Streitgespräch zwischen Klimakleber und Umweltbürgermeisterin: Tut Dresden genug für den Klimaschutz?
Christian Bläul setzt sich immer wieder in Dresden auf die Straße, um für mehr Klimaschutz zu protestieren. Eva Jähnigen ist im Rathaus für den Umweltschutz in Dresden zuständig. Das haben sich die beiden zu sagen.
Dresden. Seit dem Frühjahr 2022 blockiert die Klimaprotestgruppe "Letzte Generation" in Dresden immer wieder Straßen. Der Grund für ihren Protest: Es müsse mehr getan werden, um den Klimawandel aufzuhalten, sagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Aber wie ist denn eigentlich die Lage in der Stadt Dresden? Tut die Stadt genug für den Klimaschutz? Ein Streitgespräch zwischen Christian Bläul, Gesicht der Dresdner Ortsgruppen der "Letzten Generation" und "Extinction Rebellion" - und Eva Jähnigen (Grüne), der Dresdner Umweltbürgermeisterin.
Frau Jähnigen, Herr Bläul, macht die "Letzte Generation" in Sachen Klimaschutz zu viel Alarm – oder die Stadt zu wenig?
Christian Bläul: Der Protest ist nötig. Die aktuellen Klimaschutzmaßnahmen reichen nicht aus.
Eva Jähnigen: Ich teile die Sorge. Wir müssen schneller werden, um den Klimawandel noch in einem verträglichen Maß zu halten. Das ist auch ein Grund, weshalb ich als Bürgermeisterin angetreten bin: um den Prozess neu aufzusetzen.
Welche Folgen hat der Klimawandel für die Menschen in Dresden?
Bläul: Ich sehe nicht in erster Linie das Wetter in Dresden. Ich gehe davon aus, dass wir hier Versorgungsprobleme bekommen. Die Industrie wird Lieferkettenprobleme bekommen, wenn es irgendwo auf der Welt ein Extremwetterereignis gibt. Die Lebensmittelvielfalt wird deutlich abnehmen. Denn wenn wir in Sachsen auf dem Land durch anderes Klima weniger anbauen können, betrifft das natürlich auch die Menschen in der Stadt.
Jähnigen: Das Problem ist ja: Wenn uns der Klimawandel trifft, ist es zu spät. Dann können wir nicht mehr gegensteuern. Und wir sehen die ersten Folgen bereits jetzt im Stadtklima. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren eine Erwärmung um etwa 1,6 Grad Celsius mitgemacht. Es gibt weniger Regen in der Vegetationszeit – und dafür zwischendurch Starkregen. Das Hochwasser in diesem Winter fand zu einer sehr ungewöhnlichen Zeit statt. Früher wäre das ein klassisches Frühjahrshochwasser gewesen. Das alles bringt viele Probleme mit sich: Natürlich beeinflusst das unsere Lebensmittelversorgung. Es gibt mehr Gesundheitsgefahren, beispielsweise durch die Hitze im Sommer. Und auch unsere Wasserversorgung in den Dürrephasen ist eine wichtige Frage.
Das klingt dramatisch. Herr Bläul, tut die Stadt genug, um den Klimawandel aufzuhalten?
Bläul: Die Stadt ist natürlich nicht alleine verantwortlich. Auch die Bevölkerung und die Wirtschaft spielen eine Rolle. Das Ganze ist ein Wechselspiel. Und ich erlebe, dass da irgendwie alle einfach nur aufeinander warten. Wir gehen höchstens kleine Schritte – ignorieren aber das große Ganze.
Was meinen Sie damit?
Bläul: Wir machen nur das, was bequem ist. Mal einen Baum pflanzen, zum Beispiel. Klar ist auch das wichtig für die Stadtbewohner, aber es wird eben die CO2-Emissionen nicht drastisch reduzieren. Genau das müssen wir aber tun. Wir müssen dafür an die großen Themen ran. Also zum Beispiel das Thema Energie: Wärme, Strom. Und natürlich Mobilität. Die Stadt muss mehr Anreize schaffen, dass sich die Menschen CO2-ärmer bewegen.
"Klimaschutzkonzept ist fertig"
Frau Jähnigen, es sollte eigentlich längst ein Klimaschutzkonzept der Stadt geben, in dem ein Weg aufgezeigt wird, wie Dresden bis 2035 klimaneutral werden kann. Wo bleibt es?
Jähnigen: Wir haben bereits seit 2013 ein Klimaschutzkonzept. Und auch die Fortschreibung des Konzepts, die Sie jetzt meinen, ist fertig. Sie ist aber noch nicht öffentlich: Nach der abschließenden Abstimmung zwischen den Beigeordneten wird sie dem Oberbürgermeister in den nächsten Tagen zur Bestätigung vorgelegt. Im Frühjahr sollte der Stadtrat das Konzept öffentlich beraten können.
Warum hat es so lange gedauert?
Jähnigen: Wir hatten einen Auftragnehmer beauftragt und es hat sich herausgestellt, dass er kein Dresden-spezifisches Konzept erstellen kann. Das hatte uns zurückgeworfen. Nun haben wir das Konzept in der Stadtverwaltung selber geschrieben – was die Umsetzung erleichtern wird.
Was steht drin: Wie will die Stadt das Ziel erreichen?
Jähnigen: Im neuen Konzept haben wir 50 weitere Maßnahmen zu denen des bisherigen Konzeptes entwickelt. Wir setzen auf die genannten Fragen: die Infrastruktur, die Wärmeplanung in der Stadt. Parallel arbeiten wir mit Sachsen-Energie zusammen, die natürlich ihr Fernwärmenetz dekarbonisieren muss. Da gibt es bereits ein Konzept, mit dem Ziel, das Unternehmen bis 2045 klimaneutral zu machen. Mittlerweile gibt es einen Auftrag an den Vorstand, das zur Umsetzung bis 2035 zu beschleunigen. Wir klären in diesem Jahr in der Dresdner Wärmeplanung die Frage, wie die Menschen versorgt werden sollen – insbesondere die, die nicht am Fernwärmenetz hängen. Wir schauen: Was ist mit Wasserstoff? Und wir fragen uns: Wie können wir die Bürgerinnen und Bürger sowie Gewerbetreibende und Unternehmen in der Stadt beraten, dass die Umstellung auch klappt.
Konkret werden dafür Großwärmepumpenprojekte für die Fernwärmeversorgung untersucht. Erste Projekte zur Wärmeeinspeisung durch Abwärmenutzung aus dem Rechenzentrum der TU Dresden und eine Solarthermieanlage in Räcknitz werden bereits umgesetzt. Darüber hinaus unterstützen wir z. B. die kombinierte Nutzung von Solarenergie, oberflächennaher Geothermie und Luftwärme in einem innovativen "kalten Nahwärmenetz" im Stadteil Strehlen. Neben Energie und Wärme ist natürlich Verkehr ein großes Thema.
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Was ist da geplant?
Jähnigen: Parallel zum Klimaschutzkonzept wird der Mobilitätsplan 2035 erarbeitet. Deshalb planen wir keine separaten Maßnahmen im Klimaschutzkonzept. Unser Ziel dort muss aber sein, 75 Prozent des Verkehrs durch Verkehrsarten des Umweltverbundes abzudecken – also zu Fuß, mit dem Rad und dem ÖPNV. Das muss attraktiver werden. Zurzeit liegen wir da bei 67 Prozent. Eine große Baustelle ist bei uns da noch der Pendlerverkehr: Wir liegen bei 26 Prozent über den Umweltverbund, im Gegenzug nutzen 76 Prozent der Pendler den Pkw.
Jähnigen: Die Planung der Radschnellwege ins Umland ist wichtig, aber auch reguläre Radwege müssen in der Stadt konsequent ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Rad-Abstellanlagen, wollen für mehr Sicherheit des Rad- und Fußverkehrs sorgen und mehr Carsharing-Angebote und Elektroladesäulen schaffen.
Gibt es Sanktionen, wenn die Stadt ihre Ziele aus dem Klimaschutzkonzept nicht einhält?
Jähnigen: Es ist generell so, dass städtische Konzepte nicht sanktioniert werden. Aber Dresden beteiligt sich an der EU-Mission "100 kluge und klimaneutrale Städte bis 2030" und möchte so als Vorreiterstadt zusätzliche Förder- und Entwicklungsmöglichkeiten für Industrie und Wirtschaft generieren. Deshalb definieren wir im neuen Energie- und Klimaschutzkonzept die Schritte, mit denen wir frühzeitig die Klimaneutralität erreichen können – und unsere Energieversorgung unabhängig von fossilen Energieträgern absichern können.
"Wir müssen die Angst vor der Veränderung überwinden"
Herr Bläul, stellt Sie das zufrieden?
Bläul: Was ich höre, klingt zwar ganz gut. Aber ich mache mir große Sorgen, ob es am Ende auch wirklich umgesetzt wird. Ganz wichtig ist dabei für mich die Öffentlichkeitsarbeit. Wenn den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt klar ist, dass es sehr, sehr teuer wird, wenn sie weiter fossil heizen und sich weiter fossil fortbewegen, dann steigen sie hoffentlich bereitwillig um. Ich glaube, niemand zahlt absichtlich mehr und schadet dem Klima. Vielen ist der andere Weg nur gar nicht so bewusst. Wir brauchen mehr Werbung für einen positiven Wandel.
Jähnigen: Da habe ich die Gegenfrage: Herr Bläul, haben Sie denn das Gefühl, dass Sie mit Ihren Aktionen die Leute erreichen?
Bläul: Wir bekommen häufig spontane positive Rückmeldungen und manchmal sogar Geschenke. Meistens gebe ich den Menschen bei unseren Protesten Flyern mit unseren Kontaktdaten mit. Und oft entsteht dann im Nachhinein ein gutes Gespräch.
Vor Ort ist es sehr schwierig, konstruktive Gespräche zu führen. Aber das ist auch nicht meine Erwartung. Die Straßenblockaden sind eine Konfrontation, um die Verdrängung vom Thema Klima zu durchbrechen. Und ich möchte eigentlich, dass die Leute Bock darauf haben – nicht, dass es Bockigkeit hervorruft. Ich mache das mal konkret an einem Beispiel. Ich habe das Gefühl, dass es viele Leute gibt, die sagen, sie würden ja mit dem Rad fahren – aber sie fühlen sich an bestimmten Kreuzungen nicht sicher. Aber dabei belassen sie es. Dabei hätte doch jeder die Chance, beispielsweise eine Mail an den Stadtbezirksbeirat zu schicken. Oft warten Menschen ab, bis jemand anderes ihr Problem regelt. Das fällt mir schwer, zu verstehen. Uns stehen viele Wege der aktiven Teilhabe offen. In einer Gemeinschaft wie der Klimabewegung können wir die Angst vor Veränderungen überwinden.