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"Im Elbsandstein hatte ich das erste Mal richtig Angst"

Profi-Kletterin Mayan Smith-Gobat gehört zu den großen Namen der Szene. Jetzt kommt sie zum Dresdner Bergsichten-Festival und erzählt von einer alten Liebe.

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Mayan Smith-Gobat klettert an einem der spektakulären Sandsteintürme im chinesischen Zhangjiajie-Nationalpark.
Mayan Smith-Gobat klettert an einem der spektakulären Sandsteintürme im chinesischen Zhangjiajie-Nationalpark. © Frank Kretschmann

Frau Smith-Gobat, fühlen Sie deutsch oder neuseeländisch?

Beides. Ich habe jetzt mein Zuhause in der Frankenjura gefunden. Aber ich bin in Neuseeland groß geworden, zur Schule gegangen. Bei mir ist alles vermischt. Ich wohnte auch lange in den USA und fühle mich an neuen Plätzen schnell wohl, wo es viel wilde Natur gibt und Freunde.

Was führte zur Doppel-Staatlichkeit?

Meine Mutter war Deutsche, kam aus Ostpreußen und während des Zweiten Weltkrieges als Flüchtling nach Köln. Sie wanderte nach dem Studium aus, reiste viele Jahre durch die Welt und blieb in Neuseeland. Ihre Zwillingsschwester zog in die Pfalz. Das ist der einzige Ort, der immer mein Zuhause war.

Wie kamen Sie zum Klettern?

Ich lebte meine ersten Jahre am Fuß vom Mount Cook, dem höchsten Gipfel Neuseelands. Berge waren immer ein Teil meines Lebens. Als Kind kletterte ich auch im Yosemite-Nationalpark. Als ich sieben war, zogen wir weg von den Bergen. Ich begann zu reiten. Pferde waren meine große Liebe in der Schulzeit. Mit 16 hatte ich einen Ferienjob am Mount Cook und war nach einem Alpinkurs wieder begeistert vom Klettern, machte so viele Bergtrips, wie ich konnte. Nach dem Schulabschluss genoss ich Adrenalin bei extremen alpinen Skirennen. Ich wurde schnell gut, war damit zwei Jahre weltweit unterwegs.

Die 40-jährige Extrem-Kletterin traut sich schwerste Wände zu.
Die 40-jährige Extrem-Kletterin traut sich schwerste Wände zu. © Bergsichten

Warum machen Sie das nicht mehr?

In Colorado nahm ich bei einer Abfahrt die falsche Abzweigung, wollte danach auf einen anderen Weg springen. Das ging nicht wie geplant. Ich konnte mich in der Luft noch drehen, knallte aber mit den Füßen an einen Baum, brach mir Knochen in beiden Füßen und beidseitig den Kiefer. Zwei Jahre konnte ich keine Skistiefel anziehen. So kam ich wieder zum Klettern.

Ohne die Beine zu nutzen?

Ich konnte nicht stillsitzen, begann meine Arme zu trainieren. Das war die Zeit, als ich mit 21 beim Bouldern stark wurde, meinen ersten Wettkampf gewann. Das habe ich zielstrebig weiterverfolgt.

Die Beine spielen wieder mit?

Jetzt habe ich kein Problem, aber es dauerte. Die Knöchel knacksen noch oft.

Wie wurden Sie Kletterprofi?

Ich wuchs langsam rein, arbeitete einige Zeit auch als Köchin. Das ließ sich nicht optimal mit dem Klettern verbinden. Deshalb machte ich dann alles Mögliche mit Klettern: schrauben, unterrichten, hatte private Kunden. Ich begann viel zu reisen – zum Klettern – und nahm es mehr und mehr ernst. Vom Klettern konnte ich leben, als mich Adidas als internationaler Athlet verpflichtete.

Was treibt Sie in die schweren, hohen Kletterwände?

Wenn mich etwas fasziniert, mache ich das mit ganzem Herzen und bin schwer davon abzulenken. Das Felsklettern fordert mich gleichzeitig mental und physisch, also komplett. Nach der Verletzung habe ich mich langsam wieder in die Längen hochgearbeitet. Erst beim Bouldern, dann beim Sportklettern, später beim traditionellen Klettern und an immer höheren Wänden. Mein Traum war, am El Capitan im Yosemite frei zu klettern und dafür das Rissklettern zu lernen. Das passierte 2009.

Was fasziniert Sie daran?

Höhen reizten mich schon als Kind. Ich kletterte in Bäume, so hoch es ging, hatte selten Angst. In Hochhäusern wollte ich so nah wie möglich am Fenster sitzen. Deshalb zieht mich das Freiklettern an höchsten Wänden wohl auch so an. Ich fühlte mich da oben befreit von unserer täglichen Welt und suchte immer die Herausforderung. Ich brachte mir selbst das Rissklettern bei und arbeitete mich an die schwierigsten Längen der Salathe heran – 900 Meter über dem Boden. Nach zwei Jahren hatte ich die 1.000 Meter lange Salathe endlich geschafft und mir den Traum erfüllt, den El Capitan frei zu klettern.

Was kam danach?

Da fühlte ich mich ein bisschen verloren. Ich wusste nicht, worauf ich mich fokussieren sollte. Speed-Begehungen der Nose am El Capitan schafften Männer in unter drei Stunden. Das war für mich nicht begreifbar. Ich wollte verstehen, wie das möglich ist. Der Frauen-Rekord lag bei zwölf Stunden und erschien mir nicht utopisch. Da entstand die Idee, Speedklettern zu lernen.

Sie sind es mehrfach angegangen?

Ja, über mehrere Jahre. Zuerst schaffte ich die 1.000-Meter-Wand in zehn Stunden, zuletzt in 3:29 Stunden. Drei Stunden kann ich mir noch vorstellen, aber das Risiko ist hoch, und je schneller man geht, desto gefährlicher wird es … Ich habe gemerkt: Das Risiko wird zu hoch für mich.

Was passiert beim Klettern im Kopf?

Vor einer schweren Tour hole ich mir so viele Informationen wie möglich, überlege, wie ich mit Gefahren oder Schwierigkeiten umgehe. Wenn ich losklettere, kann ich alles andere ausblenden und fokussiere mich auf die Bewegung oder das, was genau vor mir ist. Dann höre ich fast nichts mehr, bin im Hyper-Fokus. Der Körper handelt und funktioniert. Man macht sich keine bewussten Gedanken. Das Gehirn quatscht nicht dazwischen. Diese Fähigkeit hat es mir ermöglicht, in so vielen Sportarten schnell gut zu werden. Es ist alles eine Frage des Fokus, sich auf eine Sache zu konzentrieren – mit aller Konsequenz. Das ging mir bei den Pferden schon so. Die spiegeln dir, was du fühlst.

Sie vergleichen Felsen mit Pferden?

Nicht direkt. Der Fels lebt nicht. Pferde spüren, wenn du nur einen Tick nervös oder unsicher bist, auch wenn du es selbst nicht wahrnimmst. Das Pferd merkt es, macht dich darauf aufmerksam. Das hat mir viel geholfen im Leben.

Sind Sie eine Pferdeversteherin?

Ich verstehe sie. Als Pferdeflüsterin würde ich mich nicht bezeichnen. Außer Westernreiten habe ich vieles gemacht von Dressur- und Springreiten bis Vielseitigkeits- und Jagdreiten. Ich bin vor ein paar Jahren wieder zu den Pferden gekommen. Jetzt habe ich mit meinem Lebenspartner einen tollen Pferdehof im Fränkischen, trainiere oder arbeite beruflich mit schwierigen Pferden.

Und was ist mit dem Klettern?

Seit vergangenem Jahr bin ich nicht mehr profimäßig unterwegs. Ich hatte mich durch das Sponsoring irgendwann selbst zu sehr unter Druck gesetzt, war mehrfach verletzt und habe überlegt, wie ich das ändern kann. Gleichzeitig bin ich zufällig wieder auf das Reiten gestoßen. Es ist eine gute Alternative für meinen Körper. Klettern war zunehmend Zwang geworden. Ich bin nicht mehr klettern gegangen, weil ich Bock darauf hatte, sondern weil es mein Job war.

Haben Sie damit ganz aufgehört?

Nein, ich klettere immer noch viel, wenn ich Lust darauf habe. Mein Körper ist nun gesünder, und ich klettere erstaunlicherweise wieder besser. Nur die Ausdauer ließ nach. Langfristig ist mein Ziel, Reiten und Klettern zu verbinden. Vielleicht in Richtung Osten, in Rumänien zum Beispiel mit Pferden als Zustieg.

Das klingt wie eine Befreiung. War es tatsächlich eine?

Ja. Gleichzeitig nahm ich eine andere Bindung an. Wir haben den Hof, versorgen die Tiere, bewirtschaften drei Hektar Land und einen Hektar Wald. Es ist eine große Umstellung. Ich bin die vergangenen zehn Jahre viel gereist und sehne mich manchmal danach. Aber ich hatte mir zuletzt auch ein Zuhause gewünscht.

Sie kletterten Bernd Arnolds Route Riders on the Storm in Patagonien mit Ines Papert. Vollenden Sie die zwei fehlenden Seillängen noch?

Ich habe das Projekt noch im Kopf und weiß nun, dass die Route frei zu klettern ist. Aber was für ein Wetterglück Ines und ich 2016 hatten, habe ich ein Jahr später gemerkt, als ich es mit Brett Harrington noch mal versucht habe. Da brauchten wir drei Wochen für die erste Hälfte. Mit Ines hatte ich das in zwei Tagen geschafft.

Sie erlebten schon die Dresdner Bergsichten. Was halten Sie davon?

Das ist ein tolles Bergfilmfestival. Die Leute und die Sächsische Schweiz haben mich außerdem fasziniert. Ich klettere seit fast 30 Jahren, bin aber erstmals mit Knoten und Schlingen im Elbsandstein eingestiegen und hatte das erste Mal richtig Angst – schön, dass ich diese Art des ursprünglichen Kletterns erleben durfte und die sympathischen Leute dazu.

Sie halten einen Premieren-Vortrag. Was werden Sie zeigen und erzählen?

Einiges, worüber wir gerade gesprochen haben. Ich erzähle über meine besten und schwierigsten Begehungen, wo ich herkomme und warum sich der Kreis für mich nun wieder schließt.

Das Gespräch führte Jochen Mayer.

Mayan Smith-Gobat „The Circle Of Climbing – Leidenschaft Berg“ Multivisionsvortrag am Freitag, 19.30 Uhr, im TU-Hörsaal Dresden. Hier gibt es Infos und Tickets.