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"Wir wollten nie aufs Dorf"

Judith Fehr und Niels Mocker sind aus der Stadt mit den Kindern aufs Land gezogen. Sie würden nicht mehr tauschen.

Von Jürgen Müller
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Familie Mocker lebt in Kaisitz auf dem Land.
Familie Mocker lebt in Kaisitz auf dem Land. © Claudia Hübschmann

Der sechsjährige Helmut hat es sich auf der großen Ledercouch gemütlich gemacht, sich in voller Länge ausgestreckt. Die Augen geschlossen, lässt er sich kraulen und schnurrt dabei wie eine Nähmaschine. Kater Helmut ist gerade auf dem Weg in den siebenten Katzenhimmel. 

Geradezu himmlisch fühlen sich auch seine Besitzer Judith Fehr und Niels Mocker. Die beiden 38-Jährigen leben mit vier Kindern auf dem Dorf, auf dem Buhlighof in Kaisitz in der Gemeinde Käbschütztal bei Meißen. Dabei sind beide Stadtmenschen. Sie stammt aus Senftenberg, er aus Pirna. Beide sind Projektentwickler bei Windenergiefirmen. Sie in Meißen, er in Dresden. Wieso ziehen sie aufs Dorf?

Verliebt in die große Küche

Vor sechs Jahren suchte die Patchwork-Familie mit den Kindern Esther und Melissa, heute 17 und 10 Jahre alt, die erste gemeinsame Wohnung. Eleanor (heute 5) war unterwegs, an Adrian (4) war noch nicht zu denken. Eine große Wohnung in Meißen für die damals bald fünfköpfige Familie sollte es sein. Verschiedene Vier- und Fünf-Raum Wohnungen schauten sie sich an, auch ein Reihenendhaus. Das Passende war nie dabei.

Der Buhlighof in Kaisitz, auf dem Familie Mocker wohnt
Der Buhlighof in Kaisitz, auf dem Familie Mocker wohnt © Claudia Hübschmann

Das Reihenendhaus war zu klein. Eine Wohnung von der Größe her passend, doch das Bad zu winzig. Vor allem Niels Mocker, der damals noch in Meißen arbeitete, wollte dort bleiben. „Ich hatte den Luxus, einen Fußweg von einem Kilometer bis zur Arbeitsstelle zu haben. Den wollte ich nicht aufgeben“, sagt er. Dennoch schauten sie sich dann noch diese Wohnung in Kaisitz an, an einem sonnigen Sonntagnachmittag. „Wir hatten nie vor, aufs Dorf zu ziehen. Wir sind da hingefahren, um bloß mal zu gucken“, sagt Judith Fehr.

Keine Gaststätte, kein Laden

Dann stehen sie in der riesengroßen Küche. Der Entschluss fällt spontan. „Das ist es. Ich war schockiert von unserem Sinneswandel“, sagt Judith Fehr. „Aber es war nicht nur die Küche, das Gesamtpaket gab den Ausschlag“, ergänzt Niels Mocker. 136 Quadratmeter , fünfeinhalb Zimmer, große Küche, wunderschönes, großes Bad, Garten vorm Haus, Wäscheplatz, Raum für Campingausrüstung und Fahrräder, Garagen. 

Und noch etwas spielt eine Rolle. Er hatte sich gerade einen Kater zugelegt, auch sie hat zwei Katzen, Lilly und Polly. Hier auf dem Land haben die Tiere viel Auslauf, können gefahrlos durch die Gegend streunen. Der Entschluss stand felsenfest: Hier wollen wir wohnen. Sie ziehen um. Und haben es bis heute nicht bereut.

Dabei gibt es in Kaisitz nichts: keine Gaststätte, keinen Laden, keine Post, keine Sparkasse. „Na klar ist Kaisitz das komplette Kontrastprogramm zu Meißen. Man muss sich auf dem Dorf anders organisieren als in der Stadt. Da ist eine gewisse Vorratshaltung nötig, man kann nicht mal schnell über die Straße in den Laden gehen, weil man irgendetwas vergessen hat“, sagt Judith Fehr. 

Die Familie hat jetzt viel mehr Platz - auch zum Schaukeln.
Die Familie hat jetzt viel mehr Platz - auch zum Schaukeln. © Claudia Hübschmann

„Bis nach Meißen ist es nicht weit. Und dort gibt es hervorragende Gaststätten. Wir vermissen nichts“, sagt Niels Mocker. Auch die Kinder haben sich prächtig eingelebt. Esther besucht ein Gymnasium in Meißen, Melissa, die in Meißen Handball spielt, geht in die Ganztagsschule in Krögis, wird ab dem nächsten Schuljahr in die Oberschule nach Lommatzsch wechseln. Der Schulweg ist kein Problem. Der Schulbus und auch die Linienbusse halten direkt vor dem Buhlighof.

Die Familie schätzt die Ruhe, die höchstens mal während der Ernte gestört wird, die Natur, den Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft der Menschen. „Wir wurden hier sehr gut aufgenommen, haben schnell Freunde gefunden. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, ist es nicht selten, dass ich mit Nachbarn ein Bier trinke. Wir grillen gemeinsam, und manche laden uns auch zum Planschen in ihrem Pool ein“, sagt Niels Mocker. Obwohl in dem Ort nur so um die 90 Leute lebten, hätten alle Kinder sehr schnell Freunde gefunden.

Kaisitz ist begehrt

Überhaupt ist Kaisitz ein beliebter Wohnstandort. Im gegenüberliegenden Beegerhof gibt es 14 sanierte Wohnungen. „Alle sind belegt. Wenn tatsächlich mal eine frei wird, ist sie ruckzuck wieder bezogen“, sagt der Projektentwickler. Die Familie Fehr/Mocker hat sich jedenfalls für lange Zeit in Kaisitz eingerichtet. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, will sie die Wohnung vielleicht sogar kaufen.

Judith Fehr hat in der letzten Zeit einige Wochen Homeoffice gemacht, dabei auch die Nachteile des Ländlichen gespürt. Das Internet ist eine Katastrophe. „Wenn hier endlich etwas passiert und Breitband gelegt ist, dann wäre es perfekt“, sagt Niels Mocker. Tochter Esther sieht es locker: „Solange ich Filme streamen kann, ist es doch in Ordnung so.“ Sie ist froh, dass sie während der Ausgangsbeschränkungen im Gegensatz zu manchen Schulfreundinnen nicht in einer Wohnung eingezwängt war. „Durch Corona haben wir das Land so richtig schätzen gelernt“, sagt die 17-Jährige.

Auf das Dorf ziehen wollte die Familie nie. Nun wohnt sich schon sechs Jahre in Kaisitz. „Jetzt wollen wir von hier nicht mehr weg“, sagt Judith Fehr und lacht. Kater Helmut kriegt davon nichts mit. Er hat aufgehört zu schnurren, ist im siebenten Katzenhimmel angekommen.

Serie "Die neue Landlust"