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In Dresden entsteht ein zweiter jüdischer Landesverband

Eine Rabbinerin aus Leipzig und zwei Rabbiner aus Dresden erweitern das Angebot an jüdischem Leben in Sachsen. Ein Grund dafür ist der Krieg in Israel, mit dem wachsenden Antisemitismus.

Von Andreas Weller
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Rabbiner Akiva Weingarten geht erneut einen überraschenden Schritt, der das jüdische Leben in Dresden und ganz Sachsen verändern wird.
Rabbiner Akiva Weingarten geht erneut einen überraschenden Schritt, der das jüdische Leben in Dresden und ganz Sachsen verändern wird. © René Meinig

Dresden. Seitdem Akiva Weingarten in Dresden arbeitet, verändert er die jüdische Kultur in Dresden. Er ist als Rabbiner der Gemeinde am Hasenberg gestartet, bevor er seine eigene Gemeinde - die jüdische Kultusgemeinde, mit der Synagoge am Alten Leipziger Bahnhof - gegründet hat.

Jetzt gründen Weingarten, die Leipziger Rabbinerin Esther Jonas-Märtin und der Rabbiner Shneor Havlin von der orthodoxen jüdischen Gemeinde Chabad Lubawitsch an der Tiergartenstraße in Dresden einen zweiten Landesverband. Was das bedeutet.

Drei Landesrabbiner gewählt

In vielen anderen Ländern ist es üblich, dass es mehrere Gemeinden und auch mehrere Landesverbände gibt, stellen die Gründer des zweiten jüdischen Landesverbands in Sachsen fest. Auch in Deutschland gibt es in einigen Bundesländern mehrere Verbände.

Was ungewöhnlich ist: Während in den anderen Landesverbänden vor allem eine jüdische Strömung dominiert, soll dieser Verband mehr Vielfalt des Judentums abbilden. Havlin ist orthodox, Jonas-Märtin gilt als konservative Masorti-Rabbinerin, Weingarten sieht seine Gemeinde als liberal, egalitär. Die jüdische Gemeinde am Hasenberg ist liberal, konservativ und mit der Vorsitzenden Nora Goldenbogen im bestehenden Landesverband ist diese Strömung bereits vertreten.

Eigentlich sei der Verband bereits vor einer Weile gegründet worden. "Wir haben es bisher aber nicht öffentlich gemacht", erklärt Weingarten. "Jetzt haben wir unsere drei Landesrabbiner gewählt." Das sind Rabbinerin Jonas-Märtin, die in Leipzig das jüdische Lehrhaus "Beth Etz Chaim" mit initiiert, die Rabbiner Havlin und Weingarten aus Dresden.

Zur Veröffentlichung für den "Landesverband der jüdischen Gemeinden und Einrichtungen" wurde bewusst dieser 9. April ausgewählt, erklärt Rabbinerin Jonas-Märtin. Denn im jüdischen Kalender ist es der 1. Nisan, der Monat der Erlösung, in dem einst die jüdischen Vorfahren aus Ägypten auszogen. "Sie sind als freies Volk durch die Wüste gezogen und Moses gab ihnen den Auftrag, alle Strömungen zu erhalten und zu befördern", so die Rabbinerin. "Jüdische Diversität war immer wichtig."

Die gebürtige Leipzigerin Rabbinerin Esther Jonas-Märtin gründet mit zwei Rabbinern einen jüdischen Landesverband.
Die gebürtige Leipzigerin Rabbinerin Esther Jonas-Märtin gründet mit zwei Rabbinern einen jüdischen Landesverband. © Michaela Weber Kommunikation mit
Rabbiner Shneor Havlin von der orthodoxen Dresdner Gemeinde Chabad Lubavitch ist der dritte Mitbegründer des neuen Landesverbands.
Rabbiner Shneor Havlin von der orthodoxen Dresdner Gemeinde Chabad Lubavitch ist der dritte Mitbegründer des neuen Landesverbands. © Veit Hengst

"Einheitssystem erstickt die Eigenständigkeit"

In Deutschland gibt es das sogenannte Einheitssystem. Das bedeutet, dass der Zentralrat der Juden eine zentrale Gemeinde als Mitglied ansieht, der sich andere anschließen können. "Dieses Einheitssystem in Deutschland erstickt die Eigenständigkeit der unterschiedlichen Strömungen", so Weingarten. "Wir brauchen mehr Vielfalt, wie in anderen Ländern. So können wir alle gemeinsam daran arbeiten, jüdisches Leben zu gestalten."

Ziel ist "Zusammenarbeit auf Augenhöhe"

Bisher ist es in Sachsen so, dass der Landesverband vom Freistaat Fördergelder für seine Arbeit erhält. Dieses Geld gelange aber nicht zu allen Gemeinden, sondern nur zu denen, die vom Landesverband offiziell anerkannt sind. "Wir werden künftig auch Fördergelder beantragen", kündigt Rabbinerin Jonas-Märtin an. "Deshalb wird der bestehende Landesverband uns als Konkurrenz sehen und bekämpfen."

Dabei gehe es dem neuen Verband aber nicht um Konkurrenz. "Wir sehen uns als Ergänzung zum bestehenden Landesverband", sagt Weingarten. "Wir wollen kooperieren und haben doch alle ein gemeinsames Ziel: ein aktives jüdisches Leben und dessen Weiterentwicklung."

Über den neuen Verband und eine breitere Verteilung der Förderung soll die Zusammenarbeit der Verbände erreicht werden. "Das ist offenbar notwendig, weil wir bisher ignoriert werden", sagt Rabbinerin Jonas-Märtin. "Wir wollen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und nicht als Bittsteller gesehen werden."

"Es geht auch um die Sicherheit von Juden"

Das Geld werde dringend benötigt, um für die Gemeindemitglieder arbeiten zu können. "Wir haben in Sachsen jetzt vier Landesrabbiner und nur einer wird aus dem Staatsvertrag bezahlt, dazu noch doppelt", erläutert Weingarten. Damit meint er den Landesrabbiner und Militärrabbiner Zsolt Balla aus Leipzig. "Der bestehende Landesverband sieht sich als Inhaber des Judentums", kritisiert Weingarten. "Aber alle Rabbiner leisten die gleiche Arbeit, leiten Gottesdienste, unterrichten, leisten Seelsorge und so weiter."

Der Rabbiner betont. "Es geht auch um die Sicherheit von Juden. Wir leben in einer Zeit, in der jüdische Menschen weltweit attackiert werden. Es geht darum, sie alle zu schützen und nicht nur einen Teil." Auch in Dresden haben jüdische Menschen Angst und gehen deshalb nicht in Synagogen. Obwohl es insgesamt in Dresden noch gut funktioniere, weil Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) ausdrücklich jede jüdische Strömung unterstützt. "In Leipzig ist das nicht der Fall und auch die Landesregierung differenziert da", so Weingarten. Nur wenn alle Strömungen jüdischen Lebens auch in der Politik anerkannt seien, würden deren Gottesdienste auch entsprechend geschützt. Das sei für die Mitglieder aller jüdischen Gemeinden wichtig.

"Deshalb haben wir keine andere Wahl, als diesen Schritt zu gehen", so Weingarten. "Wir müssen für unsere Gemeindemitglieder sorgen und das jüdische Leben insgesamt am Leben erhalten." Das bestätigt auch Rabbinerin Jonas-Märtin, obwohl sie mit "Gegenwind" rechne.