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Pflege-Impfpflicht in Sachsen nicht überall umsetzbar

Viele Pflegekräfte sind nicht gegen Corona geimpft. Sie werden aber dringend in ihrem Beruf gebraucht. Was das für die Impfpflicht in Sachsen bedeutet.

Von Andrea Schawe
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Einige Pflegekräfte in Sachsen wollen sich nicht impfen lassen. Doch wie realistisch ist eine Impfpflicht in Sachsen?
Einige Pflegekräfte in Sachsen wollen sich nicht impfen lassen. Doch wie realistisch ist eine Impfpflicht in Sachsen? © dpa

Dresden. Die gesetzliche Impfpflicht in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen könnte in Sachsen am Personalmangel scheitern. Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) hat bekräftigt, dass die Versorgungssicherheit bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Vordergrund stehe.

Es gebe in Sachsen Einrichtungen, bei denen das Personal eine sehr niedrige Impfquote habe, sagte Köpping. Die Sicherstellung der Versorgung der Menschen müsse aber oberste Priorität haben. "Wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist, wird kein Betretungsverbot ausgesprochen."

Ab wann soll die Impfpflicht gelten?

Der Bundestag hat im Dezember eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen, die ab 16. März umgesetzt werden soll. Bis dahin sollen alle Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen ihrem Arbeitgeber einen gültigen Impf- bzw. Genesenen-Nachweis oder eine ärztliche Impfbefreiung vorlegen. Das betrifft unter anderem Personen, die in Krankenhäusern, in Reha-Einrichtungen, Arzt- und Zahnarztpraxen, bei Rettungsdiensten, in Pflegeeinrichtungen oder ambulanten Pflegediensten, beim öffentlichen Gesundheitsdienst oder in Entbindungseinrichtungen arbeiten.

Warum gibt es kein bundesweites Vorgehen?

Die Länder müssen das Bundesgesetz umsetzen. Die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder konnten sich aber sich auf ein einheitliches Vorgehen einigen. Das liegt vor allem daran, dass die Impfquoten so unterschiedlich sind. In Bremen sind fast 90 Prozent der Bevölkerung zweifach geimpft, in Hamburg, dem Saarland und Schleswig-Holstein sind es knapp 80 Prozent. Für diese Länder "stellt sich die Gesamtsituation bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht einfach anders dar als in Sachsen", sagte Petra Köpping. Im Freistaat liegt die Impfquote der vollständig Geimpften bei knapp 63 Prozent.

Warum ist die Impfpflicht so kompliziert?

Die Vorgaben im Gesetz sind nicht ausreichend. Die Länder warten deswegen auf Zuarbeiten des Bundesgesundheitsministeriums, so Köpping. Es seien wichtige Fragen nicht geklärt. Die Gesundheitsminister der Länder haben deswegen am Montag einen Fragenkatalog an das Bundesministerium gestellt. Etwa für welche Menschen und Bereiche die Pflicht konkret gelten soll. Sind Mitarbeiter der IT oder das Reinigungspersonal genauso betroffen oder nur die Mitarbeiter, die mit vulnerablen Patienten und Bewohnern arbeiten? Reicht die zweifache Impfung oder brauchen die Mitarbeiter auch die Auffrischungsimpfung? Wie lange gilt die Impfpflicht? Das Gesetz ist bis 31. Dezember 2022 befristet.

Wer soll die Impfpflicht kontrollieren?

Zuständig sind die lokalen Gesundheitsämter in den Großstädten und Landratsämtern. Das Gesundheitsministerium muss ihnen Vorgaben machen - etwa zu Kriterien nach denen die Versorgungssicherheit beurteilt wird. Am Mittwoch fanden dazu erste Gespräche mit den Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte und den zehn Landräten statt. Den Erlass zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht soll es möglichst bis zum 11. Februar geben.

Was heißt das für die Gesundheitsämter?

Die Arbeitgeber sind verpflichtet, alle Mitarbeiter ohne entsprechende Nachweise "unverzüglich" an die Gesundheitsämter zu melden. Die könnten ungeimpften Mitarbeitern gegebenenfalls ein Betretungsverbot für die Einrichtung aussprechen. Davon kann aber abgesehen werden, wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Ungeimpfte Pflegekräfte könnten dann weiter in ihrem Beruf arbeiten, müssten aber mit Auflagen wie täglichen Tests rechnen. Auch ein Bußgeld soll möglich sein.

Das muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden. "Das ist eine enorme Belastung für die Gesundheitsämter", sagte Köpping. Nach Angaben des Sozialministeriums sind etwa 300.000 Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeberufen betroffen, etwa 100.000 sind nicht geimpft. Die Prüfung jedes Einzelfalls könnte Wochen oder Monate dauern. Das Ministerium habe für Sachsen aber auch eine Digitalisierung vorgesehen.

Gibt es regionale Unterschiede?

Die Impfpflicht wird in Sachsen nicht flächendeckend umsetzbar sein, sagte Köpping. Die Impfquoten sind regional unterschiedlich – nicht nur beim Pflegepersonal. Während in Leipzig etwa 80 Prozent geimpft sind, sind es etwa im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge nur knapp die Hälfte der Pflegekräfte. In Krankenhäusern und Pflegeheimen mit geringer Impfquote des Personals wird die Versorgungssicherheit schneller an ihre Grenzen stoßen als in Einrichtungen, in denen viele Pflegekräfte geimpft sind.

Auch von Einrichtung zu Einrichtung kann die Einschätzung unterschiedlich ausfallen. Die beiden Unikliniken befürchten etwa keinen Mangel bei ihrem Pflegepersonal durch die beschlossene einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht. Es sei ein Problem, "aber keine Gefahr", sagte Christoph Josten, medizinischer Vorstand der Universitätsklinik Leipzig. "Die Impfquote bei uns ist mit mehr als 90 Prozent bei Ärzten und über 80 Prozent beim restlichen Personal sehr hoch." Auch der medizinische Vorstand des Dresdner Universitätsklinikums, Michael Albrecht, geht nicht von einer "riesigen Kündigungswelle" aus.

Wie soll die Situation verbessert werden?

Sachsens Gesundheitsministerin hofft, dass sich viele Pflegekräfte doch noch für eine Impfung entscheiden. Dazu soll es auch sachsenweit spezielle Impftage in den Impfstellen geben.

Auch der Impfstoff von Novavax könnte noch viele Menschen überzeugen, so Köpping. Der Impfstoff wirkt nach dem gleichen Prinzip wie viele Grippeimpfstoffe. Er soll so schnell und in so großer Menge wie möglich in Sachsen erhältlich sein und für Menschen, die von der Impfpflicht betroffen sind, priorisiert werden. Ab dem 21. Februar sollen in Deutschland 1,75 Millionen Dosen zur Verfügung stehen.

Was wollen die Landräte?

Sachsens Landräte fordern Aussetzung der Impfpflicht für Gesundheitsberufe. Das teilte der Sächsische Landkreistag am Donnerstag mit. Nach dem Treffen mit Gesundheitsministerin Petra Köpping am Mittwoch seien "nach wie vor zahlreiche Fragen zur Umsetzung des Gesetzes ungeklärt". Streit gebe es noch bei den Themen Versorgungssicherheit, Zielsetzung und Verwaltungsaufwand.

Die Anstrengungen für einen möglichst umfassenden Impfschutz seien zweifellos richtig, sagte Frank Vogel, der Landrat des Erzgebirges und Präsident des Landkreistages. Doch die Impfpflicht sei von der aktuellen Entwicklung eingeholt worden. So schütze die Impfung zwar vor schweren Krankheitsverläufen, jedoch nicht vor einer Ansteckung. "Ziel der einrichtungsbezogenen Impfpflicht war es aber, die vulnerablen Gruppen vor Infektionen zu schützen", heißt es. "Vor diesem Hintergrund halten wir es für dringend erforderlich, auf Bundesebene neu über die Maßnahmen zum Schutz der zu Pflegenden nachzudenken."