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Debatte um Arbeitspflicht für Migranten im Kreis Görlitz: "Erinnert an Zwangsarbeit"

Landrat Meyer will Flüchtlinge zu gemeinnützigen Jobs verpflichten. Der SPD-Migrationsbeauftragte Joachim Trauboth kritisiert das scharf.

Von Marc Hörcher
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Symbolbild: Die Arbeitspflicht für Flüchtlinge umfasst einfache Tätigkeiten wie Gartenarbeit.
Symbolbild: Die Arbeitspflicht für Flüchtlinge umfasst einfache Tätigkeiten wie Gartenarbeit. © dpa

Ab Sommer soll sie im Landkreis Görlitz eingeführt werden: die Arbeitspflicht für Asylbewerber. Flüchtlinge sollen dann Tätigkeiten bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern sowie den Städten und Gemeinden und den Arbeitgeberverbänden wie Kreishandwerkerschaft, Industrie- und Handelskammer im Dreiländereck nachgehen. Ausgeschlossen bleibt der Einsatz in der Privatwirtschaft.

Dafür sollen sie eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde erhalten - das ist unter dem Niveau des Mindestlohns. Wer ablehnt, dem können Asylbewerberleistungen gekürzt werden.

Landrat Stephan Meyer (CDU) sagte jüngst im SZ-Interview, er erhoffe sich von der neuen Regelung eine größere Akzeptanz bei der Mehrheit: "Die derzeitige Lage ist für alle nicht gut. Die Asylbewerber sitzen in den Heimen, können noch nicht arbeiten, weil sie keinen Sprachkurs haben. Und die Bürger sehen, die jungen, arbeitsfähigen Männer sitzen da und machen nichts. Zugleich reden wir von Arbeitskräftemangel." Insofern sei "die Arbeitspflicht für beide Seiten gut".

Nach aktueller Regelung dauert es grundsätzlich erstmal drei Monate, bis Geflüchtete eine Arbeitserlaubnis erhalten, mit der sie arbeiten oder eine Ausbildung beginnen dürfen.

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Joachim Trauboth, Beauftragter für Migration und Integration der Görlitzer SPD, sieht eine solche Arbeitspflicht für Asylbewerber sehr kritisch. Zwar verstehe er den Druck, unter dem der Landkreis steht - aber in dieser Form, mit einem „nahezu ehrenamtlichen“ Stundensatz, erinnere ihn das Vorhaben an "Zwangsarbeit". Und ohnehin müsse man, wenn es um Tätigkeiten wie Laub harken gehe, ja noch jemanden einstellen, der die Arbeit beaufsichtige.

Zudem könnten solche Landschaftspflegearbeiten bestehenden Unternehmen weggenommen werden. Landrat Meyer hatte deswegen angekündigt, man solle „stärker auf den sozialen Bereich orientieren, wo auch helfende Hände benötigt werden“ - Flüchtlinge könnten etwa bei der Pflege in der Essensausgabe helfen oder Spaziergänge mit Bewohnern unternehmen.

Joachim Trauboth, Integrationsbeauftragter der SPD und Gründer des deutsch-ukrainischen Begegnungszentrums
Joachim Trauboth, Integrationsbeauftragter der SPD und Gründer des deutsch-ukrainischen Begegnungszentrums © privat

Doch bereits jetzt ist der Weg für Flüchtlinge zu einer bezahlten Arbeit langwierig. Trauboth bekommt das mit, kann aus dem Stegreif einige Geflüchtete nennen, die auf der Suche nach Arbeit sind, aber keine finden: Ein ukrainischer Krankenhaus-Helfer etwa wartet bislang vergeblich darauf, dass seine Bewerbungen beantwortet werden. Dabei spricht er bereits Deutsch auf B2-Niveau.

Ein ukrainischer ITler hatte ebenfalls noch keinen Erfolg - bei ihm scheitere es an den Deutschkenntnissen, obwohl in den Firmen meistens Englisch gesprochen werde. Und einem syrischen Friseur sei in der Region nur eine Schwarzarbeit angeboten worden, was der gläubige Muslim als "haram", also unrein ansah und ablehnte. Schließlich zog er mit seiner Familie nach Süddeutschland und fand dort eine legale Beschäftigung.

Der syrische Geflüchtete Malek Alnajem hingegen hat alle Hürden genommen und Arbeit gefunden. Er lebt in Görlitz und betreut in der Chancenwerkstatt Oberlausitz in Markersdorf als Erzieher minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, die an der Grenze aufgegriffen werden. Doch bis er dort arbeiten durfte, war es ein langer Weg. 2015 kam er nach Deutschland, 2016 nach Görlitz. Drei Jahre lang dauerten seine Sprach- und Integrationskurse an der Euroschule, dann folgte ein einmonatiges unbezahltes Praktikum in einem Hort.

Sein erster Vertrag für bezahlte Arbeit trat am 1. April 2019 in Kraft - also rund vier Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland. Alnajem kennt das Datum auswendig, ohne nachzuschauen. Seither ist er nicht mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen - und froh darüber.

Malek Alnajem arbeitet als Erzieher in der Chancenwerkstatt Oberlausitz in Markersdorf. Vorher hat er in einem Hort des DRK in Reichenbach gearbeitet.
Malek Alnajem arbeitet als Erzieher in der Chancenwerkstatt Oberlausitz in Markersdorf. Vorher hat er in einem Hort des DRK in Reichenbach gearbeitet. © SZ-Archiv / Paul Glaser

Für Flüchtlinge, die aus der Ukraine nach Deutschland hergekommen sind, gelten etwas günstigere Rahmenbedingungen: Sie müssen kein Asylverfahren durchlaufen und dürfen bereits mit einer vorläufigen Aufenthaltserlaubnis arbeiten. Dennoch arbeiten bislang nur 20 Prozent der hier lebenden Ukrainer, in anderen EU-Ländern sind es mehr.

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprach das Problem jüngst beim Besuch einer Begegnungsstätte in Dresden an. Es liege nicht an den Menschen aus der Ukraine - die seien top ausgebildet und motiviert. „Nein, wir sind das Problem, unsere Regeln sind das Problem“, sagte er über die Eingliederung der Zuwanderer am deutschen Arbeitsmarkt.

Davon weiß auch Trauboth zu berichten: Ein Hindernis seien die hohen Anforderungen an das Sprachniveau. Viele Arbeitgeber setzen mindestens B2 voraus. Eine weitere Hürde sei die Anerkennung der ukrainischen Berufsabschlüsse in Deutschland - gerade bei den akademischen Jobs, etwa Ärzten und Rechtsanwälten. Und nicht zuletzt hängt es an der fehlenden Kinderbetreuung, da ein Großteil der ukrainischen Flüchtlinge Frauen mit ihren Kindern sind.

So arbeiten im deutsch-ukrainischen Begegnungszentrum, dessen Gründer Trauboth ist, eine Logopädin und vier Diplom-Psychologinnen - alle komplett ehrenamtlich. Gerne würden sie einer bezahlten psychotherapeutischen Arbeit nachgehen, fanden aber bislang keine. Seit Oktober läuft das Programm „Job-Turbo“ der Bundesregierung, das Flüchtlinge schneller auf den Arbeitsmarkt bringen soll. Die Arbeitsagentur soll so den Druck auf alle Geflüchteten bei der Jobsuche erhöhen. D

as sorgt Trauboths Beobachtung zufolge aber eher dafür, dass die Angst bei den Flüchtlingen vor Sanktionen steige - nicht aber für bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Druck, der da ausgeübt werde, sei ungleich höher als auf deutsche Bürgergeld-Empfänger. Im „Job-Turbo“ vorgesehen sind auch berufsbegleitende Sprachkurse. Die ersten sollen ab Ende März stattfinden.