SZ + Dynamo
Merken

Die Gründe für Strafbefehle gegen Dynamo-Fans

Nach dem Marsch der Football Army legt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nun Ermittlungsergebnisse vor, auch Dynamo reagiert. Das Verfahren läuft weiter.

Von Daniel Klein & Tino Meyer
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der Auftritt im Mai 2017 sollte martialisch wirken. Für einige hat er nun strafrechtliche Konsequenzen.
Der Auftritt im Mai 2017 sollte martialisch wirken. Für einige hat er nun strafrechtliche Konsequenzen. © Mike Worbs

Die Ereignisse liegen mehr als zwei Jahre zurück. Jetzt wurden die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Marsch der „Footballarmy Dynamo Dresden“, wie es am 14. Mai 2017 einheitlich auf den Shirts der Fans aufgedruckt war, abgeschlossen. 35 Strafbefehle verschickte das Amtsgericht Karlsruhe – mit in einigen Fällen empfindlichen Strafen.

Das Thema ist ein hochemotionales, am Montag lud Dynamo deshalb Journalisten zum Hintergrundgespräch, die Staatsanwaltschaft Karlsruhe verschickte eine Pressemitteilung. Die SZ ordnet die Fakten und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum ist dieser Fall so besonders?

Straftaten in Zusammenhang mit Fußballspielen werden fast immer aus einer Masse heraus begangen. Die einzelnen Täter zu identifizieren, ist nur schwer möglich. Dies war auch in diesem Fall so. Trotzdem wurden bereits 35 Strafen verhängt, zehn weitere Ermittlungsverfahren laufen laut Staatsanwaltschaft noch, die Gesamtzahl könnte sich also auf 45 erhöhen.

An dem Fanmarsch hatten laut Behörden rund 2 300 Fans teilgenommen. Den meisten der Beschuldigten wurde der Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Uniformverbot angelastet. Demnach ist es untersagt, in der Öffentlichkeit Uniformen oder uniformähnliche Kleidung zu tragen, wenn dadurch eine gemeinsame politische Gesinnung ausgedrückt werden soll. An der Spitze des Marsches trugen die Teilnehmer ein Transparent mit der Aufschrift „Krieg dem DFB“. Konnten die Ermittlungsbehörden jemandem nachweisen, dass er den Marsch mitorganisiert hatte, reichte das bereits für einen Strafbefehl.

Warum fallen die Strafen so hoch aus?

Bei dem Marsch wurde Pyrotechnik gezündet, wodurch mehrere Einsatzkräfte ein Knalltrauma erlitten. Gegen sechs Verdächtige wurde deshalb auch wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. „Diese Personen sind hinreichend verdächtig, den Einsatz der Pyrotechnik mitgetragen und organisiert sowie die eingetretenen Verletzungen der eingesetzten Polizeibeamten als möglich erachtet und billigend in Kauf genommen zu haben“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Man spricht dabei im Amtsdeutsch von „physischer und psychischer Beihilfe“. Gegen diese Beschuldigten wurden Freiheitsstrafen zwischen sechs und zwölf Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt sind.

Die Geldstrafen reichen von 900 bis 10.000 Euro, berechnet nach Tagessätzen, deren Höhe wiederum abhängig ist vom Einkommen des Beschuldigten.

Welche Folgen hat das für die Täter?

Wer zu mehr als drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird, gilt als vorbestraft. Und das hat Konsequenzen – etwa, wenn es zu weiteren Straftaten und Verurteilungen kommen sollte. Dann erhöht sich das Strafmaß. Außerdem wird es in das Führungszeugnis eingetragen und erst nach drei Jahren gelöscht.

Bei den Geldstrafen sind 90 Tagessätze, die die meisten Beschuldigten erhielten, eine Obergrenze. Nur wer zu mehr verurteilt wird, gilt als vorbestraft.

Sind die Strafen angemessen?

Dynamo und das mittlerweile gegründete Solidaritätskomitee Dynamo, ein Fan-Zusammenschluss zur Unterstützung der Beschuldigten und Verurteilten, verneinen das klar – weil keinem die direkte Beteiligung an einer Körperverletzung nachgewiesen werden konnte.

Fakt ist aber auch: Es kam in Karlsruhe zu Straftaten, es gab Verletzte, und nun wurden die Organisatoren des Fanmarsches verurteilt – nach langwierigen und auch finanziell aufwendigen Ermittlungen. Der damalige Sprecher der Karlsruher Staatsanwaltschaft, Tobias Wagner, hatte den Aufwand im März 2018 als „absolut angemessen“ verteidigt. Und auch der Strafrichter am Amtsgericht Karlsruhe hatte keine Bedenken, die 35 Strafbefehle auszustellen. Selbst die Beschuldigten akzeptieren das, wenngleich sie es nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen wollen.

Wieso wird kein Einspruch eingelegt?

Die Frist dafür beträgt zwei Wochen, danach gelten die Strafbefehle als Urteile und sind rechtskräftig. Bei zehn Tätern ist dies laut Staatsanwaltschaft bereits der Fall. Bei Weiteren, darauf haben sich Beschuldigte und deren Anwälte bei einem Verteidigertreffen geeinigt, soll das genau so sein.

Der Grund sind die hohen Kosten verbunden mit den unsicheren Erfolgsaussichten. Ein Einspruch würde in Karlsruhe verhandelt werden, rund 600 Kilometer entfernt. Anwälte aus Dresden würden anreisen, Zeugen geladen, mehrere Verhandlungstage zusammenkommen. Dieser finanzielle Aufwand stehe in keinem Verhältnis, heißt es vom Solidaritätskomitee. Auch einige der Anwälte hätten die Empfehlung gegeben, die Strafe anzunehmen, selbst wenn die Beschuldigten mit der Art und Weise der Ermittlungen sowie auch dem Zustandekommen der Urteile nicht einverstanden seien.

Kommt es zu einer Hauptverhandlung, ist es außerdem möglich, dass der Richter eine höhere Strafe verhängt als von der Staatsanwaltschaft beantragt.

Das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Dresden abzugeben, um Reisekosten zu sparen, so wie es beispielsweise die Kollegen in Magdeburg nach den Vorfällen am Rande des Aufstiegsspiels am 16. April 2016 getan hatten, lehnen die Karlsruher ab. „Dafür sind die Verfahren einfach zu umfangreich“, erklärt der Staatsanwalt Mirko Heim auf SZ-Nachfrage.

Was ist mit den anderen Beschuldigten?

90 Verfahren gegen Unbekannt hatten die Karlsruher Ermittler bereits vor längerem eingestellt, weil die Identifizierung unmöglich ist. Nach den Hausdurchsuchungen im Dezember 2017, bei denen 400 Einsatzkräfte Speichermedien wie Laptops, Computer, Smartphones sowie 300 Pyrotechnik-Artikel, eine Gummigeschosswaffe und einen Schlagring beschlagnahmten, wurde gegen 58 Fans ermittelt. 35 erhielten bereits einen Strafbefehl, zwölf Verfahren wurden eingestellt, zehn laufen noch.

Beim Solidaritätskomitee hat man indes die Befürchtung, dass der brisante und auch unter politischem Druck sehr akribisch aufgearbeitete Fall längst nicht abgeschlossen ist.

Warum unterstützt Dynamo die Täter?

Das macht der Verein nicht, zumindest nicht direkt. Darauf legt Dynamo großen Wert, denn das würde dem Satzungszweck widersprechen. Allerdings nutzt Dynamo seine geballte Öffentlichkeitswirksamkeit, um das Anliegen des Solidaritätskomitees zu unterstützen.

Demnach sollen sämtliche Kosten (Anwälte, Strafen) durch verschiedene Spendenaktionen eingesammelt und erstattet werden. Von den schätzungsweise benötigten 290.000 Euro sind bislang 111.000 zusammengekommen. Einhelliger Tenor dabei, den Dynamo samt Geschäftsführung und Profiabteilung mitträgt, und der zugleich als erster Grundsatz im Vereinsleitbild steht: „Wir sind eine Gemeinschaft.“

Welche Konsequenzen ziehen die Ultras?

Intern ist man in der aktiven Fanszene zum Schluss gekommen, bei dem Marsch, wie einer der Beteiligten sagt, „von der Tapete bis zur Wand gedacht“ zu haben, und zwar aus Unkenntnis des Uniformverbots und weil es bislang auch keine vergleichbaren Fälle gibt. Die Konsequenzen der Ultras: Sie werden keine T-Shirt-Aktion mehr initiieren und erst recht nicht bewerben.