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Besonders viele Corona-Kritiker in Sachsen

Sachsen gilt als "Querdenker"-Kernland, mit einer teils renitenten Bevölkerung. Ergebnisse einer Studie sprechen dagegen - Auffälligkeiten gibt es aber.

Von Andrea Schawe
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Vor allem Ostsachsen - hier ein Proteste an der B96 - sehen die Corona-Politik kritisch. :
Vor allem Ostsachsen - hier ein Proteste an der B96 - sehen die Corona-Politik kritisch. : © SZ/David Berndt

Dresden. Seit anderthalb Jahren wird Sachsen von der Pandemie bestimmt und zählte im Winter zu einer der Regionen Deutschlands mit den höchsten Inzidenzwerten. Woran lag das? Haben bestimmte sozialräumliche und politisch-kulturelle Faktoren die Infektionslage verschärft? Ist Sachsen das ‚Kernland der Querdenker‘ mit einer ‚renitenten‘ Bevölkerung?

Eine erste repräsentative, regionalisierte Studie hat die Einstellung der Bevölkerung gegenüber den Corona-Maßnahmen in Sachsen untersucht. Für sie wurden in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut dimap Mitte Mai insgesamt 1.008 über 18-Jährige per Telefon und online befragt. „Das Bild, dass Sachsen ein Kernland der Querdenker sei und eine in Teilen renitente Bevölkerung habe, die einzelne Maßnahmen strikt ablehnt, ist so gezeichnet zurückzuweisen“, sagte Hans Vorländer, der Direktor des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) der TU Dresden, bei der Vorstellung der Ergebnisse am Mittwoch in Dresden.

Die Befunde unterschieden sich nicht grundlegend von denen für Deutschland insgesamt. Allerdings bestätigt die Studie die starke Verbreitung von Impf-Skepsis, Verschwörungsdenken und Regierungskritik. Es gebe aber Unterschiede zwischen Regionen, sozialen Gruppen, politischer Orientierung.

"Das Lager der Corona-Kritiker ist stark ausgeprägt", stellte Vorländer fest. Viele der Befragten lehnten die staatlichen Schutzmaßnahmen ab, zeigten Verständnis für Corona-Proteste und ein erheblicher Teil der Bevölkerung sei Verschwörungsdenken sehr nah. "Männer sind kritischer als Frauen, Jüngere deutlicher als Ältere und auch bezüglich Ausbildung und Berufstätigkeit gibt es große Unterschiede", sagte Vorländer. Ebenso fielen AfD-Sympathisanten besonders auf. Dabei wiesen Ost- sowie Südwestsachsen in fast allen Kategorien höhere Werte auf als Nordsachsen und die Großstadtregionen, wobei Ostsachsen am kritischsten seien.

"Ich freue mich, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Sachsens die Corona-Maßnahmen versteht und mitträgt", kommentiert Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) die Studie. "Und ich freue mich, dass die Mehrheit der Menschen in Sachsen sich gegen Covid-19 impfen lassen möchte." Dies seien gute Grundlagen, um die Pandemie zu bewältigen und die Bevölkerung auch für die Zukunft zu schützen. "Sachsen ist nicht das Land der Querdenker und Impfskeptiker", betonte Köpping. "Befürworter und Kritiker der Maßnahmen sind in ähnlichem Verhältnis vertreten, wie anderswo auch."

Das sind die Ergebnisse:

Management der Regierung

Eine knappe Mehrheit ist mit dem Corona-Management von Bundesregierung und sächsischer Landesregierung zufrieden. „Rund die Hälfte der Sächsinnen und Sachsen bedauert es gar, dass die Politik bei der Bekämpfung der Pandemie ‚nicht härter durchgegriffen‘ hat“, sagte Vorländer. Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung auch kritisch ist, halten es 60 Prozent für richtig, dass „der Staat zum Schutz der Gesundheit seiner Bürger notfalls auch private Freiheiten einschränkt“.

Die meisten Befragten stehen der Bewegung „Querdenken“- und anderen Corona-Protesten distanziert bis ablehnend gegenüber. 42 Prozent haben allerdings Verständnis für die Corona-Proteste – besonders viele Befragte äußerten sich positiv zu den Demonstrationen in den Landkreisen Görlitz, Bautzen, Sächsische Schweiz und Erzgebirge.

Befragte, die selbst eine Infektion durchgemacht oder eine mit schwerem Verlauf im engeren Umfeld erlebt haben, stehen den staatlichen Maßnahmen weniger kritisch gegenüber und sind weniger anfällig für Verschwörungsdenken.

Corona-Maßnahmen

Wenn es um die „Schließung von Schulen und Kitas“, „von Läden und Restaurants“ sowie „von Kultur- und Freizeiteinrichtungen“ geht, halten sich positive und negative Bewertungen in etwa die Waage. Lediglich eine nächtliche Ausgangssperre hält eine deutliche Mehrheit für wenig sinnvoll. Die Maskenpflicht hingegen wird gemeinhin akzeptiert.

30 Prozent der Befragten bewerten die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus als „nicht sinnvoll“. Männer sind dabei insgesamt kritischer als Frauen, Jüngere deutlich kritischer als Ältere. Besonders viele Arbeiterinnen und Arbeitern, Auszubildenden, Personen mit Realschulabschluss und AfD-Sympathisanten lehnen die Maßnahmen ab.

Auch die regionale Verteilung ist unterschiedlich: Die größte Akzeptanz der Corona-Maßnahmen äußerten die Befragten in Nordsachsen und in Leipzig, die stärkste Ablehnung die Befragten in den Landkreisen Görlitz und Erzgebirge.

Impfbereitschaft

Rund 73 Prozent der Sächsinnen und Sachsen stehen einer Impfung aufgeschlossen gegenüber oder haben sich bereits gegen Corona impfen lassen. Unter den noch nicht Geimpften geben 40 Prozent an, sich „auf jeden Fall“ impfen zu lassen, weitere 17 Prozent antworten auf die Frage mit „eher ja“.

Der Anteil der Impf-Skeptiker liegt mit 21 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Vorländer zufolge sind sie unter Jüngeren überrepräsentiert. „Wer ohne Kinder im Haushalt lebt, tendiert dazu, das Angebot nicht in Anspruch nehmen zu wollen.“ Impf-Skeptiker seien eher in Ostsachsen zu Hause. Auch rechts der Mitte oder der AfD zuzuordnende Befragte wollten sich eher nicht oder auf gar keinen Fall impfen lassen.

Verschwörungstheorien

Ein erheblicher Teil der Bevölkerung sei Verschwörungsdenken in Bezug auf Corona sehr nah. Die Hälfte der Sachsen glaubt etwa, dass die Gefahr, die vom Corona-Virus ausgeht, in den Medien übertrieben wird. 44 Prozent vermuten, dass die Regierung „aus Rücksicht auf die Pharmalobby […] mögliche Nebenwirkungen und Langzeitschäden der Corona-Impfstoffe“ verschweigt. 35 Prozent sind der Meinung, die Regierung nutze die Pandemie als Vorwand, „um die Überwachung der Bürger voranzutreiben“.

„Eher Männer als Frauen, Arbeiter als Selbstständige und Menschen unterer Einkommensgruppen sind anfällig, AfD-Sympathisanten besonders exponiert“, sagte Vorländer. Sehr oft seien es Befragte in den Landkreisen Bautzen, Zwickau und Mittelsachsen, am wenigsten im Vogtlandkreis, dem Landkreis und der Stadt Leipzig.