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Verkehrspsychologe: "Autofahrer haben das Gefühl, dass ihnen etwas weggenommen wird"

Autofahrer, die Klimakleber von der Straße zerren, Radfahrer, die Autos den Weg schneiden, Fußgänger, die gegen Radfahrer wettern: Ein Psychologe erklärt, warum es im Verkehr immer wieder zu Konflikten kommt.

Von Sandro Pohl-Rahrisch
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Auf immer mehr Straßen müssen sich Autofahrer den Raum mit Radfahrern teilen. Nicht jeder will das akzeptieren.
Auf immer mehr Straßen müssen sich Autofahrer den Raum mit Radfahrern teilen. Nicht jeder will das akzeptieren. © xcitepress/Finn Becker

Dresden. Fast 100.000 Unfälle und mehr als 16.000 Verletzte hat es im vergangenen Jahr auf Sachsens Straßen gegeben. Hauptursachen waren zu hohes Tempo, Vorfahrtsverletzung und ungenügender Sicherheitsabstand. Nicht nur die zunehmende Anzahl an Fahrzeugen, enge Straßen oder schlecht einsehbare Kreuzungen haben dazu beigetragen. Auch Emotionen fahren mit und verleiten immer wieder zu aggressivem Verhalten. Jens Schade ist Verkehrspsychologe an der TU Dresden und erklärt, wie es zu Konkurrenzsituationen kommt, ob Frauen die gelasseneren Autofahrer sind, und wie der Verkehr - aus psychologischer Perspektive - sicherer gestaltet werden kann.

Herr Dr. Schade, Autofahrer schimpfen über Autofahrer, Radfahrer über Autofahrer, Fußgänger über Radfahrer: Woher rührt die ständige Konkurrenz auf der Straße?

Wir haben einen begrenzten Verkehrsraum. Und je mehr Objekte in diesem Raum unterwegs sind, umso mehr Konflikte gibt es. Das heißt aber nicht automatisch, dass Verkehrsteilnehmer auch aggressiv werden.

Ist diese Konkurrenz mittlerweile politischer bzw. ideologischer Natur geworden?

In Deutschland ist lange Zeit der Autoverkehr gefördert worden. Wirtschaftswachstum konnte nur mit Verkehrswachstum einhergehen, so die damalige Vorstellung. Alles wurde ausgebaut, man muss sich nur die autogerechten Städte im Ruhrgebiet anschauen. In den vergangenen Jahren hat in den meisten Stadtverwaltungen nun ein Paradigmenwechsel stattgefunden – hin zu einer Förderung der ökologischen und stadtverträglichen Verkehrsmittel. Ein Teil des Straßenraums ist umgewidmet worden, unter anderem zu Radwegen. Autofahrer haben in der Folge das Gefühl gewonnen, dass ihnen etwas weggenommen wird. Hinzugekommen ist der Eindruck, dass wenig für sie getan wird – beispielsweise auf der Stauffenbergallee oder der Königsbrücker Straße in Dresden. Wie viele Jahre dort nichts gemacht worden ist. Dadurch entstehen natürlich Konflikte. Das wird sich aus meiner Sicht auch nicht völlig lösen lassen.

Der Verkehrspsychologe Dr. Jens Schade von der TU Dresden forscht unter anderem zur Akzeptanz von Verkehrsmaßnahmen.
Der Verkehrspsychologe Dr. Jens Schade von der TU Dresden forscht unter anderem zur Akzeptanz von Verkehrsmaßnahmen. © privat

Was meinen Sie damit?

Ich gehöre zu einem Jahrgang, in dem es selbstverständlich war, dass man mit 18 seinen Führerschein gemacht hat. Das war ein Ausdruck von Freiheit und Unabhängigkeit. Für junge Leute war es auch ein Ausdruck, sich gesellschaftlich abzuheben. Bei Fridays-for-Future oder Letzte Generation sehen wir heute sehr viele junge Leute, denen umwelt- und klimaverträgliche Mobilität wichtig ist. Ihnen steht nun dieses ältere Klientel gegenüber, das sehr stark autosozialisiert ist.

Platz für alle Verkehrsteilnehmer, alle Interessengruppen wird es nicht geben?

Ich denke, dass man über die Infrastruktur einiges erreichen kann, indem man zum Beispiel den Rad- und Autoverkehr stärker trennt. Für den Autoverkehr hat man es geschafft, eine in sich geschlossene Infrastruktur zu schaffen. Das haben wir beim Radverkehr bei weitem noch nicht erreicht. Haben wir das irgendwann, dann sind zwischen diesen beiden Gruppen viele Konflikte nicht mehr zu erwarten.

Sie sprechen zum Beispiel reine Fahrradstraßen an, die parallel zu Kfz-Straßen verlaufen?

Ich plädiere nicht generell für eine komplette Trennung, das ist unrealistisch. Aber es sollte Abschnitte geben, auf denen ich als Radfahrer erwarten kann, dass kein Auto mein Weg kreuzt – und andersherum. Aus psychologischer Sicht ist das wichtig.

Sie haben selbst gesagt, dass aus Konkurrenz nicht automatisch Aggression wird. Im Fall der Blockaden von "Letzte Generation" haben Autofahrer aber schon des Öfteren Klimakleber von der Straße gezerrt.

Ich denke, hier spielt das Gefühl eine entscheidende Rolle, dass einem etwas weggenommen wird, die Straße in diesem Fall. Ich habe mich in früheren Arbeiten mit der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren befasst. Auch da gab es Übergriffe, allerdings von Autofahrern auf Mautstationen. Maut ist als eine ungerechte Maßnahme empfunden worden, eine Veränderung des Status quo für Autofahrer. Ich denke, diese Gefühle werden bei solchen Demonstrationen in Form von Handlungen sichtbar.