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„Ich bin gespannt, was aus dem Zusammenhalt wird“

Wer kann einkaufen gehen? Solche Hilfsangebote gibt es in der Corona-Krise viele. Die, die es nutzen, sind eher wenige.

Von Susanne Sodan
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Manuela Thomas mit den Türanhängern für Helfer und Hilfesuchende. Die kann man auch telefonisch bestellen.
Manuela Thomas mit den Türanhängern für Helfer und Hilfesuchende. Die kann man auch telefonisch bestellen. © privat

Allein in den vergangenen drei Tagen haben sich 50 neue Helfer angemeldet, erzählt Manuela Thomas. Sie ist Geschäftsführerin des Sozialen Netzwerks Lausitz - und wie die meisten Oberlausitzer gerade zu Hause. Wo sie mit ihren Kollegen die Plattform "Nachbarhelfen.de" erstellt hat. Man kann sich dort als Helfer anmelden oder als Hilfesuchender: wenn man beispielsweise Unterstützung braucht beim Einkaufen, bei der Kinderbetreuung. Oder einfach kurz mit jemandem reden möchte. 

"Der Helferwille ist riesig", sagt Manuela Thomas. Das merkt man auch daran, dass es zahlreiche solcher Nachbarschaftshilfen gibt. Warum Manuela Thomas und ihre Mitarbeiter dennoch eine weitere aufbauen? "Ich fürchte, wir vernachlässigen die, die Hilfe brauchen", sagt sie im SZ-Gespräch. 

Corona-Hilfe - Helfen oder helfen lassen: Vom Einkauf bis zum Mundschutznähen gibt es viele Möglichkeiten. Eine Auswahl.

Frau Thomas, in welcher Lebenssituation treffen wir Sie gerade an? 

Ich bin zu Hause mit meiner kleinen Tochter. Sie lernt gerade Laufen. Auch ganz schön, das jetzt mitzuerleben. 

Sie wäre sonst in einem Kindergarten?

Bei einer Tagesmutter, genau. Wir sind also Betroffene der Kita-Schließung. Ich habe aber das große Glück, dass auch mein Mann zu Hause ist und im Homeoffice arbeitet. So können wir uns in die Betreuung reinteilen. Und zwischendurch haben wir uns zusammen mit meinen Kollegen die Nachbarhelfer ausgedacht. Ansonsten spielen wir ganz viel, versuchen zu laufen, gehen auch mal raus.

Wir waren zum Beispiel tatsächlich auf der Suche nach Toilettenpapier. Wir haben jetzt noch eine Rolle. Und unsere Tochter ist gerade in einer Phase, in der es ihr unheimlich Freude macht, Toilettenpapier abzuwickeln. Ich verbringe also auch ein bisschen Zeit damit, unsere letzte Rolle wieder aufzuwickeln.

Aber Sie können es noch mit Humor nehmen. 

Ich glaube, Humor ist jetzt ganz wichtig, um den Kopf oben zu behalten. Und außerdem, ohne Toilettenpapier kann man sich eben waschen. Viel schwieriger fand ich: Als wir jetzt in der Drogerie waren, war auch eine Frau, die Windeln suchte. Von denen waren auch keine mehr da. Das ist schon komplizierter. 

Sie haben es schon angesprochen, Sie und Ihre Kollegen vom Sozialen Netzwerk Lausitz haben die Zeit daheim genutzt, die Internet-Plattform Nachbarhelfen zu erstellen. 

Mit Nachbarschaftshilfe im weiteren Sinne haben wir schon etwas Erfahrung gesammelt. Wir haben in Weißwasser die Lausitzer Sozialpaten aufgebaut, die Lausitzer Sterne. Als Soziales Netzwerk Lausitz liegt unser Schwerpunkt auf Beratung und Selbsthilfe für Menschen mit psychischen Problemen, chronischen Erkrankungen, Suchterkrankungen. Auf der einen Seite also stehen wir in Kontakt zu vielen, die jetzt vielleicht Hilfe benötigen.

Und auf der anderen Seite haben wir ein großes Reservoir an ehrenamtlichen Helfern, die uns in unserer Arbeit unterstützen. Die Schwierigkeit ist nun aber: Viele unserer Ehrenamtlichen sind selbst Senioren, gehören jetzt also in die Risikogruppe. Das heißt, wir können unser Netzwerk nicht nur auf sie beschränken. Deshalb haben wir eine Plattform erstellt, auf der sich Helfer mit einem kleinen Profil, in dem beispielsweise steht, welche Hilfe sie anbieten möchten, anmelden können, genauso wie Hilfesuchende. Und wir versuchen sie zusammenzubringen.

Es hat sich gezeigt, dass in der Oberlausitz viel Solidarität herrscht, inzwischen haben sich zahlreiche ähnliche Projekte entwickelt, in kleinen Hausgemeinschaften genauso wie etwa die Corona-Hilfen Görlitz, Oderwitz, Löbau, Zittau. Es ist inzwischen fast ein bisschen unübersichtlich. 

Genau. Das ist ein Punkt, um den es uns geht. Deutschlandweit gibt es ganz viele solcher Initiativen, auch über Facebook. Wir wollen das für unsere Region, also die Oberlausitz, ein bisschen kanalisieren. Wir suchen gerade viel in den sozialen Netzwerken und versuchen, auf die Leute, die ihre Hilfe dort anbieten, zuzugehen.

Zum Beispiel haben wir auch mit der Corona-Hilfe Görlitz Kontakt aufgenommen, damit wir sie auf unserer Seite mit verlinken, sie uns auf ihrer. Ein anderer Punkt ist: Der Helferwille ist total groß. Alleine in den vergangenen drei Tagen haben sich 50 neue Helfer angemeldet. Aber ich fürchte, dass wir nach wie vor die vernachlässigen, die Hilfe brauchen. Für viele von ihnen geht nicht alles digital. 

Das hatte auch Jana Krauß von der Corona-Hilfe Görlitz so beschrieben: Wie kommt man an die ran, die Hilfe brauchen? 

Den Punkt sehe ich auch so. Viele in der Risikogruppe sind die Älteren, die vielleicht gar kein Internet oder keine große Affinität zum Internet haben. Deshalb kann man uns zum Beispiel auch anrufen, wenn man Hilfe braucht und wir legen dann ein Profil für die Person an und vermitteln einen Helfer.

Wir haben Türanhänger gestaltet, die man bestellen oder einfach selbst ausdrucken kann, um als Helfer in der Nachbarschaft zu signalisieren, dass man Hilfe anbietet. Genauso gibt es einen Türanhänger für Hilfesuchende, damit die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft auf sich aufmerksam machen können. 

Wie konkret funktioniert das Zusammenbringen über die Plattform? 

Jeder Helfer registriert sich auf unserer Plattform und gibt innerhalb seines Profils an, wo und wie er helfen möchte. Im Profil der Hilfesuchenden auf der anderen Seite erscheint kein Name, sondern nur das Hilfegesuch sowie die Region. Außerdem gibt es bestimmte Kategorien, wie "dringend", "offen" oder dass das Hilfegesuch bereits vermittelt ist, damit Klarheit besteht.

Ein Helfer kann dann für seine Region schauen, welche Hilfegesuche vorliegen und über E-Mail Kontakt aufnehmen. Umgekehrt funktioniert das natürlich genauso. Meistens ist bei den Hilfesuchenden unsere Mailadresse hinterlegt, weil, wie gesagt, wir für sie bisher meist die Profile angelegt haben. Den Kontakt der Helfer geben wir an sie weiter.

Das Soziale Netzwerk Lausitz arbeitet viel mit Menschen mit psychischen Erkrankung zusammen. Was bedeuten soziale Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen - damit auch der Wegfall von Selbsthilfegruppen und Beratungsgesprächen - derzeit für sie?

Die Situation jetzt ist für alle eine, die für Unsicherheit sorgt und sogar Ängste verursacht. Das ist für keinen gerade schön. Ich gehe davon aus, dass sich das auf bestimmte Erkrankungen noch verschärft auswirkt. Wir machen derzeit keine Vor-Ort-Beratungen. Es ist trotzdem sehr wichtig: Da ist jemand, der hört zu. Deshalb bieten wir telefonisch Hilfe an. Wirkliche Nähe können wir im Moment nicht bieten. Aber insgesamt ist mein Eindruck, dass wir trotz Abstand - oder im Abstand - gerade zusammenwachsen. Ich bin sehr gespannt darauf, was aus diesem Zusammenhalt wird, wenn die Corona-Krise vorbei ist. 

Telefon für Nachbarhelfen: 03576-218269

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