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Einbruch ins Grüne Gewölbe: Warum Sachsen jetzt den Wachdienst verklagt

Sachsen will nach dem Diebstahl der Juwelen aus dem Grünen Gewölbe nicht auf dem Schaden sitzen bleiben. Das Land verklagt deshalb auch die für die Bewachung zuständige Sicherheitsfirma. Ein Überblick über die Details des Streits.

Von Karin Schlottmann
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Die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma hätten mehr tun können, um den Diebstahl der Juwelen zu verhindern, glaubt der Freistaat.
Die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma hätten mehr tun können, um den Diebstahl der Juwelen zu verhindern, glaubt der Freistaat. © Zeichnung: P.M. Hoffmann.

Gut zwei Monate nach dem Urteil gegen die fünf Einbrecher in das Grüne Gewölbe befasst sich erneut ein Gericht mit dem Jahrhundert-Diebstahl. Der Freistaat Sachsen hat das für die Bewachung zuständige Sicherheitsunternehmen auf Schadensersatz verklagt. Die SZ erläutert die Details des Zivilrechtsstreits:

Was verlangt der Freistaat von der Wach- und Schließgesellschaft?

In der Klage gegen das Dresdner Wach- und Sicherungsinstitut (DWSI) macht das Land Sachsen einen Teil des Diebstahlschadens in Höhe von 15 Millionen Euro sowie rund 316.000 Euro für Schäden an Gebäude und Einrichtungen geltend, sagte Ralf Högner, Vorsitzender Richter der zuständigen 5. Zivilkammer am Landgericht Dresden. Insgesamt beträgt der Diebstahlschaden nach Rückgabe von Teilen der Juwelensammlung laut Landesregierung 63,6 Millionen Euro. Warum in der Klage nur eine Teilsumme verlangt wird, begründen die Kläger nicht.

Wie begründet der Freistaat die Geldforderung gegen die Firma?

Der Kläger wirft der Firma in mehreren Punkten fehlerhaftes Verhalten der Mitarbeiter vor, sagte Högner. So habe das Personal nicht bemerkt, dass die Täter vor dem Einbruch in zwei Nächten über die Mauer geklettert waren, um den Einstieg durch das Fenster vorzubereiten. Die Überwachungsmonitore seien zudem rund 50 Minuten unbesetzt gewesen, weil ein Wachmann mit seinem Handy beschäftigt gewesen sei und sich außerhalb des Sicherheitsraums auf dem Gang mit seinem Kollegen unterhalten habe.

Ein weiterer Vorwurf betrifft die Abschaltung des Scanners an der Außenfassade am Abend vor dem Einbruch sowie den Umstand, dass die Wachleute die Polizei über die Notruf-Nummer 110 und nicht über den Alarmknopf gerufen hätten. Dadurch sei die Polizei entscheidende zwei Minuten zu spät am Tatort gewesen. Außerdem sei das Wachpersonal nicht in die Ausstellungsräume gegangen, nachdem sie die Polizei alarmiert hatten.

Das Personal, das für die Bewachung des Zwingers eingeteilt worden war, habe das Beladen des Fahrzeugs der Täter nur gefilmt, sei aber nicht eingeschritten.

Was sagt die Sicherheitsfirma zu den Vorwürfen?

Das Unternehmen weist die Behauptungen des Klägers zurück. Sie seien unzutreffend oder zu schwammig. So argumentiert die Firma, dass sie für den Bereich außerhalb der Mauer nicht zuständig sei und der Fassadenscanner, der bei Berührungen Alarm auslösen soll, das Einstiegsfenster gar nicht erfasse. Für diesen Mangel des Sicherheitssystems seien allein die Staatlichen Kunstsammlungen verantwortlich. Wegen andauernder Fehlalarme hätten die Scanner abgeschaltet werden müssen.

Den Vorwurf, ein Mitarbeiter sei durch sein Handy abgelenkt worden, könne der Kläger nicht belegen. Auch die angeblichen Gespräche auf dem Gang habe es nicht gegeben. Weiterhin verweist das DWSI darauf, dass die Eigensicherung der Mitarbeiter Vorrang habe. Ohne persönliche Schutzausrüstung hätten sie diese Einbrecher nicht aufhalten können, die mit einer Axt bewaffnet gewesen seien. Der Anruf bei der Polizei über die 110 habe zu keinerlei Verzögerungen geführt.

  • Alle Artikel zum Prozess und zum Grünen Gewölbe finden Sie hier

Auch der Vorwurf, die Wachleute im Zwinger hätten nicht angemessen reagiert, sei falsch. Das am Zwinger eingesetzte Personal habe nicht einschreiten können. Sie hätten nicht direkt auf die Einbrecher schießen dürfen und konnten zudem überhaupt nicht sehen, was die Männer in den Kofferraum des Audis luden.

Das DWSI beruft sich zudem auf eine vertraglich vereinbarte Haftungsbegrenzung in Höhe von fünf Millionen Euro. Sollte die Firma für den entwendeten Schmuck zahlen müssen, stehe ihr zudem ein Anspruch auf Übergabe der Juwelen zu.

Wann ist mit einer Entscheidung über die Klage zu rechnen?

Der Freistaat hat am 22. Dezember vorigen Jahres die Klage eingereicht. Seitdem tauschen beide Parteien in Schriftsätzen ihre Argumente aus. Die Frist endet Anfang September. Das Gericht könnte dann einen Termin zur mündlichen Verhandlung festsetzen. Högner sagte, in diesem Jahr sei nicht damit zu rechnen. Ob die Sache vom Einzelrichter oder von der Kammer mit drei Richtern entschieden wird, ist noch offen. Die Öffentlichkeit wurde erst im Mai über die Schadensersatzklage informiert.

Müssen die verurteilten Mitglieder des Remmo-Clans Schadensersatz leisten?

Der Freistaat hatte zunächst versucht, mit dem Urteil des Strafgerichts gegen die Angeklagten zugleich auch Schadensersatz zu bekommen. Das Gericht entschied zwar, Sachsen habe dem Grunde nach einen Anspruch. Über die Höhe müsse aber ein Zivilgericht entscheiden. Bisher gibt es dazu keinen neuen Stand. Zudem ist das Strafurteil, mit dem die Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls mit Waffen, Sachbeschädigung und vorsätzlicher Brandstiftung zu Freiheitsstrafen zwischen vier Jahren und vier Monaten sowie sechs Jahren und drei Monaten verurteilt wurden, noch nicht rechtskräftig.

Es wird in einem möglichen Prozess viel Zeit in Anspruch nehmen, den Verkehrswert der Juwelen festzusetzen. Der Freistaat als Geschädigter hat zudem keinen Anspruch, von zwei Seiten entschädigt zu werden. Sollte er entweder von der Sicherheitsfirma oder von den Remmos eine Entschädigungsleistung erhalten oder Geld einziehen, müsste er sich dies gegen die jeweils andere Seite anrechnen lassen.

Hält der Freistaat an dem Vertrag mit dem DWSI fest?

Der Vertrag, der auch den Zwinger umfasst, läuft noch bis Ende 2023, teilte das Kulturministerium am Mittwoch auf Anfrage mit. Mit Bekanntwerden staatsanwaltlicher Ermittlungen gegen vier Wachleute sei mit dem Dienstleister abgestimmt worden, dass diese Mitarbeiter nicht mehr in den Staatlichen Kunstsammlungen eingesetzt werden. Auch den Ermittlern kam es zunächst verdächtig vor, dass die Mitarbeiter nichts unternahmen, um den Diebstahl zu verhindern. Im November 2022 stellte die Justiz das Verfahren aber mangels Tatverdachts ein.