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Wie einsam ist der Landkreis Görlitz?

Vor allem ältere Menschen sind betroffen, Corona verstärkte das Gefühl noch. Der Kreis versucht mit einem großen Netzwerk die Einsamen zu erreichen.

Von Gabriela Lachnit
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Einsamkeit ist keine Frage des Alters.
Einsamkeit ist keine Frage des Alters. © www.plainpicture.com

Die Serie „Raus aus der Einsamkeit“ von Sächsische.de und der Sächsischen Zeitung fand bei den Lesern viel Zuspruch – gerade bei der älteren Generation. Jüngere Menschen müssen seltener in Einsamkeit leben, obwohl einige Beiträge in der Serie belegen, dass auch in jungen Jahren mancher schon seine ersten Erfahrungen mit Einsamkeit macht.

Zum Abschluss der Serie äußern sich Martina Weber, 2. Beigeordnete im Landkreis Görlitz, und Matthias Reuter, Sozialplaner des Landkreises, im SZ-Interview zum Thema.

Einsamkeit ist ein komplexes Thema

Frau Weber, wie schätzt der Landkreis die Situation zum Thema Einsamkeit ein?

Es ist ein schwieriges Thema und auch ein Phänomen, das durch Corona noch einmal aktueller wurde. Wegen der Pandemie gab es viele Kontaktbeschränkungen, vor allem ältere Menschen waren oft allein und gerieten deswegen manchmal schnell in die Einsamkeit. Wir sehen Einsamkeit aber aus einem anderen Blickwinkel, als es vielleicht der Einzelne tut. Vor allem Mitarbeiter in den Sozialbereichen sind hier sehr aufmerksam, denn sie wissen, dass Einsamkeit in vielen Bereichen eine Rolle spielt.

Gibt es Zahlen im Kreis, wie viele Menschen tatsächlich einsam sind?

Martina Weber: Nein, Zahlen gibt es dazu nicht. Einsamkeit zeigt sich nicht als Krankheitsbild, das man so erfassen kann. Einsamkeit ist sehr komplex und vielfältig. Aber wir wissen, dass es eine riesige Dunkelziffer gibt. Viele Menschen wollen nicht darüber sprechen oder sich jemandem im Gespräch öffnen. Es gibt zudem einen ganzen Strauß an Ursachen für Einsamkeit. Deren Wirkung auf einen einzelnen Punkt zu konzentrieren, ist schwierig.

Martina Weber ist die 2. Beigeordnete im Landkreis Görlitz. In ihr Ressort fällt auch das Sozialamt.
Martina Weber ist die 2. Beigeordnete im Landkreis Görlitz. In ihr Ressort fällt auch das Sozialamt. © Landratsamt

Viele Partner kümmern sich um einsame Menschen

Worin sieht der Kreis die Ursachen dafür, dass es hier einsame Menschen gibt?

Martina Weber: Einzelne Ursachen kann man gar nicht herausfiltern. Zudem besprechen wir das Thema Einsamkeit nicht explizit bei den vielen Bereichen umfassenden Gesundheitsreports. Einsamkeit spielt in viele Lebensbereiche und Gesundheitssituationen hinein. Psychische Erkrankungen sind dabei zum Beispiel zu benennen. Manchmal geraten Menschen nach Schicksalsschlägen in ein Dilemma, aus dem sie ohne Hilfe nur schwer wieder herauskommen. Und hier bemerken wir, dass sich die Gesellschaft insgesamt zu wenig Zeit nimmt, füreinander da zu sein.

Wer kümmert sich im Auftrag des Landkreises um einsame Menschen?

Matthias Reuter: Wir sind sensibilisiert für das Thema. Aber man kann eben nicht sagen, dass es die eine Arbeitsgruppe oder das eine Sachgebiet beim Kreis gibt, das sich explizit dem Thema Einsamkeit widmet. Es spielt in so viele Bereiche hinein. Und deswegen gibt es viele Angebote im Kreis, die sich auch gegen Einsamkeit wenden, übrigens sowohl für ältere als auch jüngere Menschen. Ich denke da an das Bündnis gegen Depression und an Selbsthilfegruppen. Der Kreis selbst hat keine eigenen Angebote, aber er leistet Hilfe zur Selbsthilfe, indem er den Rahmen für Hilfen bietet, Angebote vernetzt und sie schafft. Förderprogramme für die Bekämpfung speziell von Einsamkeit gibt es aber nicht.

Martina Weber: Wir geben allein jedes Jahr rund drei Millionen Euro für die offene Kinder- und Jugendarbeit aus. Hier gibt es eine ganze Menge an Angeboten, die die Träger der Kinder- und Jugendarbeit leisten. Sie bieten professionelle und auch niederschwellige Angebote an, die der Förderung von Kindern und Jugendlichen dienen und auch Einsamkeit entgegenwirken. Und es gibt viele Programme, zum Beispiel in Psychiatrie und Suchthilfe, die Gemeinschaft schaffen – und das sorgt für weniger Einsamkeit.

Matthias Reuter: Man darf nicht vergessen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe ein Angebot ist, das jeder freiwillig annehmen kann, aber nicht muss.

Matthias Reuter ist Sozialplaner im Landratsamt Görlitz.
Matthias Reuter ist Sozialplaner im Landratsamt Görlitz. © Landratsamt

Nicht aufs Amt warten, sondern selbst etwas tun

Gibt es im Kreis eine zentrale Anlaufstelle, wo die Hilfen koordiniert werden?

Martina Weber: Die zentrale Anlaufstelle im Landratsamt gibt es nicht. Wir steuern dennoch die Angebote strategisch. Umgesetzt werden sie von ganz vielen Partnern, darunter Gremien des Kreistages, Vereine und Verbände von Ehrenamtlern und freien Trägern, Kliniken, Beratungsstellen und Kommunen. Wir versuchen, alles im Blick zu behalten und analytisch zu schauen: Hier muss vielleicht aktuell reagiert werden, dort braucht ein Träger von Hilfen vielleicht mehr Flexibilität.

Welche Bedeutung kommt den Kommunen zu, Bewohner vor Einsamkeit zu bewahren?

Martina Weber: Eine hohe Bedeutung. Viele Bürgermeister kümmern sich um ein reges Gemeinschaftsleben in ihren Kommunen. Der Seniorenrat des Kreises ist aktiv, es gibt Regionalräte für den Süden und den Norden des Kreises sowie die Stadt Görlitz, denn die Probleme und Befindlichkeiten der Menschen sind unterschiedlich. In den fünf Planungsräumen sind wir im Gespräch mit den Bürgermeistern, um zu erörtern, was gebraucht wird. Wir sehen uns da als Dienstleister, bei Problemlösungen mitzuwirken.

Matthias Reuter: Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dafür müssen mehr Menschen sensibilisiert werden. Auf ein Amt zu warten, ist keine Lösung. Selbst etwas zur Problemlösung zu tun - auch gegen Einsamkeit - muss noch mehr ins Bewusstsein rücken. Angebote dafür sind vorhanden.


Weitere Folgen, die bisher erschienen:

Görlitz: Mama, Papa: Ich bin einsam | Sächsische.de (saechsische.de)

Görlitz: "Einsamkeit ist auch ein Thema für Studenten" | Sächsische.de (saechsische.de)

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