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Käfer, Golf und Volvo: Die verrückten Geschichten der Westautos in der DDR

In seinem neuen Buch erzählt der gebürtige Sachse Eberhard Kittler, wie Autos aus dem Westen in den Osten kamen – und was diese Autos heute wert sind.

Von Andreas Rentsch
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VW Golf in der DDR: ein Auto, mit dem der Besitzer mindestens interessierte Blicke erntete.
VW Golf in der DDR: ein Auto, mit dem der Besitzer mindestens interessierte Blicke erntete. © Klaus Zwingenberger

Eins steht für den Automobilhistoriker Eberhard Kittler fest: „Der Mangel an Autos und die langen Wartezeiten auf Neuwagen sind einer der Sargnägel der DDR gewesen.“ Die extremen Fristen zwischen Bestellung und Auslieferung eines Trabant oder Wartburg sind Legende und werden heutzutage gern noch übertrieben.

Dabei gab es etwas, das im Arbeiter-und-Bauern-Staat noch schwieriger zu ergattern war: ein Westauto. Gerade mal 100.000 Fahrzeuge aus der Produktion des Klassenfeindes rollten kurz vor der Wende auf den Straßen zwischen Zittau und Zingst. Kittler, 1987 in die BRD ausgereist und später langjähriger Chef der Oldtimer-Sparte bei Volkswagen in Wolfsburg, hat über diese Autos und ihre Besitzer ein lesenswertes Buch geschrieben. Dabei räumt der 68-Jährige mit einigen weit verbreiteten Gerüchten und Mythen auf.

Herr Kittler, wie kamen Volkswagen und andere Westautos in die DDR?

Zum einen waren sie schon da. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen viele VW-Kübelwagen in den Wäldern, gerade auch in Sachsen. Findige Leute haben sie sich geholt und wiederaufgebaut. Es gibt die Legende, dass man in der DDR keinen Kübelwagen hätte haben dürfen. Das stimmt nicht. Im Gegenteil: Man konnte mit diesen Autos sogar Geld verdienen.

Treptow-Köpenick, um das Jahr 1970: Im Berliner Feierabendverkehr rollt zwischen Trabant, Wartburg, Skoda und Lada auch ein VW Golf.
Treptow-Köpenick, um das Jahr 1970: Im Berliner Feierabendverkehr rollt zwischen Trabant, Wartburg, Skoda und Lada auch ein VW Golf. © Verkehrsmuseum Dresden
Guck mal, ein Westauto: Ein VW Käfer zieht auf dem Rathausvorplatz in Dresden die Blicke der Passanten auf sich. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1967. Links ein Ikarus-Bus.
Guck mal, ein Westauto: Ein VW Käfer zieht auf dem Rathausvorplatz in Dresden die Blicke der Passanten auf sich. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1967. Links ein Ikarus-Bus. © Foto: SZ/Hans-Dieter Opitz
Dresdner Rallye-Geschichte: Renn-Käfer von DDR-Meister Jörg Pattusch.
Dresdner Rallye-Geschichte: Renn-Käfer von DDR-Meister Jörg Pattusch. © Sammlung Pattusch
Der VW Golf des Motorjournalisten Klaus Zwingenberger (l.). Bis 1989 blieb der Wagen in Familienbesitz.
Der VW Golf des Motorjournalisten Klaus Zwingenberger (l.). Bis 1989 blieb der Wagen in Familienbesitz. © Klaus Zwingenberger

Wie denn?

Beim Dreh von Defa-Filmen. Dort brauchte es für die Darstellung des bösen Nazis auch den entsprechenden Wagen. Teilweise schrieben die Zulassungsstellen der Bezirke Halter von Fahrzeugen aus „imperialistischer Produktion“ an, wenn etwa das Fernsehen eine Straßenszene aus Westdeutschland nachstellen wollte. Die Nutzung der Autos wurde ganz normal honoriert.

Das heißt, der Besitz von Westautos war nicht verboten, sondern nur verpönt?

Genau so. Es war viel weniger verboten, als heute kolportiert wird. Dazu muss man bedenken, dass in den 1950ern die Grenzen noch offen waren und Autos offiziell eingeführt wurden. Erst im Lauf der Zeit haben die Behörden erkannt, dass sich hier Devisen verdienen lassen.

Dann gab es natürlich Leute mit Sonderrechten. Künstler und Kirchenleute zum Beispiel. Auch durch Umzüge, Schenkungen und Erbschaften kamen Volkswagen ins Land. Es gab übrigens mehr als 20 private VW-Servicebetriebe. In Dresden waren das die Firma Schräger und die Firma Richter, später Pattusch.

Ab wann kamen Autos über Genex in die DDR?

Ab Ende der 1970er.

Erklären Sie mal für Spätgeborene, was Genex war und wie das funktionierte.

Genex war eine staatliche Außenhandelsorganisation. Wenn Verwandte – oder wer auch immer – bei Genex D-Mark einzahlten, konnten sie sich aus einem Katalog aussuchen, was sie ihren Lieben in der DDR schenken wollten. Die Lieferzeiten für Autos betrugen gerade mal zwei Monate – ein Klacks zu den Wartezeiten auf ein Auto im Osten. Was nicht ging, war, dass der durch „Extraleistungen“ zu D-Mark gekommene Handwerker bei Genex einkaufen konnte. Solche Leute mussten andere Wege gehen.

Können Sie mal ein Beispiel geben?

Es gab im Leipziger Raum den Rennfahrer und Handwerksmeister Hartmut Thaßler. Der hatte sich auf die Fertigung von Glasfaserkunststoffteilen spezialisiert. Thaßler hat 1977 den einzigen Porsche 911 Turbo der DDR importiert. Dabei hat ihm ein nordafrikanischer Student geholfen. Weil der frei reisen durfte, konnte der das Auto aus der BRD überführen. Das Auto steht heute in einer Privatsammlung im Harz.

Geht nicht, gibt's nicht: Der 911 turbo von Hartmut Thaßler war der einzige Porsche dieses Typs in der DDR.
Geht nicht, gibt's nicht: Der 911 turbo von Hartmut Thaßler war der einzige Porsche dieses Typs in der DDR. © Sammlung Kittler

Gab es noch mehr solche schier unerreichbaren Exoten?

Ja, unter anderem mindestens zwei 300-SL-Flügeltürer von Mercedes. Einer davon war ebenfalls in Leipzig zugelassen.

Bleiben wir mal bei den Glücklichen, die einen Genex-Golf bekamen...

Moment! Reden wir von Genex oder von den 10.000 Golfs, die 1978 ins Land kamen und für DDR-Mark zu kaufen waren? Letztere sind die interessantere Geschichte...