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Corona: Polen lässt keine Berufspendler mehr raus

Nach den Tschechen verschärfen nun auch die Polen nochmals ihre Corona-Bestimmungen - mit weitreichenden Folgen für Pendler im Landkreis Görlitz.

Von Maximilian Helm & Frank-Uwe Michel & Daniela Pfeiffer
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Stadtbrücke Görlitz: Bisher durften Pendler aus Zgorzelec noch nach Görlitz zur Arbeit kommen. Damit ist ab Freitag vorerst Schluss.
Stadtbrücke Görlitz: Bisher durften Pendler aus Zgorzelec noch nach Görlitz zur Arbeit kommen. Damit ist ab Freitag vorerst Schluss. © Nikolai Schmidt

Polen hat bekannt gegeben, dass die Ausreisesperre nun doch auch für Berufspendler gilt. Für Görlitz hat das große Auswirkungen. Zwar leben viele Polen hier, doch Hunderte, wenn nicht Tausende wohnen in Zgorzelec und pendeln täglich nach Deutschland zur Arbeit. Das betrifft viele Unternehmen, vor allem Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, aber auch Birkenstock oder Borbet in Kodersdorf. Auch viele Zusteller der SZ kommen aus Polen und pendeln täglich.

"Nur noch bis Freitag können Menschen, die auf der anderen Seite der Grenze arbeiten, diese frei überqueren", sagte Innenminister Mariusz Kaminski am Mittwoch in Warschau. Bis dahin hätten die Betroffenen Zeit, ihre berufliche Situation zu organisieren und sich beispielsweise mit Hilfe ihrer Arbeitgeber eine Unterkunft im Ausland zu suchen. Man könne nicht zulassen, dass Polen regelmäßig in ihre Heimat aus solchen Ländern zurückkehren, wo die Infektionsrate höher sei.

Besonders trifft es den medizinischen Betrieb in der Region. In deutschen Krankenhäusern arbeiten zahlreiche polnische Ärzte und Pflegekräfte, viele sind Pendler. Dass diese nun ausgerechnet während der Pandemie ausfallen, ist problematisch.

Im Görlitzer Malteser-Krankenhaus St. Carolus ist man von der Entscheidung der Polen jedoch wenig überrascht. „Es hat sich nach der aktuellen Entwicklung abgezeichnet“, sagt Daniela Kleeberg, die Leiterin des Standortes. Sie bedauert die Entscheidung: „Die polnischen Mitarbeiter sind eine Bereicherung für alle Krankenhäuser im Grenzgebiet.“ Nicht nur wegen ihrer Kompetenz, sondern auch wegen ihrer Sprachkenntnisse seien sie für eine optimale Betreuung der Patienten wichtig.

"In einigen Bereichen wird es schwierig"

14 polnische Angestellte arbeiten derzeit im St. Carolus. Die Lücken im Dienstplan sollen durch Personalverschiebung gefüllt werden, weil einige nicht-akute Eingriffe wohlweißlich verschoben wurden. Dennoch: „In einigen Fachbereichen wird es schwierig“, so Kleeberg. Deshalb werden den polnischen Mitarbeitern Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Krankenhausgelände geboten und in Zusammenarbeit mit der Stadt Görlitz auch Hotelzimmer. Diese sollen zum Teil von der Wirtschaftsförderung finanziert werden, so die Krankenhauschefin. Aktuell stehen zehn Hotels zur Verfügung.

Der Landkreis Görlitz kündigt indes an, alle Träger des Gesundheitswesens bei der Suche nach Unterkünften für polnische Mitarbeiter, die vorerst in Deutschland bleiben wollen, zu unterstützen. Um den Bedarf zu ermitteln, führt das Landratsamt Görlitz heute eine Abfrage aller Institutionen im Gesundheitsbereich durch. Pendler, die nach Polen zurückkehren, müssen automatisch in die obligatorische zweiwöchige häusliche Quarantäne.

Auswirkungen auf Pflegeheime

Auch Altenpflegeheime sind betroffen, wie zum Beispiel Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt (AWO): „Bei uns trifft es vor allem das Zentralhospital in Görlitz“, sagt Carsten Seitz, Fachbereichsleiter Altenpflege. Hier arbeiten insgesamt vier polnische Pflegekräfte – zwei wohnen in Zgorzelec. „Wir suchen jetzt nach Lösungen“, sagt Seitz. Eine Fachkraft habe sich bereits entschieden, in Görlitz zu bleiben. Man habe auch bereits mit der Suche nach Wohnungen begonnen.

Ihre Kollegin möchte diesen Schritt nach derzeitigem Stand nicht wagen. Für sie wäre es eine Möglichkeit, eine Zeit in Deutschland zu arbeiten, und sich dann in Polen in Quarantäne zu begeben, um nach deren Ablauf wieder in Deutschland zu arbeiten. Laut Seitz gebe es von einigen polnischen Kollegen Unsicherheit wegen ihrer Stelle. Er versucht zu beschwichtigen: „Wir müssen jetzt flexibel sein – es sind für uns alle besondere Zeiten.“

HS Timber will Schichten reduzieren

Teilweise extreme Auswirkungen hat der vom polnischen Staat verhängte Berufspendlerstopp auch für Unternehmen und medizinische Einrichtungen zwischen Kodersdorf, Niesky und Rothenburg.

Bei HS Timber Productions kommen bis zu 30 Prozent der aktuell rund 450 Mitarbeiter aus dem Nachbarland. "Unter diesen Umständen können wir nicht auf Dauer so weitermachen wie bisher", schätzt Betriebsleiter Thomas Kienz die Lage ein. Bisher habe man den teilweise stockenden An- und Abtransport von Rohmaterial und Fertigprodukten noch kompensieren können. "Wenn uns aber ein Teil der Arbeitskräfte fehlt, müssen wir den Produktionsprozess verändern." Konkret meint Kienz damit die Reduzierung der Schichten und die Herstellung von Erzeugnissen, die weniger personalintensiv sind. Einen finalen Plan gebe es noch nicht. Dafür sei die Entscheidung der polnischen Regierung zu überraschend gekommen.

Auswirkungen auch auf die Logistik

Um einen Teil der Timber-Beschäftigten aus dem Nachbarland auch weiter in Kodersdorf zu halten, denkt der Holzveredler über die Unterbringung in eigens dazu angemieteten Quartieren nach. "Gespräche dazu sind schon angelaufen. Ob es dazu kommt, wissen wir natürlich noch nicht", erklärt Kienz. Sollte die Mehrzahl der polnischen Arbeitskräfte ab Freitag tatsächlich zu Hause bleiben, dürfte das neben der Produktion auch Auswirkungen auf die standorteigene Logistik haben. Immerhin ist der Absatz von Holzprodukten nach Japan, China und Indien nahezu zusammengebrochen. Das Lager ist voll. Zusätzlich könne höchstens noch die Kapazität einer Arbeitswoche verkraftet werden, sagt der Kodersdorfer Timber-Chef. Die Produktion, wegen der schwierigen Weltlage herunterfahren, wolle man jedoch nicht. "Wir sind beim Rundholzabsatz sehr flexibel und schauen, dass wir Ausweichmärkte bedienen können. Australien, Amerika und Nordafrika funktionieren bis jetzt immer noch."

Der Stopp für polnische Berufspendler trifft HS Timber Productions in Kodersdorf hart. Bis zu 30 Prozent der Mitarbeiter kommen aus dem Nachbarland. Der Betrieb denkt deshalb über die Reduzierung von Schichten nach.
Der Stopp für polnische Berufspendler trifft HS Timber Productions in Kodersdorf hart. Bis zu 30 Prozent der Mitarbeiter kommen aus dem Nachbarland. Der Betrieb denkt deshalb über die Reduzierung von Schichten nach. © André Schulze

Borbet Sachsen fährt Produktion zurück

Noch differenzierter stellt sich die Situation bei Borbet Sachsen dar. Hier liegt der Anteil der polnischen Beschäftigten an der Gesamtbelegschaft von rund 580 Mitarbeitern bei etwa 40 Prozent. Parallel zu dem sich ankündigenden Arbeitskräftemangel ist der Absatz an Leichtmetallfelgen aktuell aber nahezu zusammengebrochen. Weltweit haben die Hersteller ihre Bänder angehalten, brauchen deshalb momentan auch keine Räder. Seit Montag wird die Produktion bei Borbet Sachsen deshalb heruntergefahren. Ob bis zum totalen Stillstand, steht noch nicht fest. "Das richtet sich danach, wie die verschiedenen Marken wieder loslegen und auf welche Standorte sie sich konzentrieren", erklärt Personalchefin Mareike Knöschke. Borbet sei in der Lage, ganz individuell darauf zu reagieren. "Wir haben 32 Gießmaschinen und können sie je nach Bedarf hochfahren." Ob das dann mit den polnischen Kollegen in Angriff genommen wird, ist unklar. "Quartiere bereitzustellen könnte eine Rolle spielen. Aber das sind ja Umstände, die nicht nur von uns als Arbeitgeber abhängen."

Drei Praxen am MVZ Martinshof in der Schwebe

Extrem betroffen könnte das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) des Rothenburger Martinshofes sein. Hier gibt es mehrere polnische Ärzte, die zum Teil auf der deutschen, aber auch auf der polnischen Seite leben. Aufgrund der Pendler sind drei der sechs Praxen ab Montag von der Schließung bedroht. Am Freitag werden hier auch im Normalbetrieb keine Patienten behandelt. Ehe Entscheidungen getroffen werden, "wollen wir erst mit den polnischen Kollegen reden", erklärt Dr. Peter Tzschoppe, der ärztliche Leiter des MVZ. Möglicherweise helfe es, Übernachtungskapazitäten zu schaffen. "Wir werden darum kämpfen, dass die Praxen geöffnet bleiben."

Nach Rückkehr droht automatisch Quarantäne

Tschechien schließt schon einen Tag eher, nämlich ab Donnerstag  0 Uhr, seine Grenzen für tägliche Berufspendler, die in die Nachbarländer zur Arbeit fahren. Nach derzeitigen Kenntnisstand müssten auch sie sich nach ihrer Rückkehr nach Tschechien in eine zweiwöchige häusliche Quarantäne begeben. 

Derweil kritisiert die Industrie- und Handelskammer Dresden (IHK) den Fokus auf den Gesundheitsbereich. "Die von der Staatsregierung angekündigte Unterstützung für tschechische Pendler muss auf alle Branchen ausgeweitet werden", sagt Hauptgeschäftsführer Detlef Hamann. 

Der Freistaat hatte am Dienstag angekündigt, jedem im Gesundheitsbereich tätigen tschechischen Pendler 40 Euro am Tag zu zahlen, wenn er seinen Lebensmittelpunkt zeitweise nach Sachsen verlegt. Hamann spricht sich auch klar dafür aus, die Regelungen auf polnische Pendler auszuweiten.

Für die Vermittlung zu Unterbringungsmöglichkeiten steht zudem das Bürgertelefon des Landkreises Görlitz unter 03581 663-5656 täglich von 8 bis 18 Uhr gern zur Verfügung. Schriftliche Anfragen können per E-Mail an [email protected] gesendet werden.

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In eigener Sache:

Liebe Leser,
die Zustellorganisation in Görlitz setzt seit vielen Jahren erfolgreich auf die Zusammenarbeit mit polnischen Zustellern. Ab Freitag jedoch werden viele von Ihnen nicht wie gewohnt nach Görlitz pendeln können. Somit kann die Zustellung der SZ in einigen Bezirken nicht abgesichert werden. Zusteller werden deshalb dringend gesucht. Meldungen unter [email protected] oder telefonisch unter 03581 410 100. (SZ)