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Dresden reagiert auf Frust-Brief: Kreis Görlitz muss Hausaufgaben machen

Das Finanzministerium reagiert auf die Kritik und erteilt der Forderung nach einer neuen Gemeindefinanzierung eine klare Absage.

Von Anja Beutler
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Wie der Kreis Görlitz finanziell auf die Füße kommen soll, muss im Landratsamt in Görlitz ausgetüftelt werden.
Wie der Kreis Görlitz finanziell auf die Füße kommen soll, muss im Landratsamt in Görlitz ausgetüftelt werden. © SAE Sächsische Zeitung

Reagiert hat Ministerpräsident Michael Kretschmer schnell: Nur zwei Tage nachdem mehr als 30 Bürgermeister aus dem Kreis Görlitz in einem Brief ihren Frust über die ungenügende Finanzierung der Kommunen bei steigender Belastung kundgetan hatten, gab der Christdemokrat am vergangenen Mittwoch dem MDR ein Statement. Dabei sah er die Schuld für die Misere vor allem beim Bund, der mit neuen Gesetzen die Standards nach oben schraube, was die Gemeinden in Bedrängnis bringe. Auf den eigentlichen Kern der Kritik - die generell ungenügende finanzielle Ausstattung der Gemeinden - ging Kretschmer dabei nicht ein. Das tat auf SZ-Anfrage jedoch jetzt das Finanzministerium in Dresden.

Die Quintessenz aus dem Ministerium lautet: Dass die Gemeinden finanziell zu kämpfen haben, liege nicht am kommunalen Finanzausgleich wie er in Sachsen seit Jahren praktiziert werde. "Was wir jetzt sehen, sind die Auswirkungen der Ukraine-Krise, der Inflation, der wirtschaftlichen Rezession aber auch der Sozialpolitik des Bundes", teilt Ministeriumssprecher Jörg Herold mit. Trotz aller Schwierigkeiten gehe es aber voran: Allein 1,3 Milliarden Euro mehr als noch 2022 stünden den Kommunen 2023 und 2024 als "allgemeine Deckungsmittel" zur Verfügung. Für die beiden Jahre habe die Staatsregierung außerdem "mit zwei Kommunalpaketen reagiert und 330 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt". Diese "Pakete" werden demnächst ihre Wirkung entfalten, hieß es.

Dass der Kreis Görlitz selbst oder die ihn per Kreisumlage finanzierenden Gemeinden ein strukturelles Defizit haben, sieht man in Dresden offenbar nicht. Generell sei die Finanzsituation der Kommunen statistisch gesehen stabil. "Insbesondere die kreisangehörigen Gemeinden haben bis zuletzt erhebliche Überschüsse erwirtschaftet, Schulden getilgt und finanzielle Rücklagen aufgebaut", heißt es weiter. Eine Antwort, die aus dem Finanzministerium schon häufiger zu hören war und die Roland Höhne, Sprecher des Sächsischen Städte- und Gemeindetages im Kreis und Mitinitiator des Briefes, nicht zufriedenstellt: "Diese Angaben zielen auf ganz Sachsen, hier ist die Situation aber eine andere", sagt der CDU-Politiker. Dabei gibt es auch im Kreis Görlitz Kommunen, denen es besser geht und, die höhere Gewerbesteuereinnahmen verbuchen können - Kodersdorf, auch Oderwitz oder Bernstadt gelingt das immer wieder. Auf der anderen Seite gibt es einige Kommunen, die ihren Haushalt kaum oder nicht ausgeglichen bekommen oder konsolidieren müssen - das betrifft einige von Ostritz bis Zittau.

Kreis Görlitz liegt unter dem Schnitt

Im Kreis Görlitz sei die Lage aber seit Jahren schlechter als im Durchschnitt, bedingt unter anderem durch die Grenzlage und hohe Sozialabgaben, die aus der vergleichsweise hohen Arbeitslosenquote und geringeren Einkommen in dieser Region folgten. Zudem kämpfe der Kreis bei verschiedenen Problemen immer schon an vorderster Front - sei es bei der Überalterung der Bevölkerung oder bei der Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest, was zwar für ganz Sachsen wichtig sei, vor allem aber die Ressourcen im Landkreis Görlitz binde. All dies seien Belastungen, die anderswo so nicht aufträten, sagt Höhne. Deshalb habe der Kreis Görlitz seit der Gründung 2008 schon immer die höchste Kreisumlage gehabt und damit eine höhere Belastung der Gemeinden.

Dass der Kreis jetzt aus einem Nottopf über zwei Jahre insgesamt 40 Millionen Euro bekommt, ist aus Dresdner Sicht "Hilfe zur Selbsthilfe". Das Geld soll den Kreis befähigen, die Probleme selbst in den Griff zu bekommen. Da die Hilfsgelder nicht aus dem sächsischen Staatssäckel kommen, sondern aus Mitteln, die eigentlich allen Kommunen und Kreisen im Freistaat zustünden, sei es ein "Gebot der Fairness, dass der Landkreis die von ihm selbst vorgeschlagenen Konsolidierungsschritte nunmehr auch umsetzt oder adäquate Maßnahmen ergreift", heißt es vom Ministerium. Der Kreis könne sich dabei über die vom Freistaat vorgeschlagenen Einsparungen sanieren oder andere Ideen nutzen - sofern diese bis 2028 wirkten.

Dies sieht Roland Höhne skeptisch, weil der Kreis eben wenig eigenen Spielraum für Einnahmen habe - er finanziere sich im Wesentlichen durch die Zuweisungen des Landes und die Kreisumlage. Rabiate Kürzungen, so fürchten vor allem die Linken im Kreistag, kämen einem "Suizid" des Kreises und einer drastischen Einschränkung der Lebensqualität gleich. Ohnehin kommt die Kritik an der Haltung Dresdens aus allen Lagern. So kommentierte der Olbersdorfer Bürgermeister Andreas Förster (parteilos) die Reaktion Kretschmers so: "Die Politik hat sich ideologisiert und orientiert sich völlig unzureichend an der Lebensrealität der Menschen, für die sie gemacht werden soll", meint er. Mit starren und einseitigen Vorgaben verweigerten sich Bund und Land den tatsächlichen Gegebenheiten.