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Sperrung des Blauen Wunders: Einfach nur ein Ärgernis - oder auch Idylle?

Autofahrer sind frustriert, Wirte klagen über nachlassende Kundschaft. Doch die Sperrung des Blauen Wunders führt auch dazu, dass einige Anwohner ohne Lärm leben können. Ein Rundgang.

Von Christoph Pengel
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Fast wie auf dem Dorf. So sieht es am Vormittag am Blauen Wunder aus.
Fast wie auf dem Dorf. So sieht es am Vormittag am Blauen Wunder aus. © Christian Juppe

Dresden. Endlich mal Ruhe im Garten. Elke Schirmer strahlt. "Es ist Wahnsinn", sagt sie. "Eine Lebensqualität wie auf dem Lande". Ihr Garten liegt am Körnerweg, nicht weit entfernt vom Blauen Wunder, Loschwitzer Seite. Normalerweise hört man hier Autos über die Brücke donnern, bei Ostwind wehen Abgase herüber. Doch nun ist die Brücke seit ein paar Wochen gesperrt. Und im Garten herrscht Stille.

Während sich Autofahrer über Staus oder Umleitungen ärgern, Wirte über nachlassende Kundschaft klagen und Bauarbeiter in der Hitze quälen, erleben einige Anwohner in diesen Tagen, was es heißt, ohne Verkehrslärm zu leben. Zuletzt sei es so ruhig gewesen, als die Brücke vor Jahren wegen Hochwasser gesperrt war, erzählt Elke Schirmer.

Wobei man dazu sagen muss, dass ihr Garten von der Baustelle abgeschirmt ist. Wer direkt am Brückenkopf wohnt, konnte diese Woche dabei zusehen, wie der Asphalt aufgerissen wurde. Staub waberte durch Luft, es dröhnte der Presslufthammer. Die Wahrnehmung der Sperrung und ihrer Auswirkungen hängt eben - wenig überraschend - vom Standpunkt ab.

"Ich habe nicht den Anspruch, dass ich die Hähne krächzen höre"

Norbert Linnemann steht auf einem Balkon und schaut auf die Fußgänger, die mal vereinzelt, mal in Grüppchen vorbeiströmen. "Es ist jetzt wirklich schön ruhig", sagt er. Linnemann ist Geschäftsführer der Planungsgesellschaft Linear Architekten an der Friedrich-Wieck-Straße, ebenfalls Loschwitzer Seite.

Genießt er die Idylle? Nun ja, Linnemann sieht das Ganze etwas differenzierter. Klar, ohne die Sperrung sei es lauter gewesen. Aber zum einen habe er Schallschutz-Fenster im Büro, zum anderen sagt er: "Wenn ich in der Stadt wohne, hab ich nicht den Anspruch, dass ich die Hähne krächzen höre."

Norbert Linnemann wohnt am Körnerweg. Im Hintergrund ist das Blaue Wunder zu sehen. Zu hören ist es kaum.
Norbert Linnemann wohnt am Körnerweg. Im Hintergrund ist das Blaue Wunder zu sehen. Zu hören ist es kaum. © Christian Juppe

Dresdner, die rund um das Blaue Wunder wohnen, dürften sich ja nun wirklich nicht über mangelnden Lebensstandard beschweren. Die Lage sei hervorragend, man könne einkaufen und gut essen gehen. Und Restaurants, sagt Linnemann, müssten eben beliefert werden, auch über die Brücke. Linnemann wohnt am gleichen Hang wie Elke Schirmer, die Frau vom Körnerweg. Aber für ihn sei der Unterschied in der Geräuschkulisse kaum spürbar.

"Die Kunden haben Mitleid mit uns"

Die wegen der Sperrung erwartete Ruhe hatte Händler schon im Vorfeld nervös gemacht. Man würde gern wissen, wie es bei ihnen läuft, aber am Körnerplatz sind viele derzeit gar nicht zu sprechen. An etlichen Läden hängen Zettel, auf denen steht, dass die Inhaber bis Ende nächster Woche - so lange dauert die Sperrung - im Urlaub sind.

Die Bäckerei Wippler hatte ihre Öffnungszeiten verkürzt und macht montags bis samstags nun eine Stunde später auf. Doch anders als erwartet, kämen trotz Sperrung immer noch viele Kunden, heißt es im Geschäft.

Dass genug Laufkundschaft unterwegs ist, merkt man spätestens auf der Brücke. Da kann es eng und ungemütlich werden. Längst nicht alle Fahrradfahrer steigen ab, so wie es vorgeschrieben ist. Dabei geraten sie auch mal mit schimpfenden Fußgängern aneinander. Die Stimmung ist gereizt. Vor gut einer Woche griff ein Mann einen Rollerfahrer an und verletzte ihn dabei.

Absteigen? Nö. Immer wieder rollen Radfahrer über die Brücke - obwohl es verboten ist.
Absteigen? Nö. Immer wieder rollen Radfahrer über die Brücke - obwohl es verboten ist. © Marion Doering

Am anderen Ende der Brücke, vor dem Café Toscana, wird jetzt Eis verkauft, um den vermehrten Menschenstrom in Geld umzumünzen. Und obwohl ein Bagger auf der Straße geräuschvoll Schutt auf einen Hänger schaufelt, ist auch die Terrasse des Cafés am Mittag voll. Sieht gut besucht aus. Doch der Eindruck täuscht.

"Wir haben 30 Prozent Gäste weniger als sonst", sagt Geschäftsführer Clemens Eisold. Zwar brächte der Eisverkauf den einen oder anderen Euro mehr. "Aber das wiegt den Rest nicht auf." Die Gäste auf der Terrasse hätten mehrheitlich reserviert, wohl ohne die Baustelle vor Augen zu haben. Beschwerden müsse sich Eisold aber nicht anhören, im Gegenteil: "Die Kunden haben Mitleid mit uns", sagt er.

Nicht alle Händler am Schillerplatz leiden unter der Situation. Susan Herrmann, Inhaberin des Modegeschäfts N Vogue, wirkt guter Dinge. Fragt man sie, ob mehr los ist als sonst, muss sie lachen. "Hier ist Völkerwanderung", sagt sie. Mehr Kunden würden aber nicht in ihr Geschäft kommen, auch nicht weniger. Wer bei ihr kaufen wolle, komme gezielt in den Laden, Baustelle hin oder her.

Fazit: Das Bild ist gemischt. Für die einen ist die Sperrung des Blauen Wunders ein Ärgernis, für die anderen ein Paradies auf Zeit. Elke Schirmer würde die Ruhe in ihrem Garten zwar gerne erhalten. Aber auch ist ihr klar, dass bald wieder Autos über die Brücke rauschen müssen. Seit 20 Jahren lebt sie am Körnerweg. Nie habe sie daran gedacht, woanders hinzuziehen. "Dazu ist es viel zu schön hier", sagt sie.