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Missbrauch in der Kirche: "Regelrecht Serientäter"

Die katholische Kirche zeigt sich unfähig, ihre vielen Verbrechen aufzuarbeiten. Alle drängen jetzt auf den Staat. Auch Betroffene.

Von Franziska Klemenz
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Bischöfe sitzen beim Eröffnungsgottesdienst der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in der Hofkirche.
Bischöfe sitzen beim Eröffnungsgottesdienst der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in der Hofkirche. © Robert Michael/dpa

Dresden. Die katholische Kirche scheitert weiter daran, Kindesmissbrauch in ihren Reihen aufzuklären. Das offenbarte sich am Mittwoch auf der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Dresden.

Ab 2024 werde ein neuer Expertenrat eingesetzt, der eine "gesellschaftlich anerkannte und kompatible Legitimation" brauche, versprach Bischof Helmut Dieser, Vorsitzender der zuständigen Fachgruppe.

Zusammen mit dem existierenden Betroffenenbeirat und einer bischöflichen Fachgruppe soll der Rat die Aufarbeitung vorantreiben, die Prävention unterstützen. Mitglieder könnten aus Recht, Medizin, Psychologie, Soziologie, Kriminalistik stammen. Besetzen solle den Rat auch die "politische Seite". Die Bischöfe forderten den Staat auf, mehr Verantwortung bei der Aufarbeitung zu übernehmen.

"Eine Institution kann sich nicht selbst aufarbeiten"

Staatliche Eingriffe fordern auch die Betroffenen-Initiative "Aufarbeitung, Aufklärung und Prävention sexuellen und/oder spirituellen Missbrauchs in katholischem Kontext". "Eine Institution kann sich nicht selbst aufarbeiten", sagt der Traumatherapeut Gregor Mennicken bei deren Konferenz am Dienstag. Bislang sollten Erzbistümer von der Ostsee bis zur bayerischen Landesgrenze sich mit der Militärseelsorge zusammentun.

Gegründet hat sich diese Kommission bis heute nicht. "Wir glauben, dass jedes Bistum genug damit zu tun hat, seinen Bereich aufzuarbeiten." Jedes Bistum brauche eine eigene, unabhängige Aufklärungskommission, die Täter, Taten, Helfer und Betroffene ermittelt.

"Glaubt", fordert Mennicken. "Glaubt den Betroffenen." Noch immer begegne ihnen der Vorwurf, zu lügen, zu übertreiben, der Kirche zu schaden. "Schämt euch" zu einem Menschen zu sagen, der sexualisierte Gewalt erlebt hat, "ist eine Schande", so Mennicken.

Geringere Lebenserwartung für Betroffene von Missbrauch

Infolge des Missbrauchs leben Betroffene statistisch gesehen nicht nur beeinträchtigt durch Albträume, Angstzustände und Minderwertigkeitskomplexe, sondern auch wesentlich kürzer als der Durchschnitt. Traumatisierte nehmen sich häufiger das Leben, sind häufiger Diabetiker, Alkoholiker oder drogenabhängig. Weil sie unter ständiger Anspannung stehen, erkrankt ihr Herz häufiger.

Wie groß das Ausmaß sein könnte, zeigen Erkenntnisse aus anderen Ländern. 330.000 Missbrauchs-Opfer zählte eine Studie in Frankreich. Ein Priester missbraucht durchschnittlich eine deutlich höhere Anzahl von Kindern als ein ziviler Täter; er hat über längere Zeit ungestraft Zugang zu Kindern.

"Wir haben es hier mit regelrechten Serientätern zu tun." Bei den religiösen Kindertagen auf Kloster Wechselburg, das vergangene Woche einen Täter öffentlich benannte, ließe sich "fast von einer Zuführung von Opfern" sprechen.

"Der geliebte Pfarrer: ein Verbrecher"

Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative, selbst in den 1970er-Jahren missbraucht, fordert Sachsens Landtag auf, eine Untersuchungs-Kommission für das Bistum Dresden-Meißen einzuberufen, statt eine Lösung aus Berlin abzuwarten.

„Betroffene haben die Genugtuung zu Lebzeiten verdient. Wir debattieren jetzt seit 13 Jahren und kommen einfach nicht voran.“

Katsch bemängelt, dass die Kirche den Missbrauch bis heute wie "exotische Einzelfallgeschichten" behandle, lange Zeit ein "Täterschutzprogramm" betrieben habe. "Gemeinden leiden wie Hund, wenn sie nach Jahrzehnten feststellen müssen, dass der heiß geliebte Pfarrer, der ihre Kinder getauft, ihre Ehen geschlossen, ihre Eltern beerdigt hat, ein Verbrecher war und alle getäuscht hat."

Joachim Förster hat mehr als ein halbes Jahrhundert lang niemandem erzählt, was ihm angetan worden ist. "Ich habe nicht zur Sprache gefunden." Bis Diskussionen über Missbrauch in der Kirche öffentlich werden. "Ich habe Schlafstörungen bekommen" - dann hat er sich bald doch seiner Familie anvertraut.

Kaum in der Pubertät war er, als es geschah. Sommer 1963. Durch Erich G.

Betroffener aus den 1960ern: "Erwarte Reue und Buße"

Joachim Förster ist inzwischen 73 Jahre alt und engagiert sich für die Betroffeneninitiative, die diesen Dienstag zum Pressegespräch geladen hat. "Ich will der Institution eigentlich helfen", sagt er. "Die Kirche hat eine besondere Mission und einen besonderen Moralanspruch."

Förster stammt aus einer sehr katholischen Familie, wie er sagt. "Glaube ist für mich eigentlich das Oberste." Das habe geholfen. Seine Familie, seine Kinder und Enkel, unterstützen ihn bei seinem Kampf für Gerechtigkeit. "Meine lieben Enkel, ich will es euch selber sagen", habe er ihnen vor einigen Jahren angekündigt. "Ich schöpfe die Kraft daher, dass sie auf meiner Seite stehen."

Seine größte Angst sei gewesen, dass sein Bekenntnis die Gemeinde in Riesa spalten könnte. Dazu sei es nicht gekommen. "Reue und Buße" erwartet Joachim Förster jetzt von der Kirche. (mit dpa und epd)

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Hermann Groër als Täter benannt. Das war der spätere Kardinal zwar auch in vielen Fällen. Allerdings nicht gegenüber Joachim Förster.