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Entsetzen über Heimkosten

Eine Schöpstalerin weiß nicht mehr, wie sie den Eigenanteil für ihre Mutter im Görlitzer Pflegeheim stemmen soll. Eine Lösung hat sie noch nicht.

Von Susanne Sodan
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Viele versuchen, Pflegebedürftige so lange wie möglich daheim zu betreuen. Auch, weil die Heimkosten so gestiegen sind.
Viele versuchen, Pflegebedürftige so lange wie möglich daheim zu betreuen. Auch, weil die Heimkosten so gestiegen sind. © dpa-Zentralbild

Diakonie, das steht für Dienst am Menschen. Bei einer Schöpstalerin löste ein Schreiben der Diakonie St. Martin nun aber Tränen statt Dankbarkeit aus.  Ab Juli soll die Frau voraussichtlich knapp 400 Euro mehr für den Heimplatz ihrer Mutter bezahlen. Das wären dann insgesamt über 2.300 Euro. 

"Ich habe erst mal weinen müssen", sagt die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Für sie kam das Schreiben auch deshalb überraschend, weil es bereits voriges Jahr einen großen Kostensprung gegeben habe. 

Selbst eine gute Rente reicht nicht mehr

Seit 2014 wohnt die Mutter der Frau im Pflegeheim Gottessegen in Görlitz. Das hatte auch damit zu tun, dass die Schöpstalerin aus gesundheitlichen Gründen - zweimal Krebs, ein Schlaganfall - nicht mehr genug Kraft für die Pflege ihrer Mutter aufbringen konnte. Damals zahlte die Familie für den Platz über 900 Euro. Immer wieder gab es seither Erhöhungen.

"Meine Mutter hat eine sehr gute Rente, da geht es anderen viel schlimmer", erzählt die Schöpstalerin. Und bis vor einem reichlichen Jahr habe die Rente ausgereicht, um die Zuzahlung für den Pflegeheimplatz zu stemmen. Nach der Erhöhung vorigen Jahres nicht mehr. Die jüngste Monatsrechnung beträgt über 1.900 Euro. "Und man muss bedenken, da ist Zusätzliches wie Friseur, Fußpflege oder persönliche Hygieneartikel noch nicht dabei."

Immer mehr Pflegebedürftige brauchen Sozialhilfe

Zur Finanzierung eines Pflegeplatzes gibt es eigentlich die Pflegekasse, die je nach Pflegegrad einen bestimmten Betrag vorsieht. Allerdings reicht das Geld aus der Pflegekasse schon lange nicht mehr aus, es werde vollständig von allen Einrichtungen benötigt, hatte Kreissprecherin Julia Bjar voriges Jahr gegenüber der SZ erklärt. Deshalb  wird zusätzlich ein Eigenbetrag von den Heimbewohnern erhoben. Die Kinder werden normalerweise nicht mehr herangezogen, wenn das Geld nicht reicht. Ende vorigen Jahres hatte der Bundesrat beschlossen, dass sie sich künftig erst ab einem jährlichen Bruttoeinkommen von 100.000 Euro an der Pflege ihrer Eltern beteiligen müssen. 

Stattdessen können Pflegebedürftige Sozialhilfe beantragen. Was bereits Ende 2018  etwa 15 Prozent aller Pflegebedürftigen im Kreis getan haben - Tendenz steigend. Auch die Schöpstalerin wollte für ihre Mutter Sozialhilfe beantragen, nachdem die Kosten die Rente überstiegen.  Als sie sich voriges Jahr erkundigte, sei ihr aber mitgeteilt worden: In ihrem Fall gehe das nicht. Der Grund: Ein kleines Grundstück, dass die pflegebedürftige Seniorin vor einigen Jahren ihrer Tochter sowie ihrer Enkelin übertragen hatte. Zehn Jahre lang kann die Behörde verlangen, diese Übertragung rückgängig zu machen und aus dem Verkaufserlös den Eigenbeitrag zu stemmen. Die zehn Jahre sind in diesem Fall noch nicht rum. 

Den Betrag, der über die Rente der Mutter hinausgeht, zahlt die Schöpstalerin deshalb seit vorigem Jahr aus eigener Tasche. Ein Betrag, der ab Juli voraussichtlich noch deutlich höher ausfällt. "Wir haben ernsthaft überlegt, die Mama zurückzuholen." Aber die Frau hat Angst, dass sie die Pflege wegen ihrer eigenen gesundheitlichen Lage nicht packt. "Vor allem meine Kinder haben deshalb Sorge."

Ratlosigkeit bei Betroffenen

Wie es jetzt weitergehen soll, weiß sie noch nicht. Sie hofft, dass ein Wechsel in ein anderes Heim möglich ist. "Ich habe mich jetzt auch auf die Suche nach einer 450-Euro-Beschäftigung gemacht. Vielleicht hat ja jemand was für mich." 

Alleine sei sie nicht in ihrer Lage. Auch von anderen Betroffenen hat sie erfahren, dass dieser Tage Preissteigerungen ins Haus geflattert sind. Das betrifft auch andere Träger. Beispielweise liegen auch bei vier ASB-Pflegeheimen im Raum Löbau-Zittau die Eigenanteile inzwischen über 2.000 Euro.

Dabei sei sie mit der Pflege ihrer Mutter sehr zufrieden. "Sie wird  sehr liebevoll gepflegt." Die Diakonie St. Martin gehört auch zu den Gründungsmitgliedern des Bündnisses "Pro Pflegereform". Damit wolle man gegen explodierende Kosten kämpfen, sich für eine Veränderung der belastenden Situation einsetzen,  hatte die Geschäftsbereichsleiterin der Stationären Pflege an der Diakonie St. Martin voriges Jahr der SZ erklärt. Ziel ist eine Änderung der Pflegeversicherung. Das System soll quasi umgedreht werden: So sollen die Pflegebedürftigen einen festen Betrag zahlen, die Pflegekasse den Rest und auch Kostensteigerungen übernehmen, sagt Doreen Lorenz, Sprecherin der Diakonie St. Martin. 

Heime sehen Gesetzgeber in der Pflicht

Die Erhöhung voriges Jahr hatte die Diakonie St. Martin in erster Linie mit gestiegenen Personalkosten aus dem Tarifvertrag begründet. So ist es auch dieses Jahr, erklärt Doreen Lorenz. Sie bestätigt, der Eigenanteil soll ab 1. Juli 2326,83 Euro im Haus Gottessegen betragen. Etwa 85 Prozent der Kosten eines Heimplatzes würden für Personalausgaben verwendet. 

Die Diakonie St. Martin arbeitet nach dem Tarif der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) Diakonie Deutschland. "In diesem Jahr hat die arbeitsrechtliche Kommission gleich zwei Tariferhöhungen beschlossen", erklärt Doreen Lorenz, zum 1. Juni und 1. Dezember. "Die Steigerung der Personalausgaben machen einen großen Teil der Steigerung der Heimentgelte aus."  Dennoch wende die Diakonie St. Martin die Arbeitsvertragsrichtlinien voll umfänglich an. Denn das Gehalt sei ein wichtiger Bestandteil, um Fachkräfte zu gewinnen und auch zu halten. "Denn wie überall in der Pflege, ist auch bei uns 'Fachkräftemangel' kein Fremdwort." 

Ein weiterer Grund für die Steigerung sei die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes bei externen Dienstleistern, die an den Endverbraucher wie die Diakonie weitergeben wird. "Außerdem mussten wir in der Berechnung die Erhöhung der Netzentgelte der Energieversorger einrechnen sowie gestiegene Ausgaben im Bereich Digitalisierung und IT", erklärt Doreen Lorenz. Heimentgelte würden nicht willkürlich festgelegt, sondern immer mit den Kostenträgern verhandelt. "Dass die Kostensteigerungen allein von den Bewohnern getragen werden, kann nur durch den Gesetzgeber geändert werden." 

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