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Warum Wiesbadens Einspruch keine Chance hat

Der DFB muss jetzt entscheiden, ob Dynamos Sieg gegen den SV Wehen regelkonform war. Der Böllerwurf spielt dabei keine Rolle.

Von Daniel Klein
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Schiedsrichter Martin Petersen überprüft am Monitor neben dem Spielfeld die Szene und entscheidet dann: kein Tor.
Schiedsrichter Martin Petersen überprüft am Monitor neben dem Spielfeld die Szene und entscheidet dann: kein Tor. © Lutz Hentschel

Das blanke Entsetzen entlud sich mit einem Schlag gegen die Wellblechverkleidung hinter den Presseplätzen des Rudolf-Harbig-Stadions. Dann legte Nico Schäfer, Sprecher der Geschäftsführung beim SV Wehen Wiesbaden, auch verbal nach: „Da legen wir Protest ein“, rief er laut. Seine Ankündigung war offenbar keine aus der Erregung heraus.

Am Montagvormittag teilte der Deutsche Fußballbund (DFB) mit, dass Wiesbaden „fristgerecht Einspruch gegen die Wertung des Zweitligaduells mit Dynamo Dresden eingelegt“ habe. Die Frist beträgt in diesen Fällen zwei Tage und die Einspruchsgebühr 500 Euro. Nun muss das DFB-Sportgericht entscheiden, ob der 1:0-Sieg der Schwarz-Gelben vom Freitag annulliert wird. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen rund um diesen Fall:

Wie begründet der SV Wehen seinen Einspruch?

Das Zweitliga-Schlusslicht bezieht sich auf den Paragrafen 17, Nummer 2c der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB. Dort heißt es, dass ein Einspruch mit einem „Regelverstoß des Schiedsrichters“ begründet werden kann, „wenn der Regelverstoß die Spielwertung als verloren oder unentschieden mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflusst hat“. Doch was war der Regelverstoß des Unparteiischen Martin Petersen? Wiesbadens Stürmer Manuel Schäffler hatte in der 26. Minute einen Konter mit einem satten Flachschuss erfolgreich abgeschlossen. 

Der Video-Schiri Florian Heft in Köln wies Petersen darauf hin, dass beim Angriff der Dresdner, der dem Konter vorausging, bei einer Flanke von Alexander Jeremejeff der Ball im Toraus war. Das hatte der Assistent an der Seitenlinie übersehen. Petersen entschied nach dem Studium der Videobilder auf Abstoß für Wiesbaden – und damit kein Tor. Das war soweit regelkonform, denn in den „Grundsätzen für den Video-Schiedsrichterassistenten (VAR)“ heißt es unter Punkt 2a, dass zu den „schwerwiegenden übersehenen Vorfällen“ auch zählt: „Ball aus dem Spiel vor einem Tor.“

Was könnte zum Knackpunkt bei der Regelauslegung werden?

Die Frage, ob die Phase zwischen der Jeremejeff-Flanke und Schäfflers Tor eine Spielsituation war. Der SV Wehen verneint das. „Dass Übersehen wurde, dass der Ball bereits im Toraus war, führte zunächst zu einem Vorteil für Dynamo und nicht für uns. Zudem lagen zwischen dem Toraus und der Torerzielung so lange Zeit und so viele Zwischenschritte, dass von einem auch nur entfernten Einfluss auf die Torerzielung keine Rede mehr sein kann, vielmehr ist dies dann aus unserer Sicht ganz klar eine neue Spielsituation“, erklärte Schäfer. Handgestoppt lagen dazwischen 17,7 Sekunden. 

Das ist lang und führte dazu, dass „das ganze Stadion nicht wusste, was da überhaupt überprüft wird“, wie Wehen-Trainer Rüdiger Rehm behauptete – und damit sicher nicht falsch lag. Selbst Dynamo-Trainer Cristian Fiel gab zu, dass er „irgendwann den Linienrichter gefragt“ habe, „was eigentlich los war“.

Andererseits, und das könnte womöglich entscheidend sein, wurde der Konter nicht durch ein Foul oder einen Einwurf unterbrochen, ein Dynamo-Spieler kam zwischenzeitlich auch nicht an den Ball. So gesehen kann man argumentieren, dass es eine Spielsituation war.

Schiedsrichter Martin Petersen diskutiert mit Wiesbadener Spielern über das nicht gegebene Tor.
Schiedsrichter Martin Petersen diskutiert mit Wiesbadener Spielern über das nicht gegebene Tor. © dpa/Robert Michael

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Einspruch Erfolg hat?

Sie ist gering – vor allem deshalb, weil die Schiedsrichter gegen keine Regel verstoßen haben. Allerdings zeigt dieser Fall, dass es bei der Arbeit mit den Videoassistenten immer wieder strittige und kuriose Entscheidungen gibt. Was wäre passiert, wenn Wehen für den Angriff nicht 17, sondern 45 Sekunden gebraucht hätte? Oder sogar eine Minute? Wo liegt da die Grenze? In den Regelwerken gibt es dazu keine Zeitangaben. Und: Wiesbadens Angriff hätte bei einem schnell ausgeführten Abstoß genauso ablaufen können. Deshalb war die Entscheidung vom Freitagabend zumindest unglücklich. Rehm fand sogar: „Was da passiert ist, hat nichts mit Fußball zu tun.“

Wehens Sprecher Schäfer argumentiert mit etwas Abstand sachlich: „Mit der Einführung des VAR wird in Deutschland Pionierarbeit geleistet, sodass es immer wieder zu Anpassungen auf Grund von strittigen Situationen kommen muss. Dies wollen wir mit unserem Einspruch im Sinne des Fußballs erreichen.“

Was sagt Dynamo zu der strittigen Szene?

Der SV Wehen hatte Dynamo bereits vorab über den Einspruch informiert. „Aus unserer Sicht liegt eine regelkonforme Entscheidung des Schiedsrichtergespanns vor, auch wenn das Zustandekommen sicherlich nicht alltäglich war“, erklärte Dynamo-Geschäftsführer Michael Born. Schon unmittelbar nach Spielende war der Tenor bei den Schwarz-Gelben eindeutig. „Dafür ist der Video-Schiri ja da“, erklärte Mittelfeld-Profi Jannis Nikolaou. „Da gibt es keine Diskussionen: Wenn der Ball im Aus ist, dann zählt das Tor nicht.“ Fiel zeigte dagegen Verständnis für die Emotionen von Rehm: „Ich verstehe meinen Kollegen absolut, da hatten wir Glück.“

Wie geht es nun weiter? Wann gibt es eine Entscheidung?

Laut DFB hat „Wehen Wiesbaden nun noch Zeit, seinen Einspruch detailliert auszuführen. Das zuständige DFB-Sportgericht wird dann zu gegebener Zeit über den weiteren Fortgang des Verfahrens entscheiden.“ Juristische Unterstützung erhalten die Hessen dabei auch von Prof. Christoph Schickhardt, dem bekanntesten Fußballanwalt. Der hatte 2011/12 Dynamo im Zuge des Pokal-Ausschlusses vertreten. Über den Einspruch entscheidet in erster Instanz das Sportgericht, in einer möglichen Berufung wäre das Bundesgericht zuständig. Sollte der Einspruch wider Erwarten doch Erfolg haben, würde der DFB wohl ein Wiederholungsspiel ansetzen.

Die Spieler feiern die Führung, einige Fans zündeln, wenig später explodiert im Strafraum ein Knallkörper.
Die Spieler feiern die Führung, einige Fans zündeln, wenig später explodiert im Strafraum ein Knallkörper. ©  dpa/Robert Michael

Warum argumentiert der SV Wehen nicht mit dem Böllerwurf?

Unmittelbar nach dem 1:0-Siegtreffer von Jeremejeff war neben Wiesbadens Torhüter Lukas Watkowiak ein Knallkörper explodiert, der aus dem Dynamo-Fanblock geflogen kam. Der Schlussmann hielt sich minutenlang das linke Ohr, wurde behandelt, die Partie war unterbrochen. Watkowiak machte weiter, was einen Spielabbruch verhinderte. „Wir haben bereits direkt nach dem Spiel gesagt, dass durch solche Vorkommnisse keine Spiele entschieden werden dürfen“, erklärte Schäfer. „Wir sind der Meinung, dass ein darauf gestützter Einspruch gegenüber Dynamo und seinen Fans nicht mit dem Fairplay-Gedanken vereinbar wäre, selbst wenn das Regelwerk ihn hergegeben hätte.“


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