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Der Fall des Dresdner CSD-Chefs – Eine Recherche

Sex mit Schutzbefohlenen wird dem Landeskoordinator für queere Flüchtlinge vorgeworfen. Der weist das zurück und sieht im Sozialamt den Quell einer Intrige.

Von Ulrich Wolf & Julia Vollmer
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CSD-Chef Ronald Zenker.
CSD-Chef Ronald Zenker. © SZ

Die Farben des Regenbogens leuchten überall auf dem Altmarkt in Dresden. Auf Fahnen und Shirts, an Ohrringen und Halsketten. Die Landeshauptstadt feiert an diesem ersten Juni-Wochenende den Christopher Street Day, eine Parade für Toleranz. „Lieb doch, wen du willst“, ist auf Transparenten zu lesen, oder schlicht: „Wir trauen uns“. Sachsens Integrations- und Gleichstellungsministerin Petra Köpping eröffnet das Fest. An ihrer Seite auf der Bühne: der Vorstandssprecher des Dresdner Christopher-Street-Day-Vereins (CSD), Ronald Zenker.

Es hat in den vergangenen Jahren CSD-Partys gegeben, die waren deutlich besser besucht. An diesem 1. Juni aber tun sich vor der Bühne Lücken auf. Auch in den sozialen Netzwerken bleibt es relativ ruhig. Lag das am sommerlichen Freibad-Wetter? Oder eher an den jüngst aufgetauchten Vorwürfen gegen Dresdens CSD-Macher Ronald Zenker? Deren Kurzformel lautet: Aufforderung zum Sex mit Anvertrauten. Zenker weist das vehement zurück. Er ist überzeugt: „Gegen mich läuft eine Intrige.“ Bislang ist weder das eine noch das andere bewiesen.

Der 46-Jährige ist nicht nur seit 2011 im Vorstand des CSD-Vereins. Er hat den damals finanziell darniederliegenden Christopher Street Day in Dresden nicht nur zu internationaler Großartigkeit geführt und sich damit viel Respekt verschafft. Zenker ist nicht nur bestens vernetzt mit Politik und Wirtschaft der Landeshauptstadt. Er hat nicht nur Sponsoren gefunden und überaus erfolgreich Lobbyarbeit betrieben. Er ist zudem seit Ende 2015 verantwortlich für das beim CSD Dresden angesiedelte Projekt „Landeskoordinierungsstelle Sachsen für queere Geflüchtete“.

Tatsächlich gab es für die Vorwürfe bislang nur wenig Haltbares: Im Februar 2019 meldeten sich zwei Geflüchtete auf dem Dresdner Sozialamt, sie seien von Zenker und anderen zum Sex genötigt worden. „Belege dafür konnten sie allerdings nicht anführen“, teilt die Pressestelle der Stadt mit. Sie seien auch nicht zur Polizei gegangen. „Insoweit war dieser unbegründete Vorwurf nicht weiter von Relevanz.“

Ronald Zenker (im grauen Shirt) bei der Eröffnung des Christopher Street Day (CSD) am vergangenen Wochenende in Dresden. Mit dabei auch Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (rechts), deren Ministerium den CSD-Verein seit Jahren unterstützt.
Ronald Zenker (im grauen Shirt) bei der Eröffnung des Christopher Street Day (CSD) am vergangenen Wochenende in Dresden. Mit dabei auch Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (rechts), deren Ministerium den CSD-Verein seit Jahren unterstützt. © SZ

Nun aber hat sich ein weiterer Flüchtling gemeldet. Er wolle auspacken, betont er in einem Dresdner Café. So viele Flüchtlinge hätten Sex mit Zenker gehabt. Sie würden aber nicht darüber reden, aus „Angst vor Konsequenzen“. Den jungen Mann nennen wir Luca K. Das ist nicht sein richtiger Name.*

Luca sagt, er stamme aus Syrien, sei 18-jährig 2015 über die Balkanroute geflohen und in Dresden gelandet. Er habe die erste Zeit in der Erstaufnahmerichtung in der Hamburger Straße zugebracht, in einem nicht abschließbaren Zimmer mit vier anderen Männern. „Dass ich sexuell anders veranlagt bin, das konnte ich dort niemandem anvertrauen.“ Erst im Sommer 2016 habe er Kontakt zum CSD bekommen.

An Eides statt versichert Luca, er sei einige Tage nach dem Erstkontakt mit Zenker in dessen Auto zu einer Sozialwohnung in die Dresdner Südvorstadt gefahren. „Als wir in der Wohnung waren, sagte er mir, dass ich schön sei. Wir hatten dann Sex. Ich war schockiert. Und ich wusste nicht, was ich tun soll. (…) Ich habe das gemacht, weil ich Angst hatte, dass er mir nicht hilft, wenn ich das nicht mitmache.“ Der syrische Flüchtling formuliert schriftlich: „Bis jetzt denke ich, dass es falsch war. Aber er hat es falsch gemacht. Nicht ich.“

Luca K. führt weiter aus, wenn man neu zum CSD komme, sage Zenker, „ich helfe dir, und dann passiert das Gleiche“. Nur selten hätten schwule Flüchtlinge sich Zenker verweigert. „Zu mir hat er gesagt, ich darf das nicht sagen, dass wir uns treffen, denn niemand müsse das wissen.“ Anderen Flüchtlingen habe Zenker „Geld und Essen und eine Wohnung“ besorgt. „Dafür hatten sie Sex mit ihm. Er half nicht, wenn sie nicht mitmachten.“ Luca zufolge mag Zenker „junge schwule Männer am meisten“.

Zenker bestreitet die Vorwürfe

Der so Beschuldigte reagiert entsetzt darauf. Zenker weist die Vorwürfe entschieden zurück. In einer Pressemitteilung des Vereins vom Montag heißt es, „ich habe weder sexuelle Handlungen zur Voraussetzung für die Unterstützung für Geflüchtete gemacht, noch habe ich eine Unterstützung aus diesen Gründen versagt“. Im Gespräch mit der SZ sagt er, er habe dem sächsischen Sozialministerium bereits Mitte Mai ebenfalls eidesstattlich versichert, die Vorwürfe seien unwahr.

Zenker betont, viele vom CSD betreute Flüchtlinge brächten ihm „aus Dankbarkeit Blumen und Kuchen vorbei“. Er ist überzeugt: „Das alles ist eine Neid-Intrige.“ Ihr Auslöser sei das Dresdner Sozialamt. Eine Sachgebietsleiterin dort „schießt alles zusammen“, was die CSD-Arbeit betreffe. Gedeckt werde sie von der Amtsleiterin und einem Abteilungsleiter. Die hätten die Verwaltung nicht im Griff. Er könne belegen, dass etwa die Caritas Geld kassiere vom Sozialamt für Flüchtlingswohnungen, die die Hilfsorganisation gar nicht mehr verwalte. „Weil ich das alles weiß und noch einiges mehr, geht es nur darum, den Zenker endlich loszuwerden.“

Außerdem arbeite der CSD-Verein viel effektiver in der Flüchtlingsarbeit als die meisten anderen. „Ich bin halt Unternehmer. Da ist blanker Neid im Spiel.“ Er habe jedenfalls Strafanzeige gestellt wegen Verleumdung und übler Nachrede. „Unter anderem gegen Mitarbeiter des Sozialamts.“ Die Behörde wiederum teilt mit, über eine derartige Anzeige lägen ihr keine offiziellen Erkenntnisse vor.

Zenker, der Unternehmer. Sein BWL-Studium in Dresden beendet er 1994 ohne Abschluss. Er macht stattdessen eine kaufmännische Ausbildung in einem Holzfachhandel, gründet zudem eine eigene Bauservicefirma. Später wird er Auslandsvertriebsleiter für eine Holzfirma, zieht nach Wien. Dort outet er sich 2007 als homosexuell, pendelt zwischen Österreich und Sachsen. Er trennt sich von seiner Frau, die Scheidung ruiniert ihn finanziell. Von 2009 bis 2015 muss er durch eine Privatinsolvenz. „Der CSD war mein Ausgleich“, sagt Zenker. Er habe seine Kraft dort hineingesteckt. Dresdens Nachtklubkönig Wolle Förster urteilt, dieser Mann habe das „lahmarschige Dresden auf Trab gebracht“.

Seit 2014 ist Zenker wieder verheiratet, mit einem Mann. Die Tochter aus der ersten Ehe lebt bei dem homosexuellen Paar. Sein Lebensgefährte führt die Geschäfte im Fischrestaurant „Alberthafen“, das zur Dresdner Firmengruppe Hein Mück gehört. Die hat ihren Sitz nahe dem Dresdner Hauptbahnhof. Dort, in der Zwickauer Straße, lebt Zenker mit seinem Mann, dort ist auch der derzeit 102 Mitglieder zählende CSD-Verein gemeldet. Und dort wollte Zenker für rund 1,5 Millionen Euro ein Heim für schwule, lesbische und transsexuelle Flüchtlinge bauen, mit den Hein-Mück-Chefs als Investoren. Die Stadt Dresden lehnte das Ansinnen ab. Aus fachlicher Sicht bestehe seitens des Sozialamts kein Interesse an einem Neubau für queere Flüchtlinge, hieß es.

Luca K. weiß von all den Streitereien nichts. Er betont, schon zu Beginn, beim ersten Kontakt mit dem CSD, habe er diverse Papiere unterschrieben. „Die Schreiben waren auf Deutsch. Ich wusste aber nicht, was dort drinsteht.“ Zenker habe gesagt, die Papiere seien wichtig, weil „er damit etwas für mich machen kann“.

Die Rede ist von Vollmachten. Wer solche unterschreibt, begibt sich in große Abhängigkeit. Einerseits. Andererseits können sie hilfreich sein, etwa im Umgang mit dementen Menschen. Der Bevollmächtigte kann dann ihre Angelegenheiten regeln, bei Behörden, Justiz, Geld, Post, Bank. „Über den Tod hinaus“, so steht es in der CSD-Vollmacht, die der Sächsischen Zeitung vorliegt.

Der Einsatz von Generalvollmachten sei eher unüblich, heißt es beim sächsischen Flüchtlingsrat. Der Dresdner Ausländerrat teilt mit, „selbst begrenzte Vollmachten nehmen wir nur ungern an“. Das Sozialamt wiederum konstatiert, man habe keinesfalls auf den Einsatz von Generalvollmachten gedrängt. Man sei „in eine etwaige Vollmachterteilung“ beim CSD „nicht involviert“, das sei „eine privatrechtliche Angelegenheit“. Herr Zenker sei allerdings aufgefordert worden, die Vollmachten zu überarbeiten.

Was ist dran am Abschiebeskandal?

Das ist geschehen. Die Passagen zu den Finanzen seien gestrichen worden, sagt Zenker. Der Text werde den Flüchtlingen mündlich übersetzt, auch schon in der Vergangenheit. „Bis jetzt“, sagt Zenker, „fanden das alle total toll mit den Vollmachten. Sogar das Bundesamt für Migration.“ Auch deshalb habe der CSD ja so effizient gearbeitet. Es sei das Dresdner Sozialamt gewesen, das Anfang 2016 auf die Idee mit den Vollmachten gekommen sei. „Damals noch Einzelvollmachten, ehe wir daraus eine Generalvollmacht entworfen haben.“ Es sei „eine Riesenfrechheit, dass sich jetzt alle auf das Thema Vollmacht stürzen“.

Ähnlich sieht Zenker das Schlüsselthema. Luca K. kritisiert: „Der CSD hat viele Schlüssel, um in die Wohnungen von Geflüchteten zu kommen.“ Aus Kreisen anderer Dresdner Flüchtlingsinitiativen heißt es, Zenker sei unangemeldet in diesen Wohnungen aufgetaucht.

Auch das weist der Landeskoordinator vehement zurück. „Wir haben die Schlüsselverwaltung für derzeit 79 Wohnungen, ja. Und zudem noch Notschlüssel.“ Das sei notwendig, weil die meisten der vom CSD betreuten Flüchtlinge aus Kulturen stammten, in denen man nicht gewohnt sei, Türen abzuschließen. „Aber wir tauchen nirgendwo unangemeldet auf. Das macht nur das Sozialamt.“

Immer wieder das Sozialamt. Zenker deutet an, dass er auch zum sogenannten Abschiebeskandal noch einiges zu sagen hätte. Im vorigen Februar war publik geworden, dass Asylbewerber, die abgeschoben werden sollten, über ihre Abschiebetermine vorab informiert worden waren. Auch das Sozialamt soll involviert sein, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Ein Mitarbeiter, der unter anderem die Vergabe der Wohnungen an schutzbedürftige Flüchtlinge verantwortete und den Zenker als „Fürsprecher“ des Queere-Projekts bezeichnet, musste im Juli 2018 gehen. Das Sozialamt schweigt dazu. Für Zenker ist klar: „Der hat intern die Amtsführung kritisiert, da ging’s auch um die Abschiebungen.“

Mehr als rund 100.000 Euro für den CSD

Über Kreuz liegen der CSD und Zenker nicht nur mit der Behörde, sondern auch mit dem Dresdner Verein Gerede. Dieser unterstützt ebenfalls homo-, bi- und transsexuelle Flüchtlinge. Der Gerede-Verein hat den CSD als Mitglied ausgeschlossen, weil dieser Gerede-Mitarbeiter „gegenüber Kooperationspartnern und Fördermittelgebern wiederholt diskreditiert“ habe, heißt es. Für den CSD-Verein ist das „nicht nachvollziehbar“. Der Christopher-Street-Day-Parade am vergangenen Wochenende jedenfalls blieb der Gerede-Verein fern.

Vielleicht geht es bei all dem auch nur ums Geld. Der Etat für das mehrtägige CSD-Ereignis beläuft sich nach früheren Angaben auf etwas mehr als rund 100.000 Euro. Im Kommunalwahlprogramm 2019 der Dresdner SPD heißt es: „Jedes Jahr ringen wir hart und erfolgreich um einen ausreichenden Zuschuss für den CSD Dresden.“

Von 2017 bis 2019 bezuschusste die Stadt den Verein mit rund 20.000 Euro jährlich. Weitere etwa 20.000 Euro gab es für das CSD-Queere-Projekt. Für das erste Halbjahr 2019 erhielt der Verein 17.000 Euro. Über den Folgeantrag für das zweite Halbjahr ist nach Angaben des Amtes noch nicht entschieden. Die Stadt begründet dies mit einer ab 1. Juli gültigen neuen Struktur in der Migrationssozialarbeit. Nach SZ-Informationen soll der CSD kein Projektgeld mehr erhalten.

Hauptsache bunt: Teilnehmer am 26. Christopher Street Day in Dresden feiern sich, ihre Lebensweisen und größtmögliche Toleranz.
Hauptsache bunt: Teilnehmer am 26. Christopher Street Day in Dresden feiern sich, ihre Lebensweisen und größtmögliche Toleranz. © SZ

Deutlich höher fällt die Förderung aus, die der Verein für das Queer-Projekt aus dem Sozialministerium bekommt. 2016/2017 flossen rund 200.000 Euro, von 2018 bis 2020 sind 463.000 Euro bewilligt. Darin enthalten ist das Gehalt für den Landeskoordinator Zenker von gut 64.000 Euro im Jahr. Dieses Gehalt ist, wie Zenker einräumt, seine derzeit wichtigste Quelle zur Bestreitung des Lebensunterhalts.

Das Ministerium teilt dazu auf Anfrage mit: „Im Rahmen der Prüfung von Projektanträgen wird bei anfallenden Personalkosten der Stellenumfang auf Plausibilität geprüft.“ Bei der Projektbeantragung müsse nicht dargelegt werden, welche Person die Stelle besetzen solle.

*Anmerkung der Redaktion: Zenkers Anwalt Frank Hannig schrieb der Sächsischen Zeitung, er sei beauftragt worden zu ermitteln, „aus welcher Richtung Vorwürfe verbreitet werden“, die sich auf das Engagement seines Mandanten in der Flüchtlingsbetreuung bezögen. „Ich bitte Sie daher, mir mitzuteilen, welche Quellen oder belastbaren Informationen Ihnen vorliegen.“ Auch deswegen mussten wir dem Flüchtling aus Syrien, der Zenker belastet, in diesem Text anonymisieren.