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Heidenaus Verneigen vor den Opfern

Die Stadt gedenkt jährlich am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus. Diesmal ist das konkrete Schicksal besonders mit Heidenau verbunden.

Von Heike Sabel
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Erinnern an und Blumen für die Opfer des Nationalsozialismus in Heidenau am Sonnabend.
Erinnern an und Blumen für die Opfer des Nationalsozialismus in Heidenau am Sonnabend. © Marko Förster

Der Holländer Jan Deremaux schreibt am 1. Januar 1945 in seinem Tagebuch vom Hoffen auf den langersehnten Frieden im neuen Jahr. Er ist an diesem Tag in Heidenau. Als Kriegsgefangener. 26 Tage später befreit die Rote Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Seit 1996 wird der 27. Januar als Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Heidenau erinnert seither immer an diesem Tag auf dem Nord-Friedhof an ganz konkrete Menschen aus der Region.

Selten hatte die Vorbereitungsgruppe der Heidenauer Gedenkveranstaltung so viel Material zur Verfügung wie in diesem Jahr. Das ist dem Tagebuch von Jan Deremaux und der Geschichte nach der Geschichte zu verdanken.

Junge Leute fehlen nach wie vor

Das Tagebuch ist ein einzigartiges Dokument, das hätte irgendwo verschwinden können, wenn der damalige Heidenauer Stadtarchivar Dietmar Diener nicht dessen Wert erkannt hätte. Deremaux hatte nach dem Krieg nach Hause zurückkehren können und kam viele Jahre später, 1997, noch einmal nach Heidenau. Ein Jahr später starb er. Sein Sohn, Diener, Akubiz in Pirna sowie viele in Heidenau und Pirna machten über lange Zeit aus dem Tage- ein gedrucktes Buch. Sie nutzten die Chance und wahrten damit das Andenken an Deremaux und die, die sein Schicksal teilten.

Die Heidenauer Veranstaltung in der Gedenkhalle auf dem Nordfriedhof hat sich mittlerweile etabliert. Sie wird von Menschen verschiedenen Glaubens organisiert und erhielt dafür bereits den Ehrenamtspreis der Stadt.

Das konkrete Schicksal wird vorgestellt und in die Gesamtsituation eingeordnet. Inzwischen gehören bereits einige junge Leute zur Gruppe, die wiederum in den Reihen der Zuhörer nach wie vor fehlen.

Bereits vor Jahren war gefragt worden, woran das liegt, warum zum Beispiel die Schulen die Gelegenheit nicht nutzen - egal, welcher Wochentag gerade ist. Mit der Pirnaer Singegemeinschaft "Harmonie" übernahm diesmal ein großer Chor die musikalische Umrahmung.

Der Krieg im Alltag

Die Tagebuchauszüge von Deremaux beschreiben sehr genau, für welche Firmen in Heidenau, Dohna und Pirna die Kriegsgefangenen arbeiten mussten und wer sie wie behandelt.

Manchmal scheinen die Notizen so normal, dass sie genau dadurch das Schreckliche des Krieges verdeutlichen. Er schreibt zum Beispiel nicht vom Krieg, doch der sei schuld, wenn er festhält: Heute ist meine Tochter ein Jahr alt und ich habe sie noch nie gesehen.

Oder der Sonntagsspaziergang entlang des Stacheldrahtzaunes. Deremaux beschreibt selten seine Gefühle und Emotionen. Er weiß, bewusst oder unbewusst, um seine Worte. Er hat das Tagebuch zunächst für sich und vielleicht seine Familie geschrieben. Dass es ein Zeugnis der Geschichte wird, ahnte er damals nicht. Es birgt bis heute viele Kapitel, die noch nicht endgültig aufgearbeitet sind.

Zum Ende des Gedenkens werden schweigend Blumen niedergelegt. Das erfolgte bisher an den Glocken, nun steht daneben ein Denkmal.

Es zu schaffen, hat der Stadtrat 2019 beschlossen. Auf ihm stehen die Namen derer, denen seit 2002 konkret gedacht wurde. Künftig wird jedes Jahr ein neuer Name ergänzt.

Am Sonnabend gab es keine große Rede zur Einweihung. Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) hatte lediglich wie jedes Jahr zu Beginn kurz gesprochen. Diesmal erinnerte er daran, dass die Welt wieder und immer noch weit weg vom Frieden ist.

Die Hoffnung auf Frieden

Erinnern und gedenken steht auf dem Denkmal als für ein Volk wichtige Kultur. Ihnen folgt Handeln. Ein solches Handeln ist das Heidenauer Denkmal ebenso wie das Erneuern der Gedenkkreuze in Pirna, die an die in der Tötungsanstalt auf dem Sonnenstein umgebrachten Menschen erinnert. Dazu luden am Sonnabend die Aktion Zivilcourage und die Evangelische Studierendengemeinde Dresden ein.

Am 1. Januar 1945 schrieb Deremaux vom Hoffen auf den langersehnten Frieden. Das ist jetzt 79 Jahre her. Viele Menschen haben es am 1. Januar 2024 wieder in ihre Tagebücher geschrieben und sich gewünscht.

Das Buch kann in der Heidenauer Bibliothek ausgeliehen werden.