittene Thesen sorgen nun die hygienischen Zustände bundesweit für Kritik, unter denen der Vortrag im Ostra-Dome stattfand: Hunderte Menschen im Saal, dicht nebeneinander sitzend, ohne Masken – eine Art Corona-Jamsession für Jung und Alt. In einem Bericht der Bild-Zeitung wird der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach mit fassungslosen Worten zitiert: Offenbar handle es sich bei den Jazztagen um ein „Superspreading-Event mit Ansage“, unter diesen Bedingungen müsse das Festival sofort gestoppt werden.

Kritik von Kretschmer

Auch das Dresdner Gesundheitsamt findet deutliche Worte: „Insgesamt ist es sehr bedauerlich, dass das Vorgehen eines Veranstalters eine ganze Branche in die Kritik bringt und damit die sehr guten und durchdachten Hygienekonzepte der Kulturbranche in Frage stellt.“ Ändere der Veranstalter sein Vorgehen nicht, behalte sich die Stadt den Entzug der Genehmigung vor.

Im Kern geht es dabei um die Bildung „freiwilliger Infektionsgruppen“, bei denen sich die Besucher bereit erklären, neben anderen, fremden Personen zu sitzen. Dieses Vorgehen der Jazztage sei „ausdrücklich nicht im Sinne der Landeshauptstadt Dresden“, so das Gesundheitsamt. Lauterbach spricht gar von einem „völlig unethischen Menschenversuch, der die Bemühungen zur Eindämmung des Virus auf unsägliche Art untergräbt“.

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ist irritiert. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag zur Corona-Situation mahnte er, nach den Jazztagen gefragt, an die Abstandsregeln: „Das ist, wenn man die Bilder sieht, von der Veranstaltung nicht gegeben, und das muss aufgeklärt werden.“ Seiner Meinung nach dürfe so etwas nicht stattfinden. „Wir hoffen alle miteinander, dass von der Veranstaltung keine Infektionen ausgegangen sind.“

Kilian Forster scheint all dies jedoch wenig zu bekümmern. In einer Stellungnahme auf Facebook vom Montag heißt es, man habe das genehmigte Hygienekonzept „mit genau diesem Inhalt umgesetzt“. Im übrigen sei Kultur als „seelische und psychische Nahrung“ auch nötig „für eine stabile Immunabwehr gegen Corona“. Schon in der Vergangenheit hatte sich Forster skeptisch gegenüber den Corona-Schutzmaßnahmen der Politik geäußert. Den Virologen Christian Drosten bezeichnete er einmal als „Merkels Lieblingscovidiot“. 

Auch sein Gast Daniele Ganser teilt auf Facebook Inhalte, die das Coronavirus verharmlosen. So zitiert er zum Beispiel den Epidemiologen Sucharit Bhakdi mit der Behauptung, das Coronavirus sei „nicht gefährlicher als ein normales bis mittelschweres Grippevirus“. Die Vermutung liegt also nahe, dass auch Teile des Publikums am Sonntag mit den dort herrschenden Hygiene-Zuständen schon aus Prinzip einverstanden waren.

Auch beim Vortrag des umstrittenen Schweizer Historikers Daniele Ganser saß das Publikum dichter gedrängt als derzeit normalerweise üblich.
Auch beim Vortrag des umstrittenen Schweizer Historikers Daniele Ganser saß das Publikum dichter gedrängt als derzeit normalerweise üblich. © Andreas Weihs

Auf Anfrage der Sächsischen Zeitung betont Forster nochmals, er habe sich strikt an das genehmigte Hygienekonzept gehalten. „Da gab es wenig Deutungsspielraum.“ Wegen der dicht sitzenden Zuschauer habe er keine Bedenken. Es gebe immer ein Restrisiko. „Und selbst unser Gesundheitsminister hat sich infiziert, obwohl er sich an alle Regeln hielt.“ Gleichwohl gelte von Dienstag an auch bei den Jazztagen Maskenpflicht, ebenso auf den Plätzen. Zusätzlich vergrößere man, trotz genehmigten Hygienekonzepts, freiwillig den Reihenabstand auf 1,5 Meter.

Zu Lauterbachs Vorwürfen erklärte Forster: „Vielleicht möchte er auch einen neuen Lockdown und findet in den Jazztagen, Dresden und Sachsen einen Sündenbock.“ In einer weiteren Stellungnahme der Jazztage heißt es zudem, Lauterbachs Aussage sei „diffamierend, entbehrt jeglicher Grundlage und wertet Menschen, die eine Veranstaltung besuchen ebenso wie die Organisatoren und Mitarbeiter derselben auf eine Weise ab, die finsterste Zusammenhänge suggeriert“.

Sponsoren und Musiker springen ab

Unterdessen reißt auch die inhaltliche Kritik am Auftritt Gansers nicht ab. Intendant Forster sagte am Sonntag bei seiner Begrüßung: „Der Wind bläst ganz gewaltig. Es sind einige Sponsoren abgesprungen, es sagen inzwischen schon mehrere Künstler ab.“ Auf SZ-Anfrage konkretisierte er: Es gehe um einen Gesamtschaden von 10.000 Euro. Namen der abgesprungenen Sponsoren will er nicht nennen.

Laut Forster hat unter anderem der weltbekannte Organist Cameron Carpenter wegen der Causa Ganser seinen Auftritt abgesagt. Zu den Künstlern, die sich distanzieren, gehört auch Bene Aperdannier, Professor für Klavier an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin. Aperdannier ist eine Größe im Geschäft, er hat schon musiziert mit Prominenten wie Udo Lindenberg, Nina Hagen, Max Raabe, Xavier Naidoo, Katie Melua, James Blunt. Zusammen mit der argentinischen Sängerin Lily Dahab sollte Aperdannier am 16. November ein Konzert in Dresden geben. Das haben die beiden nun abgesagt.

Auf Facebook erklären sie, nicht an einem Festival teilnehmen zu wollen, bei dem Ganser ein Forum bekomme. Dieser stehe offensichtlich der „neurechten oder sogar Neo-Nazi-Szene“ nahe. So verunglimpfe er die Erinnerung an Hitlers Verbrechen als „psychologische Kriegsführung“. Das sei ein „Schlag in die Gesichter aller Opfer der NS-Zeit“.

Der Gitarrist Lars Kutschke verabschiedete sich bereits am Sonnabend von den Jazztagen, ebenfalls via Facebook-Post: Er werde die „Blues Night“ nicht mehr ausrichten. Kutschke spricht von einer „Übernahme des Festivals durch Leute, die meiner Meinung nach dort nichts zu suchen haben“, sowie von einem „Schema von Neu-Rechten und Verschwörungs-Gurus“. Auch die Kommentarspalten auf der Facebookseite des Festivals schreckten ihn ab: „Die Geister, die hier gerufen wurden, möchte ich keinesfalls in meinem Publikum wissen.“

Transparenzhinweis: Die Sächsische Zeitung ist Medienpartner der Jazztage Dresden.